Wie die Blockade beim Klimaschutz aufgelöst werden könnte
MDR AKTUELL: Was ist gesellschaftlicher Zusammenhalt überhaupt?
Nils Teichler: Gesellschaftlicher Zusammenhalt kann aus einer soziologischen Perspektive ganz Verschiedenes heißen. Es gibt Konzeptionen des Zusammenhalts, die legen den Fokus auf soziales Vertrauen, auf Kooperation, auf das Engagement im Verein zum Beispiel. Es gibt aber auch Konzeptionen oder Ideen, die wir aus einer demokratischen Perspektive kritisch betrachten würden: Nämlich, wenn Zusammenhalt auf Vorstellungen von homogenen Gemeinschaften beruht. Insgesamt kommt es also bei dem Begriff des gesellschaftlichen Zusammenhalts immer darauf an, wie er gefüllt wird.
Zusammenhalt ist also an sich noch kein demokratischer Wert?
Ein gesellschaftlicher Zusammenhalt muss nicht per se demokratisch sein. Wir sehen auch in Gesellschaften, deren politisches System wir als autokratisch oder als autoritäres Regime bezeichnen würden, dass sie einen großen Zusammenhalt aufweisen und geteilte Werte und Normen haben können. Wir würden aber nicht davon sprechen, dass das Gesellschaften sind, die einen demokratischen Zusammenhalt pflegen.
Was genau macht gesellschaftlichen Zusammenhalt denn dann demokratisch?
Einen demokratischen Zusammenhalt zeichnet aus, dass Konflikte und unterschiedliche Meinungen in einer Gesellschaft ausgehalten, aber auch ausgehandelt und diskutiert werden können. Denn das ist ein Wesenszug von Demokratie. Es geht also darum, dass viele unterschiedliche Stimmen und gesellschaftliche Gruppen berücksichtigt und gehört werden. Denn moderne Gesellschaften sind divers, bestehen aus Gruppen mit ganz unterschiedlichen Interessen und Hintergründen und all diese zur Geltung kommen zu lassen, ist Teil demokratischer Gesellschaften.
Als Gegenpol zu Zusammenhalt wird häufig Polarisierung angeführt. Wie funktioniert die denn?
Auch Polarisierung können wir aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Bei der sogenannten ideologischen Polarisierung können wir untersuchen, wie stark die Meinungen in der Gesellschaft zu bestimmten Themen und Inhalten auseinander gehen – beispielsweise zu der Frage, ob eine Gesellschaft mehr Migration möchte oder wie dem Klimawandel begegnet werden muss. Da sehen wir dann, wie ideologisch polarisiert eine Gesellschaft ist.
Es gibt aber noch eine zweite Dimension, die affektive Polarisierung. Die beinhaltet vielmehr, wie wir Personen mit anderen politischen Haltungen oder Personen, die anderen politischen Parteien nahestehen, affektiv bewerten. Sind uns diese Personen sympathisch oder unsympathisch? In dem Moment, wo sich Einstellungsunterschiede affektiv aufladen, kann es auch vermehrt zu Streit und Konflikten kommen, die schwieriger einzuhegen sind.
Im aktuellen Zusammenhaltsbericht haben Sie den Schwerpunkt auf Einstellungen zum Klimawandel gelegt. Warum dieser Fokus?
Der Klimawandel und die sozial-ökologische Transformation sind ein ganz zentrales Thema in der Gesellschaft. Die deutsche Bundesregierung hatte sich – und der deutschen Gesellschaft – 2019 mit dem Klimaschutzgesetz die Aufgabe zur Klimaneutralität bis 2045 gegeben. Diese Herausforderung zu bewältigen, bedeutet große gesellschaftliche, mithin auch wirtschaftliche Umbrüche.
Und dafür braucht es den gesellschaftlichen Zusammenhalt als eine Ressource: damit der Wandel in der Gesellschaft als etwas erlebt wird, das gestaltet wird und damit Individuen mit den Zumutungen, die das auch bedeuten kann, nicht allein gelassen werden.
Der Klimawandel kann also ebenso ein Problem für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sein wie mangelnder gesellschaftlicher Zusammenhalt ein Problem für Klimaschutzmaßnahmen darstellt.
Ganz grundlegend bedeutet ein ungebremster Klimawandel – also das, was an Folgen auf die Menschheit und auf unsere Gesellschaft zukommt, wenn der Klimawandel nicht eingehegt wird – sehr große Herausforderungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Wir haben es zu tun mit Naturkatastrophen, die durch den Klimawandel bedingt werden, die Kosten mit sich bringen, die menschliches Leid verursachen. Wir haben es zu tun mit Migrationsbewegungen, die in der Zukunft kommen werden. Und wir haben es auch zu tun mit sich verschärfenden sozialen Ungleichheiten. Denn auf all diese Herausforderungen zu reagieren, fällt Menschen umso leichter, je mehr Ressourcen sie haben, diese zu bewältigen. Und natürlich ist zu erwarten, dass vor diesem Hintergrund der gesellschaftliche Zusammenhalt in der Zukunft stark herausgefordert wird.
Umso mehr müssen wir ihn jetzt adressieren, als eine Ressource, um den Klimawandel auch einzuhegen, Klimaschutz aktiv voranzutreiben und das gemeinsam anzugehen.
In öffentlichen Debatten entsteht oft der Eindruck, dass die Gesellschaft beim Klimaschutz sehr polarisiert ist. Was konnten Sie in Ihren Analysen dazu herausfinden?
Wir finden in unseren Daten bei der Analyse der Klima-Einstellungen und der Klima-Typen, dass ein Großteil in der Bevölkerung ein starkes Bewusstsein dafür hat, dass der Klimawandel eine Gefahr darstellt. Diese Mehrheit wünscht sich auch von der Politik, dass sie mehr für den Klimaschutz tut.
Wir sehen aber, dass es trotz dieser Mehrheit im allgemeinen Klimabewusstsein auch eine Gruppe gibt, die sich zugleich sehr große Sorgen darum macht, dass infolge von Klimapolitik ihr Lebensstandard sinkt. Sie machen sich auch Sorgen darum, dass es infolge von Klimapolitik wirtschaftliche Nachteile geben wird wie zum Beispiel der Verlust von Arbeitsplätzen – ohne dass neue geschaffen werden. Denken wir an die Automobilindustrie oder auch Berufe im Kohlebergbau.
Es gibt also in Klimafragen einen größeren Zusammenhalt als man vielleicht denken würde. Es geht weniger um das 'Ob' als um das 'Wie'. Hier kommt es darauf an, dass die Menschen mit den Folgen einer ökologischen Transformation nicht alleine gelassen werden und sich nicht alleine gelassen fühlen müssen.
Gibt es da grundsätzliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland?
Wir sehen in Westdeutschland, dass es eine große Gruppe in der Bevölkerung gibt, die einer ökologischen Transformation zurückhaltend zustimmt. Gleichzeitig steht ein etwas kleinerer Teil der Bevölkerung einer sozial-ökologischen Transformation unentschlossen bis neutral gegenüber, das bezeichnen wir als eher indifferente Einstellungshaltung.
Demgegenüber sehen wir in Ostdeutschland, dass sich diese beiden Schwerpunkte ein bisschen verschieben. Wir haben eine größere Gruppe an Personen, deren Einstellungen unentschlossen bis neutral dem Klimaschutz gegenüberstehen als im Westen. Dagegen ist die Gruppe derjenigen, die zurückhaltend zustimmt zu Maßnahmen des Klimaschutzes und die auch die Gefahren des Klimawandels anerkennt, etwas kleiner als im Westen.
Wie lässt sich denn die Blockade beim Klimaschutz, die Sie in Ihrem Bericht analysiert haben, auflösen?
Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist wichtig, dass mit Klimapolitik verbundene Sorgen adressiert werden. Denn es fehlt nicht am grundsätzlichen Bewusstsein für das Problem des Klimawandels. Es fehlt daran, dass alle Menschen das Gefühl haben, mitgenommen zu werden und auch in ihren Sorgen adressiert werden.
Der Anteil der Personen in der Bevölkerung, die eine Transformation ganz grundlegend ablehnen, ist mit acht Prozent eigentlich sehr klein. Wir sehen aber, dass diese Gruppe der Ablehnenden politisch aktiv ist und ihre Positionen zu Klimaschutz und Klimawandel gerade in den sozialen Medien repräsentiert werden – mitunter auch mit Falschinformationen. Das birgt die Gefahr, dass eine Position, die in der Bevölkerung eigentlich gar nicht so groß ist, medial und öffentlich überrepräsentiert wird.
In der Klimaschutzpolitik heißt es schon länger, dass wir kein Erkenntnisproblem haben, sondern ein Umsetzungsproblem. Inwieweit helfen denn die Klimatypen, um dieses Problem zu adressieren?
Das besondere an unseren Daten ist, dass wir neben den Einstellungen zum Klimawandel und zur Klimapolitik auch schauen, wie diese mit anderen Einstellungen zusammenhängen – mit politischen Haltungen, aber auch mit dem sozio-demografischen Hintergrund unserer Befragten. Denn die Klima-Einstellungen stehen ja nicht im luftleeren Raum.
Und wir sehen, dass es zwischen unterschiedlichen Klimatypen geteilte Grundüberzeugungen gibt. Das heißt, wir sehen eine Gruppe an Menschen, die sehr überzeugt ist, dass der Klimawandel ein Problem darstellt, die sich wünscht, dass mehr getan wird – und wir sehen eine Gruppe, die auch grundsätzlich ein großes Problembewusstsein für den Klimawandel hat, sich aber große Sorgen macht, dass die Klimapolitik negative Folgen hat. Diese beiden Gruppen – die Entschlossenen auf der einen Seite und die Besorgten auf der anderen Seite – haben aber auch geteilte Grundüberzeugungen, wenn es um Forderungen nach mehr Umverteilung geht, wenn es um Ausgleichsmechanismen in Bezug auf soziale Ungleichheiten geht.
Hier besteht die große Chance, gesellschaftliche Gruppen für eine sozial-ökologische Transformation zueinander zu bringen, wenn ihre geteilten Grundüberzeugungen stärker angesprochen werden.
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