Ein sicherheitstechnischer Allrounder
Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt sich Sinan Selen mit Sicherheit und Terrorabwehr - und er ließ schon lange vor Corona einen Lockdown verhängen. Nun soll der studierte Jurist Verfassungsschutzchef werden.
Der erste große Aufschlag von Sinan Selen in der deutschen Sicherheitscommunity war am 19. August 2006. Selen legte mit der Autorität des BKA-Einsatzleiters Norddeutschland lahm. Alle Flughäfen, alle Bahnhöfe, alle Fähren - "Lockdown".
Das Wort hatte 2006 im allgemeinen Sprachgebrauch noch nicht die Bedeutung, die es mit der Pandemie bekommen sollte. Insider kannten "Lockdown" aus der damals populären Action-Serie "24" rund um den US-Geheimagenten Jack Bauer, wenn sich dort die Einsatzzentrale komplett abschirmte.
Fahndung nach dem "Kofferbomber"
Doch Sinan Selen zog seinen Lockdown rigoros über Schleswig-Holstein und die angrenzenden Bundesländer, denn er wollte um jeden Preis den "Kofferbomber" Yousef el-H. auf dem Kieler Hauptbahnhof festnehmen lassen und jede denkbare Fluchtroute abschneiden.
Endlich hatten die Ermittler den Mann gefunden, der mit dem Nationaltrikot von Michael Ballack bekleidet in Köln eine hochgefährliche Kofferbombe in einen Regionalexpress gestellt hatte. Die Bombe war durch einen Fehler des Attentäters nicht explodiert und Selens Team ("Trolley") triumphierte mit einem Ermittlungserfolg. Kritik an geringer Kommunikation im Vorfeld mit den betroffenen Ländern und die Härte der Maßnahme prallte an ihm ab.
Karrierebeginn im BKA
Seit mehr als 20 Jahren ist Terrorismusbekämpfung und Sicherheit das Thema Selens. Nach einem Jura-Studium und wenigen Monaten als Anwalt kam er zum Bundeskriminalamt, später ins Bundesinnenministerium, war dort unter anderem an der Vorbereitung des Luftsicherheitsgesetztes beteiligt und saß auf der Seite des Ministers bei der Islamkonferenz dabei. "Der ist in der Türkei geboren", tuschelte man damals - doch wer Selen näher kennenlernte, merkte schnell, dass seine Sozialisation eher in Köln und im Strafrecht wurzelt und er in der Islamkonferenz wohlmeinenden Beteuerungen von muslimischen Verbänden mit säkularer Skepsis entgegentrat.
Im Bundesinnenministerium (BMI) gehörte er zum Stab "Terrorismusbekämpfung" - unter Innenminister Wolfgang Schäuble. Es war eine Zeit, in der der erste tödliche islamistische Anschlag in Deutschland noch bevorstand, viele Fachleute die Gefahr aber geradezu greifen konnten. Selens Haltung damals war eher lakonisch: "Wenn es schief geht, muss ich mich wahrscheinlich anschließend im BMI um die Filmförderung kümmern."
Mehrere Jahre beim Reisekonzern TUI
Zweimal in seiner Karriere hatte Selen Aufgaben im Bundesinnenministerium. Dazwischen war er bei der Bundespolizei. Als stellvertretender Leiter der Kriminalitätsbekämpfung hatte er dort eine hohe Führungsposition, musste aber zu seinem Leidwesen Uniform tragen.
2016 wechselte er für drei Jahre in die Wirtschaft, um beim Reisekonzern TUI die Unternehmenssicherheit weiterzuentwickeln. Terroristische Bedrohung blieb auch dort ein Thema.
2019 kehrte er für viele überraschend in den Staatsdienst zurück und wurde Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV). Öffentlich erkennbar trat er in dieser Rolle wenig in Erscheinung, intern war das operative Geschäft sein Thema. Seit der damalige Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang im Herbst 2024 seine Kandidatur für den Deutschen Bundestag bekannt gab und sein Amt ruhen ließ, war Selen der kommissarische Chef. Lange ließ sich die neue Bundesregierung seitdem mit der Frage Zeit, ob aus dem sicherheitstechnischen Allrounder auch der neue Präsident wird.
Bestätigung im Kabinett
Dem Vernehmen nach war der Spitzenposten im BfV Teil eines Gesamtpakets zur Besetzung verschiedener Posten, und die Verhandlungen darüber mit dem Koalitionspartner SPD zogen sich eine Weile hin. Hinzu kam, dass der neue Bundesinnenminister Alexander Dobrindt gänzlich neu im Bereich der inneren Sicherheit war und die Akteure nicht kannte, sich dementsprechend erst ein Bild von dem 53-jährigen Familienvater machen wollte.
Dadurch entstand zwischenzeitlich der Eindruck, Selen könnte nicht die erste Wahl sein. Mit der Entscheidung für ihn dürfte das aber nun keine Rolle mehr spielen. In der nächsten Kabinettssitzung soll die Personalie bestätigt werden. Dann wäre Sinan Selen der erste Chef einer Bundessicherheitsbehörde mit Migrationshintergrund. Und ohne die Sorge, sich jemals noch mit Filmförderung beschäftigen zu müssen.
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