Wie Thüringen sein kulturelles Gedächtnis digitalisiert
Marcus Rebhahn arbeitet an einem außergewöhnlichen Objekt: dem wohl ältesten bekannten Stadtplan der Welt. Er ist rund 3.500 Jahre alt und stammt aus der antiken Stadt Nippur im heutigen Irak. Heute gehört das Artefakt zur Hilprecht-Sammlung der Universität Jena.
Bildrechte: MDR/Bobo MertensEin 3D-Scanner, der an einen großen mechanischen Arm erinnert, umkreist den kleinen, fragilen Stadtplan. "Der Roboter fotografiert das Objekt aus allen Richtungen", erklärt Rebhahn. Aus den Aufnahmen entsteht eine Punktwolke aus rund 1,5 Millionen virtuellen Messpunkten. Anschließend tastet das System die Oberfläche ab, bis Form und Struktur vollständig erfasst sind.
Marcus Rebhahn ist 3D-Media-Artist und digitalisiert Objekte für die Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena.Bildrechte: MDR/Bobo MertensRebhahn beobachtet die langsamen Bewegungen des Arms, prüft die Detailgenauigkeit. Jede Linie, jede Unebenheit wird virtuell nachgebildet. Auf diese Weise erhält der Stadtplan eine zweite Existenz, digital konserviert und unabhängig vom Verfall des Materials.
Ein 100-Megapixel-Scanner: Geschwindigkeit für die Masse
Während Rebhahn an einem Einzelstück arbeitet, sorgt ein weiterer Scanner im Nebenraum dafür, dass große Mengen an Dokumenten in kurzer Zeit digital erfasst werden. Tom Meißner, der Teamleiter Digitales Kulturerbe an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB), blättert durch ein goldenes Tourtagebuch der Musikerin Joan Baez von ihrer Europatournee 1977. Das Unikat stammt aus dem Lippmann+Rau-Musikarchiv in Eisenach und enthält persönliche Widmungen und Zeichnungen.
Die Digitalisierung ist ein großer Schritt in Richtung Öffnung der Kultur, und Thüringen hat da einen sehr großen Schatz.
Bildrechte: MDR/Bobo Mertens"Diese Objekte sind Unikate, die sonst nur vor Ort einsehbar wären", sagt Meißner. Durch die automatisierten Scanner entstehe für jedes Dokument ein digitaler Zwilling. Im Sekundentakt. Die Technik ermögliche es, jährlich Hunderttausende Seiten zu erfassen. Das sei notwendig in einem Wettlauf mit der Zeit, denn die Bestände wachsen kontinuierlich.
Tom Meißner mit dem goldenen Tourtagebuch von Joan Baez.Bildrechte: MDR/Bobo MertensDenn in Thüringen gibt es mehr als 250 Kultureinrichtungen, darunter Museen, Archive und Bibliotheken. Sie verwahren mehrere Millionen Objekte, hinzu kommen jedes Jahr Hunderttausende neue durch Schenkungen und Bestandserweiterungen. Allein in Jena wurden bereits über drei Millionen Exponate digitalisiert - ein Bruchteil dessen, was noch folgt.
Ein digitales Gedächtnis für die Öffentlichkeit
Jedes digitalisierte Objekt, ob antiker Stadtplan oder persönliches Tagebuch, wird online zugänglich gemacht. Forschende, Studierende oder Interessierte können die Werke betrachten, vergleichen und analysieren, ohne die Originale zu beanspruchen. Abrufbar sind sie über die Online-Rechercheportale der Universitäts- und Landesbibliothek Jena, etwa über die Plattform "Dana Thüringen".
Meißner fährt mit der Hand über die Zeichnungen im Tagebuch von Joan Baez und sagt: "Die Digitalisierung ist ein großer Schritt in Richtung Öffnung der Kultur. Thüringen besitzt einen außergewöhnlich reichen Schatz." Ein Ende des Projekts ist nicht absehbar.
Zwischen Restaurierungsplatz, 3D-Scanner und Hochleistungskameras arbeiten Rebhahn, Meißner und andere Seite an Seite daran, das kulturelle Erbe des Landes zu bewahren und ihm ein zweites, digitales Leben zu geben.
MDR (bmm,nis,mm)
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