Nachdem russische Kampfjets erneut in NATO-Gebiet eingedrungen sind, zeigt sich das Bündnis alarmiert. Wie werden solche Luftraumverletzungen bemerkt? Wie kann die Abwehr aussehen? Und welche Rolle spielt die Bundeswehr?

Russlands Luftraumverletzungen verstärken die Spannungen an der Ostflanke der NATO und befeuern die Diskussion über eine angemessene Reaktion. Geht Russland immer weiter ins Risiko, um die NATO zu testen?

Das Bündnis reagierte nun mit einer Warnung: Man werde "alle notwendigen militärischen und nichtmilitärischen Mittel einsetzen, um uns zu verteidigen und alle Bedrohungen aus allen Richtungen abzuwehren", bekräftigte das Bündnis nach einem Treffen des NATO-Rats.

Die Überwachung des Luftraums rückt dadurch mehr und mehr in den Fokus. Ein Überblick, wie das militärische Vorgehen aussieht und welche Rolle Deutschland dabei spielt:

Wie werden Luftraumverletzungen erfasst?

Die NATO-Staaten beobachten aus verschiedenen Positionen mit Radaranlagen den Luftraum und führen diese zu einem Lagebild zusammen. Auch Maschinen, die ohne Funksignal ("Transponder") fliegen, werden bemerkt.

In Deutschland ist das Luftoperationszentrum Uedem ("Combined Air Operations Centre" oder CAOC) am Niederrhein dafür eine zentrale militärische Schaltstelle mit Aufgaben in der NATO sowie für Deutschland. Das Zentrum hat auch Zugriff auf Aufklärungsergebnisse, wie sie die deutschen "Patriot"-Systeme auf dem polnischen Flughafen Rzeszow gewinnen. Das CAOC überwacht und sichert den NATO-Luftraum nördlich der Alpen, von Island bis zur Ostflanke rund um die Uhr. Dazu gehören auch die Missionen zur Sicherung des Luftraums in den baltischen Staaten.

An ihrer Ostflanke hat die NATO vor mehr als zehn Jahren schon das sogenannte Airpolicing eingeführt. An verschiedenen Militärflugplätzen sind Kampfjets stationiert - Eurofighter zum Beispiel. Die Mitgliedstaaten wechseln sich ab, die Crews dafür zu stellen.

Was passiert bei einem Alarm?

Wird ein verdächtig anfliegendes Flugzeug bemerkt, steigen Alarmrotten zu einem Alarmstart ("alpha scramble") auf. In der Regel sind es in Deutschland zwei Eurofighter, die nach NATO-Standard binnen 15 Minuten in der Luft sein müssen. "Bei Alarmierung rennen zwei Piloten zu ihren Kampfflugzeugen", schreibt die Bundeswehr dazu. Über den baltischen Staaten, die keine eigenen Jagdflugzeuge haben, übernehmen NATO-Partner die Aufgabe in Rotation. 

Zudem halten Verbündete nach den jüngsten Zwischenfällen Verstärkung bereit. So stellt die Bundeswehr künftig vier statt nur zwei Kampfjets, um sich an bewaffneten Schutzflügen über Polen zu beteiligen. Sie sind auf dem Fliegerhorst in Rostock-Laage stationiert. Frankreich stellt drei Rafale-Kampfjets für die Überwachung des Luftraums an der Ostflanke, Dänemark zwei F-16.

Wie oft gibt es solche Fälle?

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine kommt das immer mal wieder vor. Die Regierung von Estland kritisiert seit Monaten, dass zumindest kurz russische Kampfjets ins NATO-Gebiet fliegen.

Das können Zufälle sein, wenn die Maschinen wirklich nur kurz in dem Luftraum waren. Wenn es aber gleich mehrere Flugzeuge für längere Zeit sind, wie in dem Fall über Estland, dann ist das wohl kein Zufall. Von der Bundeswehr heißt es, Russland will austesten, wie die Reaktionszeit der NATO-Flugzeuge ist.

Immer häufiger schalten russische Maschinen zudem ihr Transponder-Signal aus. Das macht sie unsichtbar für die zivile Luftsicherung - dann kann definitiv nicht mehr von einem Zufall die Rede sein. 

Während die Kampfflugzeuge über Estland ganz klar und die nach Polen eingedrungenen Militärdrohnen relativ sicher zugeordnet werden können, gibt es für viele andere Zwischenfälle mit Drohnen nur Indizien. Eine klare Zuordnung - die Fachleute sprechen von Attribuierbarkeit - ist wiederholt unmöglich gewesen - und womöglich auch das Konzept von Angreifern. 

Welche militärischen Handlungen sind denkbar?

Die Piloten der Abfangjäger sind zur Selbstverteidigung autorisiert. Allerdings sind bisher beide Seiten darauf bedacht, schon den Anschein eines versuchten Angriffs zu vermeiden.

Die Luftwaffe des NATO-Staates Türkei hatte 2015 ein russisches Kampfflugzeug Suchoi Su-24 abgeschossen, weil es nach türkischen Angaben aus Syrien in den Luftraum der Türkei eingedrungen war. Es folgte eine politische Eiszeit zwischen Ankara und Moskau. Allerdings birgt der Ostsee-Raum ein erheblich größeres Eskalationspotenzial. 

Denkbar ist, dass NATO-Flugzeuge eingedrungene russischen Maschinen abdrängen, also einen Richtungswechsel bewirken. Die von Estland veröffentlichte Flugroute zeigt eine gerade Linie als eine Art Abkürzung durch den NATO-Luftraum und wieder hinaus. Dabei handelt es sich aber augenscheinlich um eine vereinfachte Grafik.

Was wurde in der NATO beraten?

Für das Verteidigungsbündnis stellte sich nach den Ereignissen der vergangenen Wochen die Frage, wie es reagieren soll. In einer ersten Antwort war bereits am 12. September nach dem Auftauchen russischer Drohnen im polnischen Luftraum ein Einsatz für eine noch bessere Überwachung und Verteidigung der Ostflanke gestartet worden. 

Die NATO warnt nun Russland unter Androhung von Gewalt vor weiteren Luftraumverletzungen. Die NATO und die Alliierten würden im Einklang mit dem Völkerrecht alle notwendigen militärischen und nicht-militärischen Mittel einsetzen, um sich zu verteidigen und Bedrohungen aus allen Richtungen abzuschrecken, heißt es in einer nach Beratungen in Brüssel veröffentlichten Erklärung aller 32 Bündnisstaaten.

Könnte es zu einem Abschuss kommen?

Theoretisch wäre das bei einer nächsten Luftraumverletzung möglich. Das würde es Russlands Präsident Wladimir Putin aber erlauben, selbst über eine militärische Verschärfung des Konflikts zu entscheiden. So könnte er etwa russische Piloten eine vergleichsweise harmlose Luftraumverletzung begehen lassen und den folgenden Abschuss dann nutzen, um den Konflikt in seinem Sinne zu eskalieren oder um die Ereignisse kommunikativ für sich zu nutzen.

Zugleich bestünde die Gefahr, dass NATO-Staaten wie Italien ihre Kampfjets aus dem NATO-Überwachungseinsatz an der Ostflanke zurückziehen, weil sie nicht wollen, dass ihre Piloten auf Befehl des zuständigen NATO-Befehlshabers ein russisches Flugzeug abschießen.

Mit Informationen von Oliver Neuroth, ARD-Hauptstadtstudio, und Material der Nachrichtenagentur dpa

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