Der Wehrdienst bleibt freiwillig, doch junge Menschen müssen wieder zur Musterung. Beratungsstellen für Kriegsdienstverweigerungen ändern deshalb ihre Empfehlungen. Aktuell suchen dort viele Rat.

Die Reform des Wehrdiensts sorgt bei Susanne Bödecker in Stuttgart für Stress. "Alle drei Minuten ruft hier jemand an", sagt die Mitarbeiterin der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK). Zum Großteil seien Eltern am Telefon, die wissen wollen, was der neue Wehrdienst für ihre Kinder bedeutet. Verunsicherte Jugendliche melden sich meist per Mail.

Felix Tiarks hat sich persönlich gemeldet, weil er auf keinen Fall zur Bundeswehr möchte. "Ich kann es mir einfach nicht vorstellen, einen Menschen, den ich gar nicht kenne, mit einer Waffe zu töten", sagt der 15-Jährige aus Albstadt.

Mitte 2027 wird die Musterung wieder Pflicht

Ende August hat die Bundesregierung das neue Wehrdienstgesetz im Kabinett abgesegnet, die Entscheidung im Bundestag steht noch aus. Demnach sollen junge Männer von 2026 an verpflichtend einen Fragebogen ausfüllen. Frauen können dies freiwillig tun. Mitte 2027 wird die Musterung wieder für Männer ab Jahrgang 2008 zur Pflicht.

Dieser Punkt hat die DFG-VK dazu veranlasst, ihre Beratungsrichtlinien zu ändern. Susanne Bödecker rät nun wieder aktiv zu einem Antrag auf Kriegsdienstverweigerung. Dafür ist eine freiwillige Musterung und damit ein Besuch im Karrierecenter der Bundeswehr nötig.

"Bisher haben wir gesagt: Gebt der Bundeswehr so wenig Daten wie möglich. Haltet euch fern", sagt die Beraterin. Wenn die Musterung für junge Männer wieder verpflichtend wird, müssen sie in Zukunft sowieso beim Karrierecenter vorstellig werden. "Darum sagen wir jetzt: Stellt einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung."

Grundrecht für alle

Im Grundgesetz heißt es in Artikel 4, Absatz 3: "Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden." Menschen, die älter als 17,5 Jahre sind, können einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellen. Nach der Musterung müssen sie in einem Schreiben darlegen, warum es ihr Gewissen nicht erlaubt, Dienst an der Waffe zu tun.

"Wenn Sie anerkannter Kriegsdienstverweigerer sind, dann gilt das auch im Spannungs- und Verteidigungsfall. Das heißt, Sie werden dann eingezogen, müssen einen zivildienstähnlichen Dienst außerhalb der Bundeswehr leisten. Aber: Kein Dienst an der Waffe, kein Töten", erklärt Bödecker dem jungen Felix Tiarks.

Nachdem die Wehrpflicht 2011 ausgesetzt wurde, erhielt das zuständige Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben kaum noch Anträge. 2019 wollten 110 Menschen den Kriegsdienst verweigern. Mit Beginn des russischen Angriffskrieges stieg die Zahl deutlich an. 2022 verweigerten fast 1.000 Menschen den Dienst, 2024 gut 2.200. Bis Ende Juli 2025 waren es schon mehr als 1.700.

Seit dem vergangenen Jahr erfasst das Bundesamt zudem, wer einen Antrag einreicht. Zum Großteil sind es Ungediente, also Menschen, die nie beim Bund waren, und Reservisten. Einen Anteil unter zehn Prozent machen Soldaten aus. Zum Vergleich: 2005, als es die Wehrpflicht noch gab und die Bundeswehr am Afghanistan-Einsatz beteiligt war, lag die Zahl der Anträge bei fast 109.000.

Zurück zur Pflicht bei wenig Freiwilligen

"Sobald ich ihn stellen kann, sofort", ist Felix Tiarks nach dem Beratungsgespräch in der Bundesgeschäftsstelle der DFG-VK in Stuttgart überzeugt. Der politisch engagierte Jugendliche, der im Kreisvorstand Zollernalb der Linken sitzt, fürchtet eine Rückkehr zur Wehrpflicht.

Sollten sich zu wenige Menschen freiwillig zum Dienst bei der Bundeswehr melden, sieht der Gesetzentwurf vor, dass die Wehrpflicht wieder aktiviert werden kann. Durch eine Verordnung der Bundesregierung, der der Bundestag zustimmen muss.

Bei der DFG-VL geht Susanne Bödecker davon aus, dass das Telefon auch in den kommenden Wochen häufig klingelt. Sobald es in den Medien um die Wehrdienstreform geht, sei das der Fall.

Der Bundestag muss dem Gesetz noch zustimmen. Spätestens, wenn es im Parlament wieder um den Wehrdienst geht, könnte er bei Bödecker wieder für Stress sorgen. "Jeder, den wir von einem Antrag überzeugen, ist ein Rädchen weniger im Militärapparat." Für die Stuttgarterin ist es dementsprechend positiver Stress.

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