Verrat im Zweiten Weltkrieg: Der Spion vom Geiseltal
Inhalt des Artikels:
- Lützkendorf und Hermann Görings Vierjahresplan
- Enge Verbindungen Rostergs zu NSDAP und SS
- Verrat aus höchsten Nazi-Kreisen
- Der Ölhändler im neutralen Schweden
- Der Spion
- Warum verrät Rosterg sein eigenes Werk?
- Treibstoffoffensive der Allierten
Lützkendorf war 1944 das letzte noch verbliebene große Treibstoff-Werk in Deutschland. Und eines der Top-Ziele alliierter Angriffe im Zweiten Weltkrieg. Einer der reichsten deutschen Industriellen und Eigentümer des Mineralölwerkes hat wesentliche Details über sein eigenes Werk und über 14 weitere Werksstandorte in ganz Deutschland verraten. Durch diesen Verrat hat Kali-Magnat und Winstershall-Mehrheitseigner August Rosterg wohl maßgeblich den Zweiten Weltkrieg verkürzt. Die Fäden gezogen hat dabei ein schwedischer Spion.

Lützkendorf und Hermann Görings Vierjahresplan
Das Mineralölwerk Lützkendorf wird ab 1936 durch die Wintershall AG gebaut. Hitlers Wehrmacht braucht Benzin, doch die Nazis haben kaum Erdöl. Deshalb soll aus Braunkohle Benzin produziert werden. Der Braunkohletagebau im Geiseltal ist einer der größten des Landes und soll die Basis bilden für eine Raffinerie in Lützkendorf.
Hermann Göring ist Beauftragter des Vierjahresplanes der Nationalsozialisten. Sein Ziel: Wirtschaft und Armee in vier Jahren "wehrhaft" zu machen. Es gilt, unter allen Umständen autark zu werden. Werke wie das in Lützkendorf haben Priorität. Und August Rosterg, Generaldirektor und Mehrheitsaktionär der Wintershall AG, wittert ein Zukunftsgeschäft.

Wir wissen, dass er ... 150.000 Reichsmark an die NSDAP gespendet hat....
Enge Verbindungen Rostergs zu NSDAP und SS
Kali-Magnat August Rosterg gehört schon früh zum Unterstützerkreis von NSDAP und SS, hat Wirtschaftshistoriker Ingo Köhler erforscht: "Wir wissen, dass er im Märzwahlkampf 1933 über das Kalisyndikat 150.000 Reichsmark an die NSDAP gespendet hat, um sie im Wahlkampf zu unterstützen und Hitler in die Position des Reichskanzlers zu bringen." August Rosterg zeigt sich mit Heinrich Himmler, dem berüchtigten Reichsführer SS, lässt sich beim Besuch des Konzentrationslagers Dachau gemeinsam mit anderen Unterstützern des Netzwerks um Himmler fotografieren.
In Lützkendorf profitiert Rosterg von den Arbeitsprogrammen der Nazis. Dafür hat Historiker Ingo Köhler Belege gefunden. Wintershall hat für Lützkendorf Zwangsarbeiter engagiert, Lagerhäftlinge. Bis zu 1.000 Menschen sind in Baracken auf dem Werksgelände von Lützkendorf untergebracht. "Diese mussten die Arbeit verrichten unter den schrecklichsten Bedingungen wie u.a. Hunger und Gewalterfahrungen", sagt Köhler. Er ist überzeugt, dass Rosterg sehr bewusst war, was da passierte.
Verrat aus höchsten Nazi-Kreisen
Und doch soll es August Rosterg sein, der wichtige Details über sein Werk an die Amerikaner verrät. Rosterg findet sich 1944 auf einer amerikanischen Agentenliste. Matthias Koch, Lokalhistoriker, hat diese spektakuläre Entdeckung gemacht. Koch hat in einem ehemaligen Nazi-Bunker am Rand des Werksgeländes ein kleines Museum aufgebaut und sammelt akribisch alles, was mit dem Mineralölwerk zusammenhängt. In amerikanischen Unterlagen entdeckt er den Namen August Rosterg. "Das hat mich schon fasziniert, weil was hat das mit Krumpa, Lützkendorf, Mücheln zu tun? Wir sind ländlich, wir sind klein. Aber doch scheinbar so bedeutend gewesen, dass da solche Sachen hier stattfanden", wundert sich Koch. Solche Sachen – das war ein handfester Spionagefall. Ein Verrat aus allerhöchsten Nazi-Kreisen. Eingefädelt durch einen schwedischen Spion.

Der Ölhändler im neutralen Schweden
Verantwortlich für den Verrat ist Eric Erickson. Der Öl- und Benzinhändler handelt mit aller Welt – auch mit Nazi-Deutschland. Regelmäßig trifft er SS-Mitglieder. In einem Schreiben vom Dezember 1941 schreibt Eickson, dass "die SS-Gruppe uns sehr freundlich gesinnt ist und außerdem in Deutschland ein Zukunftsprogramm geplant wird, durch das eine Zusammenarbeit mit uns genau richtig ist." Das sogenannte Zukunftsprogramm geht von einem Sieg der Nationalsozialisten aus - Ölhändler und Ölproduzenten wie Erickson und Rosterg wittern lukrative Geschäfte.
Das neutrale Schweden ist im Zweiten Weltkrieg Treffpunkt für Agenten aus ganz Europa. Mitten in der Stadt haben die US-Amerikaner eine Zentrale ihres Geheimdienstes OSS, dem Vorgänger der CIA. Das OSS weiß von den Kontakten zwischen Erickson und Rosterg. Die Amerikaner setzen Erickson auf eine schwarze Liste, so dass er keine Geschäfte mehr mit den USA machen kann. Journalistin Maja Falkeborn Willner erforscht den Fall Erickson für eine Radio-Reportage. "In diesen Akten des schwedischen Geheimdienstes steht, dass er angeblich Geld auf Konten in den USA hatte, die eingefroren wurden." Drei Millionen Dollar sind das, an die Erickson nicht mehr herankommt. Eine riesige Summe.

Der Spion
Erickson will runter von der schwarzen Liste. Im National Archive in Washington gibt es in den Akten des US-Geheimdienstes Hinweise auf eine erste Zusammenarbeit des Geheimdienstes mit Erickson im April 1944. Im Mai 1944 fliegen die Alliierten Bomber den ersten massiven Angriff auf Lützkendorf. Erickson lockt in Deutschland Informanten an – auch mit dem Versprechen, dass Industrielle wie Rosterg in Schweden ihr Vermögen parken und so in die Nachkriegszeit retten können. Im Juli 1944 reist Rosterg nach Schweden.
Das Attentat vom 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler in der Wolfsschanze könnte der Moment gewesen sein, als Rosterg auf Ericksons Angebot eingeht. "Er ist kein Nazi und er war sehr aufgebracht über die jüngsten Hinrichtungen einiger seiner alten Freunde aus dem Militär", berichtet Erickson dem US-Geheimdienst über Rosterg. Bei Dreharbeiten zu einer MDR-Produktion über den schwedischen Spion und seine Kontakte zu Rosterg und ins mitteldeutsche Chemiedreieck stößt das Team auf bisher unbekannte Akten im National Archive in Washington. Demnach wird Rosterg am 26. Juli 1944 ein Fragebogen vorgelegt, den dieser offenbar bereitwillig beantwortet.

Frage für Frage gibt Rosterg Details zu den deutschen Benzinfabriken und seinem eigenen Werk in Lützkendorf preis. "Das sind natürlich ökonomische Fragen zum einen, also wieviel wird produziert, wieviel ist verlagert und Ähnliches, aber das muss ihm klar gewesen sein, dass das heikle Informationen sind, die auch für die Alliierten wichtig sind", sagt Historiker Ingo Köhler. Am 27. Juli 1944 gibt es ein Telegramm des OSS, wonach Öl- und Benzin-Ziele nun höchste Priorität haben. Am 28. Juli gibt es den bis dahin größten Angriff auf Leuna mit 645 Bombern. Einen Tag später fliegen 554 Bomber Richtung Leuna, der mit Abstand größten Benzinfabrik in Nazi-Deutschland. Rostergs Werk in Lützkendorf wird am 11. September Ziel alliierter Bomber.
Ein Chamäleon, der sich immer angepasst hat und immer versucht hat, sich seine Möglichkeiten zu schaffen...
Warum verrät Rosterg sein eigenes Werk?
Von einem Sinneswandel bei Rosterg will Historiker Ingo Köhler nicht sprechen. Er sieht das Eigeninteresse von Rosterg im Vordergrund und "das klare ökonomische Interesse, der Schutz des Unternehmens, neue Perspektiven für das Unternehmen, für das eigene Vermögen aufzubauen." Matthias Koch beschreibt Rosterg als ein Chamäleon: "Ein Chamäleon, der sich immer angepasst hat und immer versucht hat, sich seine Möglichkeiten zu schaffen und die dann auch knallhart durchgesetzt hat."
Es gibt noch eine weitere Zusammenarbeit zwischen dem Spion Erickson und Rosterg: Im Oktober 1944 reist Erickson durch Deutschland. 14 Betriebe stehen auf seiner Liste, darunter Böhlen, Ammendorf, Leuna und Merseburg. Erickson soll herausfinden, wie erfolgreich die Angriffe der Alliierten Bomber auf die deutschen Ölanlagen waren. Geplant hat diese Rundreise Ericksons: August Rosterg. Matthias Koch: "So ist es zumindest in den Dokumenten, die mir vorlagen, letztendlich übermittelt". Direkt nach der Rundreise im Oktober 1944 fliegen Erickson und Rosterg nach Stockholm.
Treibstoffoffensive der Allierten
Ausgerechnet der Industrielle, der mithilfe der Nazis sein Vermögen vermehrt hat, verrät die Nazis, um dieses Vermögen zu retten. Mit ihrem Verrat haben Rosterg und Ericson den Krieg vermutlich maßgeblich verkürzt. Denn für die deutsche Armee ist die Treibstoff-Offensive der Alliierten verheerend. Auch der Europa-Tank in Lützkendorf, der größte Tank des Kontinents, wird getroffen, mehr als 30.000 Kubikmeter Treibstoff treten aus. Lützkendorf, das letzte große verbliebene Treibstoffwerk, liefert immer weniger Benzin an die Wehrmacht.

Rosterg, 1945 bereits 75 Jahre alt, ist schwer krank. Immer wieder verlängert er seine schwedischen Visumsanträge. Das Kriegsende erlebt Rosterg in Schweden und stirbt im November 1945 in Stockholm. Die Prüfung einer Enteignung 1947 in Westdeutschland fällt zugunsten der Wintershall AG aus. Das Vermögen Rostergs bleibt bei der Wintershall. Das Werk in Lützkendorf wird von der DDR wiederaufgebaut. Als VEB Mineralölwerk Lützgendorf gehört es zum größten Schmiermittelproduzenten des Landes. Und Erik Erickson veröffentlicht 1958 seine Spionage-Abenteuer in einem Buch, das 1962 in Hollywood verfilmt wird.
(dh/cb)
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke