Fachleute warnen vor Hygieneproblemen bei möglichem Ethanol-Verbot
- Durch die Neubewertung von Ethanol könnte die Substanz in der EU verboten werden.
- Experten bewerten ein Verbot als hochproblematisch, weil dadurch Hygiene, Versorgung und Krisenfähigkeit massiv gefährdet wären.
- Der hallesche Oberarzt Sebastian Wendt rechnet nicht mit einem generellen Verbot, die endgültige Entscheidung der EU steht jedoch noch aus.
Meike Criswell formuliert es drastisch. Wenn das Ethanol-Verbot käme, wäre es für Europa der "Super-GAU". Criswell ist Apothekerin und Geschäftsfeldleiterin für Desinfektionsmittel beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie. Ein Ethanol-Verbot wäre für die Hygiene, die Pandemiebekämpfung und den Krisenfall ein echtes Problem.
Schon jetzt würde das Ethanol-Verbot den Krankenhaussektor vor Herausforderungen stellen, sagt Criswell. "Wir hätten aber ein doppeltes Problem, wenn wir an einen Verteidigungsfall oder einen Katastrophenfall denken, wo wir viele Verletzte hätten. Da wären wir im Prinzip blank."
Was Criswell solche Sorgen bereitet, ist eine mögliche Neubewertung von Ethanol. Die Europäische Chemikalienagentur plant, den Wirkstoff als sogenannten CMR-Stoff einzustufen – C für cancerogen, also krebserregend. M für mutagen, erbgutverändernd und R für reproduktionstoxisch, also fortpflanzungsgefährdend. Die Bewertung stützt sich zwar nur auf Daten zum übermäßigen oralen Konsum – also Alkohol als Getränk, aber mit der CMR-Einstufung könnte Ethanol in der EU verboten werden.
Viel Kritik aus der Branche
Alternativen gebe es nicht, betont Criswell. Andere Stoffe seien nicht so gut wirksam, giftiger oder nicht verfügbar. "Wir könnten auf andere Stoffe nicht so gut umschwenken. Die sind auch nicht so breit einsetzbar im öffentlichen Raum. Das sind alles Schwierigkeiten, die leider im Vorhinein nicht durchdacht worden sind", sagt Criswell.
So sieht das auch Sebastian Wendt. Er ist Oberarzt in der Krankenhaushygiene an der Uniklinik Halle und Toxikologe. Der Klinikalltag ohne Desinfektionsmittel mit Ethanol wäre nicht machbar: "Das wäre dramatisch, weil wir Alternativen suchen müssten, die aktuell nicht in der Menge auf dem Markt sind."
Laut Wendt würde das auch Patienten und Mitarbeiter gefährden: "Ethanol ist unser Desinfektionsmittel Nummer Eins für die Haut-Desinfektion im OP und ist pro Pflegekraft in Intensivbereichen etwa 100 Mal am Tag im Einsatz."
Wendt tauscht sich gerade auch häufiger mit Kolleginnen und Kollegen aus – alle sind gespannt, wie die Neubewertung ausfällt. Auf EU-Ebene haben mittlerweile fast 900 Unternehmen, Verbände und Personen aus 20 Fachbereichen eine Petition unterzeichnet – gegen ein Ethanol-Verbot.
Generelles Verbot unwahrscheinlich
Dass es wirklich dazu kommt, glaubt der Oberarzt aber nicht: "Ich kann mir das schwer vorstellen. Bei der Bewertung der EU geht es um die orale Anwendung von Ethanol. Da ist es nachvollziehbar, dass das krebserregend ist." Dass man daraus aber ein generelles Verbot macht, das sich auf andere Anwendungsbereiche auswirkt, kann sich Wendt schwer vorstellen.
Doch erstmal muss die Europäische Chemikalienagentur den Stoff noch endgültig bewerten. Das soll übernächste Woche passieren. Danach entscheidet die Europäische Kommission, ob sie der Empfehlung folgt – erst dann könnte ein Gesetz entstehen, also auch ein mögliches Verbot.
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