Warum die sogenannte Hammerbande so brutal wurde und welche Rolle Johann G. spielte
- Anklageschrift: In Kauf genommen, dass Opfer sterben
- Der Antrieb der Gruppe um Johann G. und Lina E.: Legida und Connewitz-Überfall
- Was die Angriffe auf Neonazis bei Rechtsextremisten auslöste: Angst und Hass
- Militante Linksextremisten: Wenn der Staat als latent faschistisch gilt
Johann G. steht im Zentrum des Prozesses gegen insgesamt sieben Personen, der nun am Oberlandesgericht Dresden begonnen hat. Der 32-Jährige soll einer der Köpfe einer linksextremen Gruppe gewesen sein, die brutale Jagd auf Neonazis gemacht haben soll. Die Frage, die sich vielleicht nun auch vor Gericht stellt: Welche Ideologie steckt eigentlich hinter der linksextremen Gruppe?
Insgesamt werden Johann G. acht Überfälle sowie die Planung einer Attacke in Dortmund vorgeworfen. Die Taten wurden zwischen 2019 und 2023 in Sachsen, Thüringen und Budapest begangen. Dabei wurden 22 Menschen verletzt. In zwei Fällen lautet die Anklage: versuchter Mord. Die Opfer hatten durch Hammerschläge und ähnliches schwere Kopfverletzungen erlitten.
Anklageschrift: In Kauf genommen, dass Opfer sterben
In der Anklageschrift wirft die Bundesanwaltschaft Johann G. und anderen vor, billigend in Kauf genommen zu haben, dass ihre Opfer bei den Überfällen sterben. Am Abend vor dem Start des Prozesses am vergangenen Dienstag erklären die drei Anwälte von Johann G. gegenüber MDR Investigativ, dass sie diese Vorwürfe für unbegründet halten.
Johann G. (Bildmitte) sitzt am 25. November in Dresden im Gerichtssaal.Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK"Die Vorwürfe stehen in unseren Augen auf tönernen Füßen, was insbesondere die behauptete Anwesenheit zum Tatzeitpunkt in Dessau und in Erfurt anbetrifft", sagt Anwalt Gerrit Onken. Der Generalbundesanwalt mache es sich zu einfach.
Der Antrieb der Gruppe um Johann G. und Lina E.: Legida und Connewitz-Überfall
2023 wurde im selben Gerichtssaal, wo nun der Prozess stattfindet, bereits Lina E. verurteilt. Sie soll mit ihrem damaligen Verlobten Johann G. und einer Handvoll weiterer Vertrauter den Kern der Gruppe gebildet haben. Ihr gemeinsamer Antrieb: Der Rechtsruck im Osten.
So zog im Jahr 2015 jeden Montag Legida durch Leipzig – ein deutlich radikalerer Ableger der Dresdner Pegida. Dann passierte etwas, dass Johann G. und andere weiter vermutlich radikalisierte: Anfang 2016 überfielen rund 250 Neonazis den links geprägten Stadtteil Leipzig-Connewitz. Der Stadtteil, wo auch Johann G. und weitere später Beschuldigte wohnten. Die Neonazis zerstörten Geschäfte und Kneipen. Die Hintergründe des Überfalls wurden nie aufgeklärt und die Täter nur schleppend verurteilt.
Der promovierte Hamburger Protestforscher Nils Schuhmacher beschreibt, dass der Neonazi-Überfall als Einschüchterungsversuch gegenüber der gesamten linken Szene empfunden wurde: "Der Angriff auf Connewitz war auch eine symbolische Handlung, womit die rechte Szene gesagt hat: ‚Auch Connewitz ist kein Schutzraum für euch.‘" Aus dieser Logik heraus, könnte sich erklären, dass es Leute gebe, die auf dieses Eindringen in ihren Schutzraum eine Antwort geben wollten.
Die Radikalisierung von Johann G.: Jugend in Bayern
Die Radikalisierung von Johann G. scheint bereits in seiner Jugend begonnen zu haben. 2010 wurde er zu einer Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt. Beim Streit mit einem Autofahrer eskalierte der damals 17-Jährige. Im Urteil heißt es: "[Er] sprühte wortlos und ohne Vorwarnung dem Geschädigten aus einer Entfernung von etwa einem halben Meter sein Tierabwehrspray ins Gesicht, insbesondere in die Augen."
Seine Jugend verbrachte Johann G. in Bayern. Nach dem Abitur kehrte er nach Leipzig zurück. Dort soll er Rekrutierer der mutmaßlich linksextremen Gruppe gewesen sein – und etwa einen Überfall auf einen Laden einer rechtsextremen Modemarke in Dortmund geplant haben.
Später musste Johann G. zweimal ins Gefängnis: Auf einer Legida-Demo 2015 prügelte er mit anderen auf Demonstranten ein und randalierte wenig später bei einer so genannten "Scherbendemo". Das ist so etwas wie Randale ohne politische Botschaft, welche offenbar vor allem von Johann G. und seinen Freunden angetrieben wurden: Steine flogen auf Polizisten oder Gerichtsgebäude. Johann G. wurde als einziger Täter gefasst, seine DNA-Spuren an Steinen gefunden. Im Knast posierte er dann mit seinem "Hate Cops"-Tattoo – jeweils ein Buchstabe auf einem Finger der beiden Hände.
Das "Hate Cops"-Tattoo von Johann G.Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNKWas die Angriffe auf Neonazis bei Rechtsextremisten auslöste: Angst und Hass
Blutspuren, Aufnahmen von Überwachungskameras – bei den meisten angeklagten Taten fanden die Ermittler eindeutige Indizien gegen Johann G.. Bei einem Mitangeklagten stellten sie auch mutmaßliche Chats mit Johann G. sicher. Darin ging es darum – welche Neonazis als Nächstes angegriffen werden sollten oder Spuren zu verwischen.
So wie etwa beim Überfall 2020 am Bahnhof Wurzen. Johann G. soll die Opfer im Zug ausgespäht haben. Sechs Neonazis kamen von einer Demo in Dresden zurück und wurden nach dem Aussteigen attackiert.
MDR Investigativ hat eines der Opfer getroffen. "Wurzen galt als national befreite Zone. Kein Ort, an dem man damit rechnet, irgendwie von Linken angegriffen zu werden", sagt die Person, die anonym bleiben will. "Es hat die Leute in ihrer Grundsicherheit getroffen."
Gleichzeitig habe das laut dem Opfer des Überfalls, auch den Hass auf den politischen Gegner enorm gesteigert. "Es gab auf jeden Fall Ideen, irgendwas als Vergeltungsaktion rauszuhauen." Angegriffen werden sollte das Netzwerk für demokratische Kultur. Für einen möglichen Brandanschlag seien schon Fluchtwege ausgekundschaftet worden, bestätigt eine zweite Person. Angst vor der Polizei habe sie von der Tat abgehalten.
Militante Linksextremisten: Wenn der Staat als latent faschistisch gilt
Im Dresdner Gericht haben die Unterstützer von Johann G. am 25. November mit Plakaten demonstriert, was sie vom Rechtsstaat halten: "Free all antifas". Für den Politikwissenschaftler Professor Tom Mannewitz geht das noch weiter – militante Linksextremisten würden den Staat insgesamt ablehnen.
"Gerade in dem Umfeld des ersten ‚Antifa Ost‘-Verfahrens wurde immer wieder abgehoben auf die Infragestellung des Rechtsstaates und Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung", so der Professor für politischen Extremismus an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung.
"Mir scheint in Vergessenheit geraten zu sein, dass wir es mit einer Gruppe zu tun haben, in der auch der Staat in nicht ganz unwesentlichen Teilen als latent faschistisch gilt", sagt Mannewitz. Deshalb werde es einem wesentlichen Teil der Ideologie nicht gerecht, wenn man so tue, als sei es eine Gruppe, die mit ihrer Gewalt gegen Rechtsextremisten über das Ziel hinausschieße.
Protestforscher Schuhmacher weist darauf hin, dass militante Selbstjustiz auch eine Reaktion auf die Erfahrungen junger Linker sei: "Leute sagen, wir erreichen hier auch keinen mehr. Wir haben es hier mit einer gesellschaftlichen Stimmung zu tun, in der Neonazis kein Problem mehr darstellen. Wem sollen wir erzählen, dass Neonazis ein Problem darstellen?" Das bedeute, es gehe darum, diesen Gegner auch ohne größere Öffentlichkeit zu bekämpfen und ihn zu schädigen.
Untergetaucht, weitergemacht und schließlich geschnappt
Den Kern der Gruppe um Johann G. und Lina E., die vor allem Neonazis attackierten, beziffern die Ermittler auf sechs bis acht Personen. Ende 2019 kam die Polizei der Gruppe auf die Spur – im Sommer 2020 tauchte Johann G. unter, später wurde seine Freundin Lina E. verhaftet.
Johann G. und andere aus der Gruppe sollen aus dem Untergrund weiter gemacht haben – und für Überfälle in Erfurt und Budapest vor allem junge Leute aus Jena dazu gewonnen haben. Erst im November 2024 fassen Zielfahnder des LKA Sachsen Johann G. in Thüringen. Der Prozess ist bis ins Jahr 2027 angesetzt – und es droht vor allem Johann G. eine hohe Strafe.
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