• An der Questenberg-Grundschule können Kinder frei arbeiten und selbst mit entscheiden, welche Aufgaben sie wann, wie und wo lösen.
  • Flexible Kursangebote und effiziente Organisation machen die Schule widerstandsfähig gegen Personalknappheit.
  • Als nominierte Schule für den Deutschen Schulpreis zeigt die Questenberg-Grundschule, wie staatliche Schulen mutig und erfolgreich neue Wege gehen können.

Oskar Vetters ist ein "Durchstarter": Das steht auf dem Anhänger, den der Neunjährige an einem orangefarbenen Band um den Hals trägt. Und damit darf er seine Aufgaben überall in der Schule erledigen. Gerade hat der Drittklässler sich für einen seiner Lieblingsorte, nämlich die Schulbibliothek, entschieden. Hier liest er erst einen Text über die Kartoffel und füllt dann einen Lückentext dazu aus. Danach kann die Aufgabe auf seinem Lernzettel mit 20 Aufgaben als erledigt abhaken.

Ich find' das richtig cool, dass wir keinen eigenen Stundenplan haben, zum Beispiel jeden Donnerstag in der fünften Stunde Sport, sondern dass unsere Lehrer es frei aussuchen dürfen.

Oskar Vetters, Drittklässler

Doch nicht nur das: Der Lernzettel sagt ihm, welche Aufgaben Pflicht- und welche Wahlaufgaben sind, ob sie von ihm oder Lehrerin kontrolliert werden und er kann ankreuzen, wie leicht oder schwer ihm die Aufgabe fiel. "Das freie Arbeiten macht mir sehr viel Spaß und ich finde es cool, dass wir keinen Stundenplan haben", sagt Oskar. Wenn er im Schulhaus unterwegs ist, hat er immer einen Pager dabei. Und wenn der piept, muss Oskar zurück ins Klassenzimmer kommen.

Kernunterricht statt Stundenplan

In diesem Klassenzimmer befindet sich an diesem Vormittag etwa die Hälfte der Schüler der 3b. Klappt das selbstständige Arbeiten (noch) nicht, müssen die Kinder in der Nähe von Lehrerin Aline Schaal bleiben. Die hat so mehr Zeit für die, die mehr Unterstützung brauchen. Klassische Schulstunden gibt es an der Questenberg-Grundschule in Meißen nicht mehr. Alle Fächer wie Deutsch, Mathe oder Musik werden im Kernunterricht am Vormittag vereint.

Pflichtaufgaben und die Aufsicht der Lehrerin sorgen dafür, dass die Kinder alle wichtigen Grundlagen lernen. Zensuren gibt es nur in Mathe, Deutsch und Sachkunde. Und gleichzeitig können die Kinder durch die Wahlaufgaben in den Sachen noch besser werden, die ihnen besonders gut liegen oder die sie gern machen. "Die Kinder können sich ein Stückweit die Fächer aussuchen, also von welcher Seite sie ein Thema wie die Kartoffel beleuchten wollen", erklärt Oskars Lehrerin Aline Schaal. Sie beobachtet, dass die Kinder so viel motivierter und aus Eigeninitiative lernen.

Blick in ein Klassenzimmer der Questenberg-Grundschule.Bildrechte: MDR

Schulleiterin Antje Buschmann ergänzt: "Die Kinder müssen auch ihre Stärken erst mal finden". Es sei nicht selbstverständlich, dass sie wissen, was sie gut können. Von Kind zu Kind unterschiedlich sei eben auch, ob sie viel Freiraum beim Lernen brauchen oder eine intensive Begleitung. Buschmann ist stolz, dass das Konzept der Schule die Individualität der Kinder fördert.

Lehrermangel: kein Problem

Am frühen Nachmittag bietet die Schule den sogenannten Kursunterricht an. Hier können die Kinder aus Dutzenden Kursen auswählen: Zur Auswahl stehen dann etwa Tanzen, Töpfern, Instrumente oder Forschen. Vom Konzept von Antje Buschmanns Schule, mit dem sie es unter die 15 Nominierten des Deutschen Schulpreises geschafft haben, profitieren nicht nur Schüler und Lehrkräfte im Unterricht.

Auch der viel beklagte Lehrermangel wird auf dem Questenberg, wo die Schule steht, nicht zum Problem. "Andere Schulen stöhnen und ächzen, weil sie streichen oder ständig umplanen müssen. Dieses Problem haben wir nicht mehr”, so Buschmann. Auch ihr wurden im Vergleich zum Vorjahr Ressourcen gekürzt. Doch es sei kaum spürbar, wenn die Schule im Kursbereich von 80 auf 70 Kurse kürze und die Gruppen um je zwei Kinder größer würden.

Auch staatliche Schulen können Lernen anders gestalten

Das Beispiel Questenberg-Schule zeigt: Andere Formen des Lernens sind möglich, auch an staatlichen Schulen. In Meißen ist es ein Schulversuch, der vom Kultusministerium geprüft und genehmigt wurde.

Wir weichen an sehr wenigen Punkten von den gesetzlichen Regelungen ab und eigentlich haben alle Schulen sehr große Freiräume, ihren Schulalltag zu gestalten. 

Schulleiterin Antje BuschmannQuestenberg-Grundschule

Doch Antje Buschmann betont: "Wir weichen letztlich an sehr wenigen Punkten von den gesetzlichen Regelungen ab und eigentlich haben alle Schulen sehr große Freiräume, ihren Schulalltag zu gestalten." Sie müssten ihn nur nutzen." Die Questenberg-Grundschule ist außerdem eine Startchancen-Schule. Das sind Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler, die vom Bund finanziell gefördert werden.

Auch beim Ministerium freut man sich über die Schulpreis-Nominierung für die Questenberg-Grundschule und sieht in dem Projekt Potentiale für die Zukunft. Sachsens Kultusminister Conrad Clemens sagte MDR AKTUELL: "Die Nominierung für den deutschen Schulpreis ist ein Fingerzeig in Richtung Zukunft der sächsischen Schule." Vorbildlich ist an der Schule laut Ministerium der Wille zur Veränderung, die Kommunikationskultur und die professionelle Leitung.

Schule der Zukunft

Eins zu eins übertragen könne man das Modell aber nicht auf andere Grundschulen, heißt es aus dem Ministerium: "Nicht jede Schule kann das gleiche Modell übernehmen, da die Voraussetzungen vor Ort immer unterschiedlich sind." Wichtig sei, dass jede Schule ihr eigenes pädagogisches Konzept gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern, den Lehrkräften, Eltern sowie dem Hort und den Bildungspartnern in der Region entwickle.

Der Schulversuch an der Questenberg-Grundschule läuft noch zwei Jahre. Nur deshalb kann die Schule auf Noten in den Nebenfächern verzichten, die eigentlich laut Schulordnung vorgeschrieben sind. Allerdings wird laut Sachsens Kultusministerium im Strategiepapier "Bildungsland Sachsen 2030" angestrebt, allen Grundschulen alternative Bewertungsformen zu ermöglichen. Dieser Rahmen sei eine realistische Option, das Modell in Meißen weiterführen zu können.

Schulpreis als Mutmacher für andere Schulen

Einer, der wohl mehr Schulkonzepte wie auf dem Questenberg begrüßen würde, ist der Bildungsforscher Dieter Dohmen. Er wünscht sich engagierte Schulleiterinnen und Schulleiter, die Schule verändern wollen. "Wir müssen wegkommen von zentralen Vorgaben und die Schulen entscheiden lassen, was ist in meiner Situation, bei meinem Schülerklientel möglich? Wo lasse ich Freiraum, damit die Schüler sich frei entfalten können und wo muss ich klar und strukturiert rangehen?" Nur so könnten die Schulen motiviertes Lernen unterstützen.

Die Meißener Schulleiterin Antje Buschmann freut sich über jede Anfrage zu ihrem Schulkonzept. Immer wieder kommen Pädagogen, um sich anzuschauen, wie die Questenberg-Grundschule funktioniert. Auch Buschmann hat sich zuvor viele Schulen angeschaut und dann mit Lehrern, Schülern, Eltern und Unterstützung aus dem Kultusministerium an ihrem Konzept gefeilt. Das sei kein einfacher Weg gewesen. Umso stolzer ist sie über die Nominierung für den Deutschen Schulpreis.

Buschmann hofft, damit auch andere zu motivieren: "Jede Aufmerksamkeit, die man mit anderen Konzepten gerade als staatliche Schule bekommt, hilft natürlich auch dabei, anderen Schulen Mut zu machen, sich auf den Weg zu begeben." Auch Oskar aus der 3b ist stolz auf seine Schule. Und auch wenn er beim freien Lernen gern mit einer Pflichtaufgabe startet und sich dabei besonders Mühe gibt – am meisten liebt er es, selbst wählen zu können.

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