"Ich muss mir Geld leihen": Studentin Zoe wartet seit über einem Jahr auf ihren Bafög-Bescheid
- Noch immer monatelanges Warten auf Bafög-Bescheide in Thüringen
- Sachsen-Anhalt: Lange Wartezeiten nur bei unvollständigen Anträgen
- Studierendenwerk Leipzig kritisiert gesetzliche Hürden beim Bafög
- Deutsches Studierendenwerk fordert umfassende Bafög-Reform
Zoe studiert Mediendesign an der Internationalen Hochschule (IU) in Erfurt. Und sie hat Anspruch auf die Studienförderung Bafög. Diese monatliche finanzielle Stütze soll ihr das Studium ermöglichen – eigentlich. Auf die Bearbeitung ihres Antrags wartet sie bereits seit mehr als einem Jahr: im April 2024 hat sie ihn eingereicht. Seitdem lebt sie größtenteils von Erspartem.
Zoes Studium an der privaten Hochschule erfolgt dual: Neben der Theorie absolviert sie praktische Phasen, die vergütet werden. Damit verdient Zoe 390 Euro netto pro Monat, die ihre noch günstige Leipziger Miete abdecken. Nahrungsmittel und Einkäufe kann sie damit nicht zahlen. Immer wieder gerate sie in finanzielle Nöte, müsse sie sich Geld leihen – von Freunden, Großeltern, der Mutter, denen sie das Geld schnellstmöglich zurückzahlen muss. Diese ständigen finanziellen Sorgen schränken ihre Lebensqualität mittlerweile sehr ein, sagt Zoe.
Ausnahmesituation in Thüringen
Zoe ist kein Einzelfall in Thüringen. Seit Langem gibt es Kritik und Studierendenproteste wegen langer Bearbeitungszeiten für Bafög-Anträge in Thüringen. Auch das zuständige Studierendenwerk in Jena übt Kritik. Es sei unter anderem mehr Personal eingestellt worden und Unterlagen könnten inzwischen komplett digital verarbeitet werden, hieß es in einer Ende Juni veröffentlichten Mitteilung des Studierendenwerks Jena.
Die anhaltenden Verzögerungen bei der Bearbeitung von Anträgen sei dem Studierendenwerk bewusst. "Die Wartezeiten sind nicht nur für die Studierenden unerträglich. Auch wir sind mit der Situation unzufrieden", hieß es weiter. An Zoes Situation zeigt sich aber, dass das Problem dennoch weiter besteht.
Zu wenig Personal, zu viel Bürokratie
Das Studierendenwerk verweist in der Erklärung unter anderem auch auf eine mangelhafte personelle Ausstattung und auf eine hohe Auslastung der zuständigen Sachbearbeiter. Das Personal hat in Thüringen besonders viel zu tun, weil dort seit 2019 auch die Anträge der zahlreichen Studierenden der IU bearbeitet werden müssen. An der Internationalen Hochschule sind auch zahlreiche Studierende aus der ganzen Bundesrepublik eingeschrieben, die im Fernstudium oder an anderen Orten studieren.
Derzeit müssen demnach mehr als doppelt so viele Anträge bearbeitet werden als noch 2020. Viele davon seien nicht vollständig, was die Bearbeitung zusätzlich in die Länge ziehe, heißt es.
Darunter fiel auch der Erstantrag von Zoe. Mehrfach habe sie Unterlagen nachreichen müssen, selbst ihr Vater sei direkt in Kontakt mit dem Bafög-Amt getreten, sagt sie. Ihren Folgeantrag im vergangenen April habe sie frühzeitig und korrekt gestellt. Nach mehrfachem Schriftverkehr wisse sie aber noch immer nicht, welchen Status ihr Antrag habe – selbst die Information, ob und welche Dokumente fehlten, erreiche viele Studierende schlichtweg nicht.
Sachsen-Anhalt: Wartezeiten nur bei unvollständigen Anträgen
Derart lange Wartezeiten gibt es im Nachbarbundesland Sachsen-Anhalt nicht. Das Studentenwerk Halle teilte auf Anfrage mit, dass für die Bearbeitung vollständiger Anträge vier bis sieben Wochen und für unvollständige Anträge acht bis zehn Wochen benötigt werden. Das größte Problem sei, dass etwa 90 Prozent der Anträge unvollständig eingereicht werden. Grund dafür sei unter anderem die "große Komplexität der Formulare", die einer wiederum sehr kleinteiligen Gesetzeslage geschuldet sei.
Auf beiden Seiten wäre eine deutliche Vereinfachung der Gesetzeslage von Vorteil, heißt es aus Halle. Dort wünscht man sich auch eine schneller fortschreitende Digitalisierung. Noch immer müsse der vom Amt ausgehende Schriftverkehr per Post erfolgen – das stelle eine zusätzliche Hürde dar.
Studierendenwerk Leipzig kritisiert gesetzliche Hürden
Auch in Sachsen ist die Situation nicht so angespannt wie in Thüringen. In Sachsen müsse bis zu zwölf Wochen auf den Bafög-Bescheid gewartet werden, teilte das Studierendenwerk Dresden mit. Demnach sind auch dort viele Anträge fehlerhaft. Vollständige Anträge könnten innerhalb von drei bis vier Wochen bearbeitet werden.
Das geht auch aus einer Zufriedenheitsbefragung des Studierendenwerks Leipzig hervor. Demnach musste die überwiegende Mehrheit der Befragten durchschnittlich ein bis vier Monate vom Einreichen des Antrags bis zum Erhalt des Bescheids warten.
Michael Mohr vom Studierendenwerk Leipzig kritisiert auch die hohen gesetzlichen Hürden beim Bafög, die die Bearbeitung der Anträge erschweren: "Dauerbrenner bleibt nach wie vor die Komplexität des Bafög. Es bedarf daher einer grundlegenden Bafög-Reform, was wir auch über unseren Dachverband, das Deutsche Studierendenwerk, seit Jahren fordern", sagt er dem MDR.
Bundesforschungsministerin kündigt Bafög-Reform an
Egal, an welcher Stelle man fragt, ob auf Seite der Studierenden, oder der zuständigen Ämter: Überall werden Forderungen nach einer Bafög-Reform laut, um die Struktur des Gesetzes sowie die bürokratischen Anforderungen für alle Beteiligten zu erleichtern.
Das soll nun auf politischer Ebene angegangen werden. Bundesforschungsministerin Dorothee Bär hat jüngst eine umfassende Reform des Bafög zum Wintersemester 2026/2027 in Aussicht gestellt. Auch eine Erhöhung des Bafög-Satzes steht aus. "Am Image des Bafög hat sich seit meiner eigenen Studienzeit leider kaum etwas verbessert. Das Hauptproblem ist, wie so oft in Deutschland, die überbordende Bürokratie", sagte Bär der "Rheinischen Post". Ziel müsse es sein, das Bafög "digitaler, einfacher und bekannter" zu machen, sagte die Ministerin.
Deutsches Studierendenwerk: Regierung muss nachlegen
Kritik kommt prompt vom Deutschen Studierendenwerk. Vorstandsvorsitzender Matthias Anbuhl sieht vor allem einen Haken: Die Bafög-Erhöhung komme sehr spät. Er nennt ein Beispiel: "Ab Herbst 2026 soll der Wohnzuschlag für Studierende, die nicht bei den Eltern wohnen, von 380 auf 440 Euro im Monat steigen. Das Problem: Diese 440 Euro entsprechen den berechneten Bedarfssätzen für das Jahr 2025." Die Mietpreise stiegen deutschlandweit jedoch weiter an.
Eine vor Kurzem veröffentlichte Analyse des Moses Mendelssohn Instituts zeigt, dass Studierende im bundesweiten Schnitt derzeit 505 Euro pro Monat für die Miete zahlen. "Hier muss die Regierung nachlegen", sagt Matthias Anbuhl dem MDR. Dank der vergleichsweise niedrigen Mieten in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen liegen der Analyse zufolge die Wohnkosten derzeit nur in Leipzig über der im Bafög enthaltenen Wohnkostenpauschale. Dort zahlen Studierende derzeit durchschnittlich 420 Euro.
"Zu komplizierte Formulare schrecken ab"
Auch Anbuhl fordert ein einfacheres und vollständig digitalisiertes Bafög-Verfahren. "Warum müssen zum Beispiel die Studierenden die Einkommenssteuer-Bescheide ihrer Eltern bei den Bafög-Ämtern einreichen, wenn die Finanzämter diese Daten längst vorliegen haben", nennt er als Beispiel.
"Die Anträge müssen so übersichtlich gestaltet sein, dass Studierende sie auch akzeptieren – zu komplizierte Formulare schrecken ab", sagt Anbuhl. Die Generation der Digital Natives erwarte zu Recht eine durchgehende Digitalisierung. Zugleich müssten die zuständigen Ämter personell und technisch so ausgestattet sein, dass Anträge schneller bearbeitet werden können. Nur so können monatelangen Wartezeiten und Schicksale wie das von Zoe auch vermieden werden.
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