Wende: Wirtschaftskrise hat Gesundheit vieler Wendekinder beeinträchtigt
Wer 1989 noch ein Baby war oder erst wenige Jahre alt, der hat die Wende und den Zusammenbruch der Wirtschaft der ehemaligen DDR sicher nicht bewusst erlebt. Aber haben diese Kinder die Krise deshalb unbeschadet überstanden? Die Soziologin Lara Bister war skeptisch. Denn Forscher hatten für Wirtschaftseinbrüche wie die globale Finanzkrise von 2008 bereits Gesundheitsfolgen nachgewiesen. "Es gibt Berichte, dass in vielen Ländern nach der Krise die Übergewichtsrate bei Kindern gestiegen ist", sagt die Forscherin.

Deshalb machte sie sich auf die Suche nach Daten zu den Folgen der deutschen Wiedervereinigung. Anfangs war sie optimistisch. "Meine erste Intuition war: Da muss es doch was geben, das ist doch kein Nischenthema." Doch dann stellte sie fest: Die Gesundheitsauswirkungen der deutschen Wiedervereinigung bei Kindern und Jugendlichen sind kaum erforscht, Daten Mangelware.
Gesundheitsfolgen: Wendekinder zeigen erhöhtes Risiko für Stoffwechselprobleme
Bister und ihre Kollegen Fanny Janssen und Tobias Vogt fanden schließlich die Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGSS), die das Robert Koch-Institut zwischen 2003 und 2017 durchgeführt hatte. Daran hatten Menschen teilgenommen, die zwischen 1985 und 1994 geboren worden waren. Das Team wertete die Daten von 1.515 Personen aus. 392 davon waren in Ostdeutschland geboren worden (212 Männer, 171 Frauen) und hatten die Krise entweder als kleine Kinder erlebt oder waren sogar währenddessen auf die Welt gekommen. Zum Zeitpunkt der Gesundheitschecks waren diese Menschen zwischen 19 und 30 Jahre alt.
Der Vergleich zeigte, dass die Ostdeutschen ein um 5,89 Prozent erhöhtes Risiko für eine schlechtere Stoffwechselgesundheit hatten als ihre westdeutschen Altersgenossen. Vor allem bei Frauen zeigte sich ein etwas höherer Blutdruck. Am höchsten waren die Risiken bei Frauen, die 1992 und 1993 geboren wurden, die also wahrscheinlich bereits im Mutterleib Stress ausgesetzt waren, weil ihre Mütter mit der Wirtschaftskrise umgehen mussten.
Sozio-ökonomisches Panel zeigt: Psychische Belastung bei ostdeutschen Frauen höher
Eine zweite Datenquelle fand das Forscherteam mit dem Sozio-ökonomischen Panel (SOEP). Die Kohortenstudie konnte mit Daten der Deutschen Rentenversicherung verbunden werden. Das machte auch hier Angaben von Menschen aus Ost und West vergleichbar. Bister und Kollegen werteten Daten von 2.337 Personen aus, von denen 982 in den Jahren 1973 und 1989 in der DDR geboren worden waren. Sie hatten im Alter von 17 bis 30 Jahren Auskunft über ihre physische und mentale Gesundheit gegeben.
Zwar gaben die Ostdeutschen bei den Fragen zur physischen Gesundheit ähnliche Werte an wie ihre westdeutschen Altersgenossen. Doch das sei wahrscheinlich dem Umstand geschuldet, dass sie zum Zeitpunkt der Befragung noch sehr jung gewesen seien und Risikofaktoren wie Blutdruck in diesem Alter noch kaum spürbar waren, vermutet Lara Bister.
Wirtschaftskrisen wirken nach: Frühkindlicher Stress beeinflusst Gesundheit langfristig
Bei den Fragen zur psychischen Gesundheit dagegen fiel den Wissenschaftlern auf, dass die ostdeutschen Frauen tendenziell schlechtere Werte berichteten. "Dabei geht es um soziale Kontakte im Freundes- und Familienkreis. Es geht darum, ob man seinen Alltag und seine Strukturen und seine Aufgaben bewältigen kann, ob man seiner Arbeit nachgehen kann", erklärt die Soziologin.
Beide Auswertungen zeigen nicht: Jeder, der zur Wende im Osten geboren wurde, hat dadurch gesundheitliche Probleme bekommen. Dafür sind die Datensätze viel zu klein. Doch die Studien geben ein Warnsignal: Eine Wirtschaftskrise hat für Menschen sehr langfristige Auswirkungen, die über die Zeit der Krise weit hinausgehen. Das kann später hohe Kosten im Gesundheitssystem nach sich ziehen.
Soziale Unterstützung entscheidend: Forschung empfiehlt Hilfe statt Kürzungen in Krisenzeiten
Wollen Staaten solche Kosten vermeiden, rät Lara Bister, in einer Wirtschaftskrise nicht bei der sozialen Unterstützung zu sparen. "Menschen, die großem wirtschaftlichen Stress ausgesetzt sind, sollten keine Einschränkungen in anderen Bereichen erfahren", sagt sie. Üblicherweise passiere aber das Gegenteil.
Daneben hofft sie, dass ihre Arbeit Betroffenen hilft, einen Teil ihres Schicksals zu verstehen. Für die Körberstiftung gehört Lara Bisters Promotion zu den besten von 2025. Sie hat ihr dafür den mit 25.000 Euro dotierten Deutschen Studienpreis in der Sektion Sozialwissenschaften verliehen.
Links/Studien
- Bister, Janssen, Vogt (2022): Early-life exposure to economic stress and metabolic risks in young adulthood: the children of the reunification in East Germany, Journal of Epidemiology and Community Health
- Bister, Spijker, Janssen, Vogt (2023): Scarred for Life? Early-Life Experience of the Post-Reuni. cation Economic Crisis in East Germany and Physical and Mental Health Outcomes in Early Adulthood, Comparative Population Studies
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