Aufbauen, Neues wagen: Zum 35. Jahrestag der Deutschen Einheit rief Bundeskanzler Merz die Menschen dazu auf, Spaltungen zu überwinden. Es gehe heute darum, "unsere Lebensweise" zu verteidigen. Er würdigte auch den Mut der Ostdeutschen.

Lange nicht mehr stand Deutschland vor so vielen Herausforderungen: der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, eine veränderte internationale Ordnung und eine schwächelnde Wirtschaft. Bundeskanzler Friedrich Merz schwor die Menschen in Deutschland deshalb in seiner Grundsatzrede zum Tag der Deutschen Einheit auf einen Neuanfang ein. "Nach 35 Jahren deutscher Einheit und in einer schwierigen Zeit für unser Land sollten wir uns neu sammeln und mit Zuversicht und Tatkraft nach vorn blicken", sagte der CDU-Chef bei dem Festakt in Saarbrücken. "Lassen Sie uns eine gemeinsame Kraftanstrengung unternehmen für eine neue Einheit in unserem Land."

Die Menschen sollten sich Veränderungen zutrauen und sich nicht von Ängsten lähmen lassen. "Wagen wir einen neuen Aufbruch", forderte Merz. "Erinnern wir uns an die Zuversicht, mit der unsere ostdeutschen Landsleute vor 35 Jahren ihren Aufbruch wagten." Positiver Geist könne Kraft freisetzen, Pessimismus und Weinerlichkeit seien vergeudete Energie.

"Ein entscheidender Moment"

Merz blickte in seiner Rede nur kurz zurück auf den Mut der Menschen in der DDR während der friedlichen Revolution 1989 und die Deutsche Einheit vom 3. Oktober 1990. Den Jahrestag nannte er einen "Festtag". Er erinnerte aber auch an die wechselseitigen Missverständnisse und die Erfahrung individueller Zurücksetzung von Menschen in Ostdeutschland.

Den größten Teil seiner Rede widmete der Kanzler Grundsatzfragen. "Wir erleben den Herbst des Jahres 2025 als entscheidenden Moment für unser Land", sagte er. "Unsere Nation steht mitten in einer wichtigen, vielleicht entscheidenden Phase ihrer neueren Geschichte." Merz erinnerte an neue Allianzen von Autokratien, die digitale Revolution, die neue Weltwirtschaft mit Zollschranken und Egoismen. 

"Vieles muss sich ändern"

Der Kanzler erneuerte die Forderung nach Reformen: "Vieles muss sich ändern, wenn vieles so gut bleiben oder gar besser werden soll, wie es in unserem Land bisher ist." Die Dimension müsse von allen verstanden werden. "Wir, das sind alle Deutschen", sagte Merz. Deutschland wolle ein demokratisches, rechtsstaatliches, wirtschaftlich starkes und soziales und auch ein europäisches Land bleiben. 

Als Aufgabe formulierte er den Ausbau der Verteidigung und verband dies mit dem Appell, Verantwortung zu übernehmen und freiwillig Wehrdienst zu leisten. "Die Verantwortung für unsere Freiheit liegt bei uns allen. Nehmen wir diese Verantwortung an", forderte der CDU-Politiker.

Zudem bekräftigte Merz die Ziele, mit modernster Technologie wieder wirtschaftlich stark zu werden, staatliche "Gängelung" abzubauen und den Sozialstaat zu reformieren, damit wirklich Bedürftigen geholfen werde. Konkreter wurde er nicht.

Rehlinger: "Verneigen uns vor diesem Mut"

Merz äußerte sich beim zentralen Festakt zum Tag der Deutschen Einheit in Saarbrücken, den die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger als Bundesratspräsidentin ausrichtete. Auch die SPD-Politikerin würdigte den Einsatz der Ostdeutschen. Mutige Menschen seien für Freiheit und Demokratie auf die Straße gegangen, obwohl sie Angst vor der Staatssicherheit gehabt hätten, sagte sie. "Ohne sie wären wir heute nicht hier. Wir verneigen uns vor diesem Mut."

Rehlinger hinterfragte, dass die Bilanz der deutschen Einheit meist an den Angleichungen der östlichen Bundesländer an die westlichen gemessen werde: "Warum fragen wir eigentlich so selten danach, was Bayern oder Schleswig-Holstein oder das Saarland von ihren Mitbürgern im Osten gelernt haben?" Es sei keine gute Idee, wenn der Osten sich an den Westen angleichen müsse. Die Einheit sei nicht nur eine "innerdeutsche Angleichungsaufgabe". Vielmehr sei Deutschland vor allem "gemeinsam vereint im Wandel", betonte die SPD-Politikerin.

Macron: Auch eine Feier für das geeinte Europa

An der zentralen Feierstunde nahmen auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der französische Staatspräsident Emmanuel Macron teil. "Die Feier des geeinten Deutschlands ist auch eine Feier des geeinten Europas", sagte Macron. Früher habe es Kriege zwischen Deutschland und Frankreich gegeben. Das sei nun vorbei.

Vorab hatte die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel die Einladung des französischen Präsidenten kritisiert. "So sehr ich Präsident Macron schätze, aber vielleicht hätte man auch jemanden aus Osteuropa oder aus Ostdeutschland als Gastredner nehmen können", sagte sie im ZDF.

Die Wiedervereinigung halte sie trotz aller Probleme für "einen großen Glücksfall". In ihrem Büro, in dem sie als Altkanzlerin arbeite, habe einst Margot Honecker gesessen. "Ich kann von mir sagen, Margot Honecker hat es nicht verhindert, dass ich meinen Weg in der Freiheit gefunden habe", sagte Merkel.

Florian Decker, SR, über die Rede von Kanzler Merz zum Tag der Deutschen Einheit

tagesschau24, 03.10.2025 16:00 Uhr

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