Inhalt des Artikels:

  • Kaum noch Kontakt zu Andersdenkenden
  • Akzeptanz für geselschaftliche Vielfalt nimmt ab
  • Ost gegen West: Zuwanderung als Streitthema
  • Deutschland ist gespalten wie nie zuvor

Die Bilder sind inzwischen schon ein wenig in Vergessenheit geraten: Ab Herbst 2014 marschierten Tausende Menschen Montag für Montag unter dem Schild Pegida durch Dresdner Straßen. Ihre Wut richtete sich vor allem gegen Migranten. "Wir sind das Volk", war eine ihrer Losungen. Heute, elf Jahre später, stellt sich angesichts der enormen gesellschaftlichen Spaltung die Frage: Sind wir noch EIN Volk?

Kaum noch Kontakt zu Andersdenkenden

Bis heute ist das Thema Migration eines der heißen Eisen, die die Gesellschaft entzweien – neben Klimawandel und Klima-Aktivismus, LGBTQ-Gleichberechtigung und Gender. Nicht nur die teils abfälligen Bezeichnungen für die Vertreter des gegnerischen Lagers in diesen Kulturkriegen – etwa "Klimakleber" oder "Putin-Versteher" – zeugen davon, wie sehr die Emotionen hier hochkochen können. Aufnahmen mit wütenden, gestressten Autofahrern, die im morgendlichen Berufsverkehr von Klimaaktivisten behindert wurden und verbal oder körperlich ausfällig wurden, sorgten in ganz Deutschland für Aufsehen.

Protest von Klimaaktivisten der "Letzten Generation" in BerlinBildrechte: IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Immer mehr Menschen machen zudem keinen Hehl daraus, dass sie keinerlei Kontakt zu Vertretern des gegensätzlichen ideologischen Lagers haben – und ihn auch nicht suchen. "In meinem persönlichen Umfeld ticken eigentlich alle so wie ich: kein Grünwähler, auf gar keinen Fall SPD-Wähler. Und ich kann jetzt nicht sagen, dass mir da irgendetwas fehlt", sagt René Jahn, der 2014 zu den Gründungsmitgliedern der migrations- und islamkritischen Bewegung Pegida ("Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes") zählte.

In der MDR-Dokumentation "Sind wir noch ein Volk?" wird er mit der kurdischstämmigen deutschen Rapperin und Schauspielerin Ebow konfrontiert. Und die entgegnet ihm – virtuell, denn im echten Leben hat sie keine Lust auf ein persönliches Treffen: "Ich habe keine Leute im Umfeld, die rechts sind oder die die AfD wählen würden. Und das liegt daran, dass mein FreundInnenkreis mehrheitlich nicht weiß ist und auch selbst von Rassismus betroffen ist." Als Enkelin türkischer Gastarbeiter und lesbische Frau erlebt die Rapperin gleich aus zwei Gründen Hass und Ausgrenzung. Ihre daraus resultierende Wut und Angst thematisiert sie oft in ihren Songs.

Eine Pegida-Demonstration am Elbufer in DresdenBildrechte: imago/epd

Akzeptanz für geselschaftliche Vielfalt nimmt ab

Die Angst ist offenbar nicht unbegründet, wenn man sich die Ergebnisse des Vielfaltsbarometers 2025 der Robert-Bosch-Stiftung anschaut. Während 2019 noch 63 Prozent der Befragten bei dieser repräsentativen Umfrage zunehmende Vielfalt eher oder sehr stark als Bereicherung erachteten, waren es 2025 nur noch 45 Prozent. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil derjenigen, die Vielfalt als Bedrohung wahrnehmen. 

Das Vielfaltsbarometer der Robert Bosch Stiftung (bitte aufklappen)

Das Vielfaltsbarometer der Robert Bosch Stiftung untersucht die Einstellung der Bevölkerung zu sieben Dimensionen gesellschaftlicher Vielfalt: Lebensalter, Behinderung, Geschlecht, sexuelle Orientierung, sozioökonomische Schwäche, ethnische Herkunft und Religion. Die aktuellen Ergebnisse zeigen: In vier dieser Bereiche ist die Akzeptanz seit 2019 rückläufig, zum Teil sogar deutlich gesunken.

Beim Teilaspekt sexuelle Orientierung ging die Akzeptanz von 77 Prozent auf 69 um acht Punkte zurück. Beim Teilaspekt ethische Herkunft sank sie noch drastischer – von 73 Prozent im Jahr 2019 auf 56 Prozent aktuell. Besonders niedrig sind die Zustimmungswerte zur gesellschaftlichen Vielfalt allgemein und zur Vielfalt der ethnischen Herkunft in den ostdeutschen Ländern Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern.

Die kurdischstämmige deutsche Rapperin Ebow im InterviewBildrechte: Hoferichter & Jacobs

Ost gegen West: Zuwanderung als Streitthema

Pegida-Gründungsmitglied Jahn wundert das nicht: "Aus meiner Sicht ist die Integration in unserem Land völlig gescheitert. Wir sind völlig überfordert mit der Zuwanderung. Das ist eine Sache, vor der wir vor elf Jahren schon gewarnt haben", sagt er in der MDR-Dokumentation "Sind wir noch ein Volk?". Pegida habe für den gesamten Osten Deutschlands gesprochen, meint er: "Der Osten oder ein großer Teil vom Osten sagt halt: Moment mal, wir wollen nicht, dass es bei uns so ist wie in irgendeinem Westberliner Stadtteil."

Die in München geborene und in Berlin lebende Rapperin Ebow verwahrt sich gegen solche pauschalen Urteile: "Wenn ich durch München fahre – das ist meine Kindheit, das ist meine Jugend, das ist mein ganzes Leben. Und da muss ich mir doch nicht die Frage stellen, ob ich dazugehöre oder nicht. Es ist viel eher so, dass dieses Land und die Städte, wo ich aufgewachsen bin, wo ich mein Leben verbringe, dass sie zu mir dazugehören, weil sie Teil von meiner Geschichte sind." Sie fragt: "Wer hat die Macht, darüber zu entscheiden, wer hier sein darf?"

Pegida-Gründungsmitglied René Jahn im InterviewBildrechte: Hoferichter & Jacobs

Deutschland ist gespalten wie nie zuvor

Dass die Spaltung der Gesellschaft zunimmt, belegt auch der Populism Report 2025, für den Bürger aus 31 Nationen befragt wurden. Mehr als drei Viertel der Deutschen (77 Prozent) sind demnach der Ansicht, die Gesellschaft sei zerrüttet. Das sind 16 Prozentpunkte mehr als noch 2021. In keinem anderen Staat der Welt ist die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Spaltung so stark ausgeprägt wie in Deutschland – im globalen Durchschnitt sind 56 Prozent der Bürger der Meinung, die Gesellschaft in ihrem Land sei gespalten, in Deutschlands Nachbarland Polen sogar nur 40 Prozent.

"Wir sind in Meinungen und Ansichten viel zu zersplittert. Ich habe keine Ahnung, wie das wieder in ein Ganzes gefügt werden könnte – was eigentlich gut wäre", sagt Jahn. "Ich möchte glauben, dass wir noch nicht so gespalten sind, dass wir nicht mehr zusammenfinden könnten. Wir müssen uns darauf konzentrieren, was wir zusammen wollen", fügt Ebow hinzu – wohlgemerkt nur virtuell in der MDR-Doku, denn im realen Leben schließt sie ein Treffen mit Jahn aus.

MDR (baz)

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