Warum die Jagd das Klima schützen kann – und die Natur jünger macht
Egal, ob es der Wald im bayerischen Ammergebirge, im Spessart, Hunsrück, dem Harz oder Thüringer Wald ist: Die klimatischen Rahmenbedingungen für Bäume in Deutschland haben sich in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert. Vier Fünftel der Baumkronen sind mittlerweile geschädigt. Seit 2018 entstanden durch Trockenheit, Borkenkäfer und Extremwetter auf rund 600.000 Hektar Kahlschläge. Was da in den letzten Jahren gefällt und in der Regel radikal abgeräumt wurde, ist erschreckend. Und das wird sich angesichts weiter steigender Temperaturen fortsetzen, vor allem bei Fichte, Kiefer und Buche. Die Wiederbewaldung ist eine riesige Herausforderung. Wald ist ja mehr als nur Holzproduzent: Er ist Lebens- und Erholungsraum, wichtiger Erosionsschutz, Wasserspeicher. Und statt wie lange Zeit klimafreundlich als Kohlenstoffsenke zu dienen, hat sich der Wald zu einer Quelle des Treibhausgases entwickelt. Statt Kohlenstoff zu speichern, gibt er ihn ab.
Eine Herausforderung: die Naturverjüngung solcher Kahlschläge.Bildrechte: SWR/Axel WeißUnsere Waldbewirtschaftung hat, bundesweit betrachtet, bislang noch unzureichend reagiert, und damit meine ich speziell auch die Jagd. Ich habe dazu vor allem einen Satz im Kopf, den mir schon vor einigen Jahren der auf Jagd spezialisierte Professor Thorsten Beimgraben von der Hochschule Rottenburg gesagt hat. Der lautete sinngemäß: "Wenn wir unseren Überbestand an Reh- und Rotwild nicht bald in den Griff kriegen, können wir den Wald für den Klimaschutz vergessen."
Wir waren da gerade im Schwarzwald unterwegs, im Rotwildschutzgebiet am Schluchsee, und wie dort die Bäume aussahen, das vergesse ich nie: Kaum ein Baum, dessen Rinde nicht massiv beschädigt war. Und es wuchs darunter kaum etwas nach – und wenn, dann waren es meist Fichten, die in der Klimakrise auf Dauer keine Überlebenschance haben.
Aufforstungen sind teuer
Das Problem ist das Schalenwild, also Hirsche, Rehe, Wildschweine. In Deutschland ist der Abschuss von Rehen von 1970 bis 2020 von rund 632.000 auf 1.286.000 Tiere gestiegen. Die Zahl der Rehe liegt weit höher. Und weil die frisches Grün lieben, haben aufwachsende Bäume bei hohem Wilddruck ohne Schutz keine Chance. Einzäunungen kosten und auch Einzelschutzhüllen für junge Bäume – da kommen schnell große Beträge zusammen. Der Ökologische Jagdverband hat es überschlagen: Mehr als 17.000 Euro pro Hektar sind bei konventioneller Jagdverpachtung für eine Wiederbewaldung nötig. Mit angepasster Wilddichte und artenreicher Naturverjüngung fallen 2.000 Euro pro Hektar an, also drastisch weniger. Allein in Nordrhein-Westfalen sind in den nächsten Jahren 350.000 Hektar Waldfläche fällig, das Forstministerium rechnet mit 1,5 Milliarden Euro Kosten für die Waldbesitzer.
Eiche in Naturverjüngung ohne Verbissschutz ist möglich.Bildrechte: SWR/Axel WeißUm unsere geschädigten großen Waldflächen wieder zu bewalden, brauchen wir die Naturverjüngung, alles andere ist nicht bezahlbar. Doch das wird nur mit angepassten Wildbeständen gehen. Die sollten eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. So steht etwa im Bayerischen Jagdgesetz, die Bejagung sollte "die natürliche Verjüngung der standortgemäßen Baumarten im Wesentlichen ohne Schutzmaßnahmen ermöglichen". Aber die Wirklichkeit der Bestände an Reh- und Rotwild ist eine andere und "im Wesentlichen" ist frei interpretierbar. Forstgutachten in Bayern zeigen in gerade mal vier Prozent von knapp 10.000 untersuchten Revieren eine günstige Verbissbelastung, während sie in 47 Prozent als zu hoch, in fünf Prozent sogar als "deutlich zu hoch" eingestuft wird. Das Problem existiert freilich bundesweit. Untersuchungen zeigen: Weit mehr als die Hälfte der seltenen und im Zukunftswald erwünschten Mischbaumarten werden aus dem natürlich nachwachsenden Baumartenmix herausgefressen.
Zu viele Rehe
Rehe sind als scheue, aufmerksame Tiere kaum ernsthaft zählbar im Wald. Ihr Bestand wird oft unterschätzt. Wie viele Rehe es gibt, zeigt unter anderem die Unfallstatistik. Bundesweit kommt da ordentlich was zusammen: über 200.000 totgefahrene Rehe jährlich, die Dunkelziffer ist hoch. Dazu kommen zahlreiche verletzte Tiere, geschädigte Menschen, beschädigte Autos. Warum aber sind die Bestände so hoch? Das hat viel mit der Jagdverpachtung zu tun. Die verbreitete Logik: Wenn ich für teuer Geld ein Revier pachte, aber nur am Wochenende Zeit habe, dann möchte ich da auch was erlegen können. Verständlich, oder?
Bildrechte: MDR WISSENEs gibt auch lange Debatten darüber, welches Geschlecht in welchem Alter geschossen werden sollte oder nicht. Im Zweifel wird weniger geschossen, da scheint auch viel Jägerlatein dabei zu sein. Geschossen wird auch gern nach Trophäenlage: "reife", "starke" Trophäen – sprich: möglichst prächtige Geweihe und Gehörne – sind gefragt, die später die Wände schmücken. Mit Wildbiologie hat das nichts zu tun. Statt drei bis zwölf Rehe pro hundert Hektar, die mit Naturverjüngung durchaus verträglich sind, finden sich deshalb oft drei- bis zehnmal mehr Tiere im Bestand. Wird da Jagd mit Tierhaltung verwechselt, wie Spötter gern anmerken? Gut geht es vielen Tieren auf engem Raum jedenfalls nicht. Futtermangel führt dazu, dass sie alles anknabbern, was im Wald wächst. Als Erstes für die Humusbildung wichtige Kräuter wie Weidenröschen, dann die Keimlinge wichtiger Klimabäume wie Eichen, Kirschen oder Weißtannen, schließlich in der Not sogar Buchen und Fichten.
Effizienter jagen für den Klimaschutz
Zurück zum Klimaschutz. Was kann besser werden? Da die Jagd Ländersache ist, sind die Bundesländer gefragt, ihre jagdlichen Regelungen zu überprüfen und klimagerecht anzupassen. Das passiert teilweise auch. Das kann etwa bedeuten, die Jagdzeiten für Schalenwild zu verändern, damit die Jäger flexibler reagieren können. Natürlich immer unter Beachtung des Tierschutzes, denn niemand möchte für den Klimaschutz etwa einem Kitz die Mutter wegschießen. Der verstärkte Einsatz von Nachtzieltechnik könnte helfen, nicht nur bei Wildschweinen. Gut wäre es auch, die bisherige Fütterungspraxis ernsthaft zu reduzieren. Vor allem aber wird es darauf ankommen, im Winter bis Ende Januar effektive Bewegungsjagden zu veranstalten. Gut organisiert, mit vielen Treibern mit Hunden und guten Schützen. Wenn zuvor 14 Tage nicht gejagt wird, stört die Bewegungsjagd das Wild weniger als bei Einzeljagden. Und es ist wesentlich effizienter, vor allem wenn "Zahl vor Wahl" geschossen wird. Zum Abschuss freigegeben ist dann alles, was gesetzlich zulässig und mit dem Tierschutz verträglich ist, ohne Rücksicht auf heutige oder zukünftige Trophäen.
Am Ende einer Bewegungsjagd heißt es "Strecke legen".Bildrechte: SWR/Axel WeißStudien zeigen: Es kommt bei Bewegungsjagden zwar zu Fluchtreaktionen, aber nicht zu einer unerwünschten dauerhaften Änderung des Verhaltens wie vermehrtem Verstecken in Dickungen. Deshalb sind solche Jagden – wie gesagt: gut organisiert – besonders effektiv, um die Bestände an Reh-, Rot- und Schwarzwild anzupassen. Natürlich nicht unter die zum Erhalt der Art nötige Populationsgröße. Aber auch nicht mehr als die Naturverjüngung ohne relevanten Verbiss verträgt. Erfahrungen zeigen: Es gibt auch dann noch genug zu jagen. Und eins ist klar: Der Wald verrät selbst, wie stimmig die Jagdpraxis ist. Verbissgutachten zeigen deutlich, was wächst oder eben was nicht. Notfalls müssen Waldbesitzer die Jagd in eigener Regie übernehmen, was auch immer mehr Kommunen tun, weil es sich rechnet. Auch das kann kommunaler Klimaschutz sein: den eigenen Wald wieder zum Speicher für Kohlendioxid werden zu lassen. Nur eines wird nicht funktionieren: wie bisher weitermachen. Nicht, wenn wir unseren Wald behalten wollen.
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