• Zwei bisher unbekannte Solo-Werke für die Orgel können eindeutig Bach zugeordnet werden
  • Musikwissenschaftler Peter Wollny forschte mehr als 30 Jahre lang zu diesen Stücken
  • Die "Ciacona in d-Moll" und die "Ciacona g-Moll" wurden in der Leipziger Thomaskirche aufgeführt – das erste Mal seit 320 Jahren

"Eine Sternstunde für die Welt der Musik", hieß es, als Montagnachmittag in Leipzig zwei Werke vorgestellt worden sind, die nach 30 Jahren Forschung nun eindeutig Johann Sebastian Bach zugeschrieben werden können. Dass es sich tatsächlich um zwei frühe Bach-Werke handelt, ist das Ergebnis der Forschungsarbeit von Peter Wollny. Der Musikwissenschaftler und Direktor des Leipziger Bach-Archivs sagte bei der Präsentation in der Leipziger Thomaskirche: "Ich bin mir zu 99,99 Prozent sicher, dass Bach diese beiden Werke komponiert hat." Dies kommentierte Kulturstaatsminister Wolfram Weimer schließlich mit "Sternstunde".

Ich bin mir zu 99,99 Prozent sicher, dass Bach diese beiden Werke komponiert hat.

Prof. Dr. Peter Wollny, Direktor des Leipziger Bach-Archivs

Aufgetaucht waren die Handschriften mit der Musik von Bach in den Königlichen Bibliotheken Belgiens.Bildrechte: Jens Schlueter/Bach-Archiv Leipzig

Zwei Solo-Werke für Orgel

Bei den beiden Stücken handelt es sich laut Wollny um sogenannte Chakonnen, zwei Solo-Werke für die Orgel. Eine Chakonne ist eine musikalische Variationsform, bei der eine kurze, sich ständig wiederholende Basslinie als Grundlage für immer wiederkehrende Variationen in den Oberstimmen diene. Bach habe ebenso wie Johann Pachelbel viele solcher Chakonnen geschrieben.

Auf die beiden Stücke aufmerksam geworden, ist Bach-Forscher Wollny eigenen Angaben zufolge bereits 1992. Als Doktorand habe er verschiedene Handschriften und Drucke von Bach aus der Königlichen Bibliothek Belgiens in Brüssel katalogisieren wollen. Dabei sei er auf eine kleine Gruppe an Handschriften aus dem 17. Jahrhundert gestoßen, die allesamt aus Thüringen stammten.

Wiederaufführung der Werke nach 320 Jahren

Im Laufe seiner wissenschaftlichen Karriere habe Wollny zahlreiche Hinweise gesammelt, die sich nun mit dem letzten Puzzleteil – der namentlichen Identifizierung des Notenschreibers, einem Schüler von Bach – zu einem vollständigen Bild gefügt hätten. "Wir können definitiv sagen, dass die Abschriften um 1705 von dem Bach-Schüler Salomon Günther John angefertigt worden sind", so Wollny bei der Präsentation. "Stilistisch enthalten die Werke darüber hinaus Merkmale, die man zu dieser Zeit in Bachs Werken findet, sonst aber bei keinem anderen Komponisten."

Die beiden neuen Stücke "Ciacona in d-Moll" und "Ciacona g-Moll" sind nun Teil des Bach-Werkeverzeichnisses und tragen die Nummern BWV 1178 und BWV 1179. Sie sind im Leipziger Traditionsverlag Breitkopf & Härtel erschienen und somit für die Allgemeinheit ab sofort zugänglich. Im Anschluss an die Pressekonferenz wurden die Stücke in der Leipziger Thomaskirche aufgeführt. Organist war der niederländische Dirigent Ton Koopman. Der Präsident des Bach-Archivs sagte, er sei stolz, die Werke das erste Mal seit 320 Jahren zu spielen: "Die Stücke sind ein großer Gewinn für die Organisten heute, sie eignen sich auch für kleinere Orgeln", so Koopman.

Der Präsident des Bach-Archivs Ton Koopman brachte die Werke zum Klingen – erstmals seit 320 Jahren.Bildrechte: Jens Schlueter/Bach-Archiv Leipzig

Eine "wissenschaftliche Meisterleistung"

Die Präsentation der Stücke und der sich anschließende Festakt wurden live aus der Thomaskirche gestreamt. Mit dabei waren unter anderem Kulturstaatsminister Wolfram Weimer und Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung. Weimer bezeichnete Wollnys Forschung als "wissenschaftliche Meisterleistung". Es sei, als habe "Bach uns eine Flaschenpost durch die Zeit geschickt".

Es ist, als habe uns Bach eine Flaschenpost durch die Zeit geschickt.

Wolfram Weimer, Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien

Burkhard Jung nannte Peter Wollny den "Mann der Stunde". Die Zuordnung der beiden Musikstücke zu Bach, die mehr als drei Jahrzehnte gedauert habe, zeige auch, wie wichtig die Freiheit der Forschung sei, so Jung. "Wir leben in einer Zeit, in der wir von der Wissenschaft zielgerichtete und schnelle Ergebnisse erwarten", so der Oberbürgermeister. "Aber manchmal braucht es eben Zeit, man muss Irrwege gehen und auch scheitern können."

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer bezeichnete Wollnys Forschung als "wissenschaftliche Meisterleistung".Bildrechte: Jens Schlueter/Bach-Archiv Leipzig

Die Präsentation der beiden neuen Werke fand im Rahmen der Festwoche zum 75-jährigen Bestehen des Bach-Archivs in Leipzig statt.

Quelle: Bach Archiv Leipzig
Redaktionelle Bearbeitung: ngh, bh

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