Komödie über den Osten: Charly Hübner spielt Hochstapler wider Willen
- Für Hauptdarsteller Charly Hübner prallen in der Geschichtskomödie die Systeme Ost und West verspätet aufeinander.
- Dadurch setzte der Film aber auch versöhnliche Töne, die zu einem gemeinsamen Neustart einladen.
- Es war Hübners erste Zusammenarbeit mit Regisseur Wolfgang Becker, der schon während der Dreharbeiten totkrank war.
MDR: Was fandest Du spannend an der Figur des Videoladenbesitzers Micha?
Charly Hübner: Ich fand spannend, einen ambitionslosen Menschen als Helden zu deklarieren. Er lebt eigentlich in so einer Welt, die die letzte haptische, analoge Welt ist. So ein letzter Mohikaner. Und das findest Du so nur in Ostberlin: nämlich diese Gestalten, diese Menschen, die nicht einsehen, warum sie auf jeden Zug des Fortschritts aufspringen sollen, die aber auch die westdeutsche Profitlehre nie vermittelt bekommen haben. Dadurch wird er immer seltsamer und eigenbrötlerischer. Und dass er am Ende wirklich ein Held werden kann, das verlangt von ihm soziale Disziplin. Das ist stark.
Micha (Charly Hübner) bekommt unverhofft Besuch von einem windigen Journalisten (Leon Ullrich), der eine sensationalle Story aus der Zeit der DDR wittert – auch wenn sie nicht ganz der Wahrheit entspricht.Bildrechte: X Verleih AG, Frederic BatierIn diesem Film steckt ja alles drin: Stasi, Bürgerrechtler, die Gleichzeitigkeit von Ost- und West-Geschichte, auch noch 30 Jahre nach dem Mauerfall.
Das sind zwei völlig unterschiedliche Systeme. Die einen werden nach dem Krieg geschult auf Mehrwertschaffung und Profit. Man lernt sich über den eigenen Wert hinaus ein Dasein oder eine Existenz aufzubauen. Und zeitgleich findet hinter dem sogenannten Eisernen Vorhang eine andere Schulung statt – nämlich, dass es nur eine Wahrheit gibt und an die hast du dich zu halten. Also lernst du zu schweigen, auszubüchsen oder dich in Ironie zu flüchten. Oder du machst stramm mit!
Micha (Charly Hübner) versäumt es, die Falscherzählung zu korrigieren und wird zum Hochstapler wider Willen. Bildrechte: X Verleih AG, Frederic BatierUnd dann wird der Vorhang hochgezogen. Da hätte ein Schiedsrichter stehen und sagen müssen: Stopp.
Und dann wird der Vorhang hochgezogen, und auf einmal stehen sozusagen die Justierten und Versteckten gegen die anderen. Da hätte ein Schiedsrichter stehen und sagen müssen: Stopp. Das hat halt nicht stattgefunden. Deswegen gucken wir uns jetzt alle seit 35 Jahren so zu. Und dann entsteht eben dieses sperrige Schweigen.
Auch in der Liebe zu Paula (Christiane Paul) verstrickt sich Micha in immer weitere Lügen. Dabei saß sie damals in dem Zug, der aus Versehen in den Westen geleitet wurde.Bildrechte: X Verleih AG, Frederic BatierDer Film erzählt eigentlich, dass wir keine Helden brauchen. Gleichzeitig ist die Geschichte die einer Heldenwerdung.
Für mich ist der heldischste Moment, als er die Wahrheit über seine Exfrau erfährt. Da sitzt er, und das ist dann eben von Wolfgang (Becker, Anmerkung der Redaktion) auch groß gedacht, eben nicht irgendwo in einem Park beim Siegerehrenmal – sondern auf dem Klo des Deutschen Bundestages.
Da sitzt dieser kleine Mann auf dem Klo, ohne zu müssen. Und auf einmal hat er wirkliches Heldenfieber, weil er auch einen echten Grund hat und sagt: Jetzt weiß ich, was ich zu sagen habe. Er macht die Tür auf und will eine Rede im Bundestag darüber halten, wie Menschen verarscht werden können und warum Geschichtserzählungen auch falsch sein können. Und was macht die Politik? Schiebt ihn wieder beiseite.
Die rasante Entwicklung der falschen Story rund um seine Person zwingt den Videothek-Besitzer Micha, sich aus der Höhle der analogen Welt herauszuwagen. Bildrechte: X Verleih AG, Frederic BatierIst es ein Film, der die Spaltung zementiert oder ein versöhnlicher Film?
Ich finde letztlich ein versöhnender Film. Er macht zumindest die Möglichkeit der Versöhnung auf oder des Neu-Zuhörens. Wie Uwe Johnson sagte: Kenntnisname voneinander. Und das schafft der Film mit all seiner Sinnlichkeit, diese Räume wieder in uns aufzumachen. Dann kann man auch in der Ost-West-Debatte nochmal ganz entspannt das Skatblatt aufnehmen und sagen: Lass nochmal neu anfangen.
Dann kann man auch in der Ost-West-Debatte nochmal ganz entspannt das Skatblatt aufnehmen und sagen: Lass nochmal neu anfangen.
Spielte es für den Film eine Rolle, dass Du selbst einen Ost-Hintergrund hast?
Ich kann mich davon gar nicht distanzieren. Mir ist das ja total vertraut. Ich habe in den 90ern da gewohnt, ich kannte diese ganzen Videotheken, ich kenne auch ganz viele aus dieser Generation vor mir, die mit dem Staat schon echt Ärger hatten. Das sitzt einem in den Knochen. Inwieweit sich das dann wirklich auf die schauspielerische Arbeit ausgewirkt hat – das müssen andere beurteilen.
Am Set: Darsteller Charly Hübner, Christiane Paul, Autor Maxim Leo, Darstellerin Leonie Benesch und Regisseur Wolfgang Becker (von links nach rechts) Bildrechte: X Verleih AG, Frederic BatierEs ist Wolfgang Beckers letzter Film. Inwieweit waren die Dreharbeiten schon durch seine Krankheit geprägt?
Ich kenne ihn gar nicht anders. Aber ich habe das relativ bald gewusst. Und wir hatten dann so eine Kommunikation, die über Blicke und Humor lief. Wenn er sich nicht sicher war, was heute los ist, dann konnte man ihn einfach ansprechen. Dann war er klar. Und was mir an Beckers Arbeit gefiel, gerade für diese Geschichte: Du kannst die auch hart amerikanisch erzählen: zack, zack, zack. Der Plot gibt das her. Aber Wolfgang hat seine Art des Luftholens, des Nachdenkens. Ich glaube, das hat er immer gemacht, auch als er noch nicht krank war.
Nach dem Tod von Wolfang Becker (links) wurde der Film von Regisseur Achim von Borries (rechts) und Produzent Stefan Arndt zu Ende geführt.Bildrechte: X Verleih AG, Frederic BatierDas Interview führte Lutz Pehnert. Es wurde redaktionell bearbeitet.
Redaktionelle Bearbeitung: lm
Weitere Informationen zum Film
"Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße"
Kinostart am 11. Dezember 2025
Deutschland 2025
Länge: 115 Minuten
Mitwirkende:
Regie: Wolgang Becker
Romanvorlage: Maxim Leo
Mit: Charly Hübner, Christiane Paul, Leon Urrich, Leonie Benesch, Thorsten Merten, Peter Kurth, Daniel Brühl, Jürgen Vogel
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