Das war am Ende richtig knapp! Im Herbst helfe ich gerne mal bei der Weinlese aus, und dieses Jahr hatte ich mir dafür das Weingut Wagner ausgesucht, einen Familienbetrieb in Essenheim. Der Ort liegt ganz in der Nähe von meinem Wohnort Mainz, mitten im größten deutschen Weinanbaugebiet Rheinhessen.

Ende August hatte ich Kontakt zu Wagners aufgenommen. Irgendwann in den vielen Wochen der Lese wird sich garantiert ganz entspannt eine Lücke in meinem Terminkalender finden, dachte ich mir.

Doch dann klangen die Formulierungen in den Mails, die Winzer Andreas Wagner in seinem "Lesehelfer-Verteiler" schrieb, Mitte September plötzlich immer eiliger. Erst schritt die Lese nur gut voran, dann bog sie plötzlich schon auf die Zielgerade ein, um dann nach wenigen Wochen schon kurz vor dem Abschluss zu stehen! Am Ende konnte ich gerade noch so auf den Lese-Zug aufspringen, und habe am allerletzten Tag der diesjährigen Lese bei Wagners die Schere geschwungen, super-reife und süße Trauben gelesen und dabei viel darüber erfahren, wie der Klimawandel den Weinbau verändert.

Was für mich nur eine kleine Anekdote ist, bedeutet für Winzerinnen und Winzer in ganz Deutschland eine echte Herausforderung: Der Klimawandel zwingt sie dazu, immer häufiger auf Extremsituationen zu reagieren. Auf extremes Wetter, auf extreme Trockenheit oder, wie in diesem Jahr, auf extremen Zeitdruck.

Denn nicht nur bei Wagners musste es in diesem Jahr schnell gehen. Das Deutsche Weininstitut schreibt, dass in allen 13 deutschen Weinanbaugebieten die Lese früh begann, schnell zu Ende war und viele Rebsorten gleichzeitig erntereif waren. Eine "Turbo-Lese", die innerhalb weniger Wochen alle verfügbaren Kapazitäten gebunden hat.

Nina Wagner, die Frau von Andreas, erzählt mir, dass sie sich noch an Jahre erinnert, in denen bis Mitte Oktober gelesen wurde. Und jetzt? "Es ist der 19. September, und wir sind mit der Lese fertig. Das ist schon krass."

"Die Südfranzosen" erobern Rheinhessen

Immerhin hat es für mich den praktischen Vorteil, dass ich ohne kalte Finger, stattdessen mit T-Shirt und Sonnenhut im Weinberg stehen kann. Nina arbeitet in der Rebzeile neben mir, so können wir uns durch die Blätterwand hindurch unterhalten, während wir die Trauben von den Merlot-, Cabernet Sauvignon- und Syrah-Reben scheiden. Wagners nennen diese Sorten "die Südfranzosen". Und dass sie seit einigen Jahren auch in Rheinhessen zu guten Tropfen werden, hat einen Grund, sagt Nina: "Es ist ein Stück weit so, dass wir hier das Klima haben, das vor 30 Jahren in Regionen wie dem Bordeaux-Gebiet war."

Typisches Weinanbaugebiet in Côtes du Rhône. Hier wird der Syrah traditionell angebaut. Bildrechte: IMAGO / Panthermedia

So stehen die Weinberge der Wagners in Essenheim exemplarisch für den gesamten deutschen Weinbau: Steigende Temperaturen machen den Anbau anderer Rebsorten möglich. Denn jede Rebsorte hat ihre eigene Wohlfühltemperatur. So nenne ich das, offiziell spricht man vom Huglin-Index. Ein Wert, für den "die Temperatursumme oberhalb von 10 Grad für den Zeitraum vom 1. April bis 30. September addiert (wird), wobei auch die geographische Breite Berücksichtigung findet", schreibt der Deutsche Wetterdienst. 

Jede Rebsorte hat, soll sie erfolgreich angebaut werden, ihren eigenen Huglin-Index. Und wenn der, wie in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland geschehen, immer weiter ansteigt, dann ist es kaum verwunderlich, dass auch die Rebfläche für Sorten mit einem hohen Huglin-Index wie Merlot und Cabernet Sauvignon stark ansteigt.

Bildrechte: MDR/ Umweltbundesamt

Schädlinge und Wetterextreme

Steigende Temperaturen sind aber nur eine Folge des Klimawandels, die den Weinbau vor neue Herausforderungen stellt. So bedrohen aus Süden einwandernde Schädlinge wie der Japankäfer oder die Amerikanische Rebzikade die Ernten. Genauso wie zunehmende Wetterextreme wie Starkregen oder Hagel. Lange Hitzeperioden können Sonnenbrand an den Trauben verursachen.

Und die Gefahr von Frostschäden steigt, nicht nur im Weinbau, auch im Obstbau. Denn durch den Klimawandel verschieben sich die Vegetationsperioden. Pflanzen treiben deswegen immer früher aus. Bianca Plückhahn, Agrarmeteorologin beim Deutschen Wetterdienst, hat mir das kürzlich am Beispiel der Haselnuss erklärt: "Die Haselnuss hat im Zeitraum 1961 bis 1990 im Mittel für Deutschland am 3. März angefangen zu blühen, inzwischen sind wir schon beim 14. Februar."

Nicht geändert hat sich jedoch, dass auch im Frühjahr weiterhin Frost auftritt. Damit steigt die Gefahr, dass die frischen und empfindlichen Triebe von Obstbäumen oder Weinreben erfrieren, dann droht den Landwirten auch schon mal ein Totalausfall.

Und dann ist da natürlich noch die Gefahr von Trockenschäden. Denn häufigere Dürren könnten irgendwann dafür sorgen, dass selbst Reben mit ihren langen Wurzeln nicht mehr an ausreichend Wasser kommen. Schon heute werden laut Bundesinformationszentrum Landwirtschaft außerhalb Europas 82 Prozent der Anbauflächen für Weinreben bewässert. In Europa sind es etwa 10 Prozent.

Wie kommt das Wasser in den Weinberg?

Spannend dürfte die Frage sein, woher dieses Wasser für die Weinreben dann kommt. Denn wertvolles Trinkwasser dafür zu verwenden, dürfte der Öffentlichkeit nur schwer vermittelbar sein. Auch deshalb schauen viele Winzerinnen und Winzer gerade sehr interessiert nach Kasel, einem kleinen Ort im Weinanbaugebiet Mosel. Hier ist gerade ein Speicherbecken entstanden, in dem künftig im Winter Wasser aus dem Flüsschen Ruwer zwischengespeichert werden soll, mit dem im Sommer dann Reben bewässert werden können.

In Essenheim beim Weingut Wagner kommen die Reben bisher mit dem natürlichen Nass aus. Ob das auch in den kommenden Jahren so bleibt, lässt sich kaum prognostizieren. Nina jedenfalls hofft, dass auf dem Weingut Wagner auch noch die nächste Generation Wein produzieren kann. Doch Zweifel bleiben: "Wenn man sich anschaut, wie rasant es sich in den letzten 30 Jahren verändert hat, dann ist das schon … ein spannendes Thema."

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