• Im neuen NSU-Dokumentationszentrum in Chemnitz soll der Fokus auf den Opfern der Terrorzelle liegen.
  • In den ersten vier Monaten haben nach Angaben der Veranstalter 8.500 Menschen das Zentrum besucht.
  • In den nächsten Monaten sollen auch die "Baseballschläger-Jahre" erforscht werden.

Bei einer Führung durch die Ausstellung im NSU-Dokumentationszentrum stehen etwa 20 Gäste zusammen und sprechen gemeinsam die Namen der zehn Opfer aus, die von dem Terror-Trio ermordet wurden. Anfangs noch zurückhaltend, dann aber doch immer bestimmter.

NSU-Opfer im Mittelpunkt

Immer wieder aufs Neue soll mit diesem Ritual die Erinnerung an die getöteten Menschen wach gehalten werden. Und mehr noch: Mit Porträtfotos, mit persönlichen Gegenständen und kurzen biografischen Texten wird zu Beginn der Führung erst einmal eine Nähe zu den Opfern des NSU geschaffen – sie stehen hier im Mittelpunkt. Thematisch geht es dann weiter mit einem Überblick zum NSU-Komplex, wobei es nicht nur um die rechtsextreme Terrorzelle geht, sondern auch um ihr Unterstützernetzwerk.

Besucherinnen und Besucher der Ausstellung sollen ein Bild der Taten bekommen – und vor allem der NSU-Opfer.Bildrechte: Mark Frost

"Die große Hoffnung ist – von uns, aber auch von vielen Familien und Überlebenden – die Aufklärungsarbeit", erklärt Zeran Osman, der die Ausstellung mit konzipiert hat. Durch die Bildungsarbeit sollten möglichst viele Besucher noch einmal erfahren, was der NSU-Komplex und wer die Opfer waren – und was genau passiert ist. Osman sieht darin vor allem Präventionsarbeit: "Demokratiearbeit lebt von Erinnerungskultur, und das würde ich schon sagen, ist der wichtigste Bereich bei uns: Bildungsarbeit."

8.500 Besucher in vier Monaten

Die Ausstellung bildet das Herzstück des Dokumentationszentrums mitten in Chemnitz. Immer wieder begegnet man darin auch kleinen Inseln: Rückzugsorte, an denen man sich in das ausliegende Material vertiefen kann, bis hin zu einer Art Teestube, in der ein orientalisch anmutender Samowar brodelt, und die einlädt, miteinander ins Gespräch zu kommen. Die Einrichtung, die Atmosphäre, alles wirke sehr einladend und ziehe interessierte oder auch nur neugierige Gäste an, resümiert Isabell Kolditz vom Team.

Im Dokumentationszentrum steht Bildungsarbeit an oberster Stelle – und wird als wichtiger Baustein für Prävention gedacht.Bildrechte: Ernesto Uhlmann

"Wir haben jetzt 8.500 Besucher geknackt", freut sich Kolditz. Auch wenn es statistisch noch nicht belegbar sei, nehme man wahr, dass ganz unterschiedliche Personen zum Dokumentationszentrum kämen, verschieden alt und aus unterschiedlichen Teilen Deutschlands: "Und was ich auch noch hervorheben kann, ist eben die Auseinandersetzung im Nachgang der Ausstellung, also dass die Leute hier zum Tresen kommen, sich noch einen Tee geben lassen und ihre eigene persönliche Interpretation und Fragen mitbringen."

Offener NSU-Prozess wird in Ausstellung thematisiert

So ist es auch nach der Führung an diesem Nachmittag. Der Gesprächsbedarf unter den Gästen ist groß, viele Fragen bleiben dennoch offen. Was naheliegt, da ja auch der NSU-Komplex noch nicht vollständig aufgeklärt ist, wie der Name des NSU-Dokumentationszentrum sagt: "Offener Prozess". Eine Wand, auf der in großen Buchstaben "Kein Schlussstrich" steht, erinnert ebenfalls daran.

Der NSU-Prozess ist auch nach Jahren noch nicht abgeschlossen. Das thematisiert auch die Ausstellung selbst.Bildrechte: Mark Frost

Das Programm, das neben den Führungen hier geboten wird, ist vielfältig: Filmreihen, Lesungen, Vorträge. Es gab aber auch schon einen Hip-Hop-Workshop. Inhaltlich geht es dabei um die Auseinandersetzung mit Rassismus, Antisemitismus, um Fragen des Zusammenlebens und um Perspektiven marginalisierter Gruppen.

Das Zentrum empört die Menschen, das berührt die Menschen und es aktiviert die Menschen.

Dominik Intelmann, Wissenschaftsreferent am NSU-Dokumentationszentrum

"Das funktioniert unglaublich gut. Das Zentrum, das empört die Menschen, das berührt die Menschen und es aktiviert die Menschen", so schildert Dominik Intelmann, Humangeograf und Stadtforscher, seine Erfahrungen seit der Eröffnung Ende Mai. Er verantwortet den Forschungsbereich des NSU-Dokumentationszentrums. Speziell Chemnitz und Umgebung wird Dominik Intelmann künftig beschäftigen bei seinem Vorhaben, noch einmal die langen Linien, die rechtsautoritäre Dynamik nachzuzeichnen.

Baseballschläger-Jahre werden künftig in den Blick genommen

"Wir versuchen zu rekonstruieren: Wie kann es zu so etwas wie dem NSU-Terror kommen? Welche Denkstrukturen, welcher Humus, welches gesellschaftliche Umfeld existieren da?", so Intelmann. In den nächsten Monaten wolle man sich dem Thema etwa durch eine Erforschung der sogenannten Baseballschläger-Jahre nähern: "die neonazistische Gewalt der 1990er-Jahre, die damals kaum dokumentiert wurde."

Eng arbeitet das Zentrum dabei mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in ganz Deutschland zusammen. Unter anderem mit Pjotr Kocyba vom Else-Frenkel-Brunswik-Institut für Demokratieforschung der Universität Leipzig. Der hält es für extrem wichtig, dass auch Forschungsprojekte realisiert werden, weil bislang viel zu wenig rechte Gewalttaten erforscht worden seien – nicht nur, aber eben auch in Mitteldeutschland.

"Und das andere ist natürlich: Es ist ein Thema, auf das man sich einlassen wollen muss, weil es mit sehr vielen Fragezeichen einhergeht", so Kocyba. Als Beispiel nennt er den oft schwierigen Zugang zu möglichen Interview-Partnern, aber auch die Sicherheit von Forschenden. Wenn es nun eine weitere Forschungseinrichtung auf dem Gebiet gebe, sei das nur zu begrüßen.

8.500 Besucher waren bereits im NSU-Dokumentationszentrum Chemnitz. Wie es langfristig weitergeht, steht noch nicht fest.Bildrechte: picture alliance/dpa | Sebastian Willnow

Bis Ende 2026 ist die Arbeit des NSU-Dokumentationszentrums "Offener Prozess" vorerst finanziert – ob und wie es danach weitergeht, steht noch nicht fest. Aber möglichweise wird sich bis dahin zeigen, dass durchaus auch Chemnitz ein geeigneter Standort für solch einen bundesweiten Erinnerungs- und Bildungsort ist. 

Informationen zur Ausstellung

Offener Prozess | NSU-Dokumentationszentrum Chemnitz
Johannisplatz 8, 09111 Chemnitz

Öffnungszeiten:
Mittwoch, Freitag, Samstag, Sonntag: 10–17 Uhr
Donnerstag: 11–17 Uhr

Weitere Informationen zum Programm auf der Website.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke