Alzheimer gilt als unaufhaltsame Erkrankung. Ist die Diagnose einmal gestellt, so die gängige Vorstellung, lassen sich Gedächtnisverlust und geistiger Abbau allenfalls verlangsamen, aber nicht rückgängig machen. Eine neue Studie aus den USA stellt dieses Grundprinzip nun infrage – zumindest im Tiermodell. Die Forscher zeigen: Selbst bei fortgeschrittener Alzheimer-Erkrankung konnten Mäuse ihre geistigen Fähigkeiten vollständig zurückgewinnen.

Im Zentrum der Arbeit steht nicht eines der bekannten Alzheimer-Merkmale wie Amyloid-Plaques oder Tau-Ablagerungen, sondern ein grundlegender Mechanismus der Zellbiologie: der Energiehaushalt der Gehirnzellen.

Energie als Schlüssel

Jede Zelle im Körper benötigt Energie, um zu funktionieren. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Molekül NAD⁺ (Nicotinamidadenindinukleotid). Es ist an zahlreichen lebenswichtigen Prozessen beteiligt, etwa an der Energiegewinnung in den Mitochondrien, der Reparatur von DNA-Schäden oder der Kontrolle von Entzündungsreaktionen. Sinkt der NAD⁺-Spiegel, verlieren Zellen nach und nach ihre Funktionsfähigkeit.

Die neue Studie zeigt: Bei Alzheimer ist dieser Energiestoffwechsel im Gehirn besonders stark gestört. Zwar nimmt NAD⁺ mit dem Alter generell ab, doch im Gehirn von Alzheimer-Patienten und in entsprechenden Mausmodellen ist der Rückgang noch einmal deutlich ausgeprägter. Je stärker die Störung, desto schwerer sind Gedächtnisverlust, Entzündungen, Schäden an Nervenzellen und an der Blut-Hirn-Schranke.

Zwei Mausmodelle, ein überraschendes Ergebnis

Die Forscher arbeiteten mit zwei unterschiedlichen Mausmodellen. Das eine bildet die Amyloid-Pathologie nach, also jene Eiweißablagerungen, die sich früh im Verlauf der Erkrankung ansammeln. Das andere Modell bildet die Tau-Pathologie ab, bei der sich fehlerhaft veränderte Tau-Proteine in Nervenzellen verklumpen. Beide Prozesse gelten als zentrale Merkmale der Alzheimer-Erkrankung.

In beiden Modellen setzten die Wissenschaftler einen Wirkstoff ein, der den NAD⁺-Haushalt stabilisiert. Er sorgt nicht dafür, dass Zellen unnatürlich viel NAD⁺ produzieren, sondern hilft ihnen, ihr normales Gleichgewicht aufrechtzuerhalten – selbst unter starkem Stress. Das Ergebnis war bemerkenswert: Wurde der Wirkstoff früh gegeben, entwickelten die Mäuse gar keine Alzheimer-typischen Symptome. Doch selbst bei bereits fortgeschrittener Erkrankung kehrte sich der Verlauf um. Gedächtnis, Lernfähigkeit und motorische Leistungen normalisierten sich. Gleichzeitig gingen Entzündungen zurück, oxidativer Stress nahm ab, die Blut-Hirn-Schranke erholte sich, und geschädigte neuronale Netzwerke stabilisierten sich wieder.

Wiederherstellung der inneren Widerstandskraft

Die funktionelle Erholung ließ sich auch im Blut nachweisen. Die Forscher maßen dort ein spezielles Tau-Fragment, p-Tau217, das in der Medizin zunehmend als verlässlicher Biomarker für Alzheimer gilt. Bei erkrankten Mäusen war dieser Wert erhöht, nach der Behandlung sank er wieder auf normale Werte. Das gilt als starkes Indiz dafür, dass nicht nur Symptome kaschiert, sondern krankhafte Prozesse tatsächlich zurückgedrängt wurden.

"Die Wiederherstellung des Energiegleichgewichts des Gehirns führte bei beiden Mauslinien mit fortgeschrittener Alzheimer-Erkrankung zu einer pathologischen und funktionellen Erholung", fasst Studienleiter Andrew Pieper die Ergebnisse zusammen. Besonders wichtig dabei: Die genetischen Ursachen der Erkrankung verschwanden nicht. Amyloid und Tau wurden nicht einfach "abgeschaltet". Stattdessen schien das Gehirn wieder in die Lage versetzt zu werden, mit den krankhaften Veränderungen umzugehen – eine Art Wiederherstellung der inneren Widerstandskraft.

Hoffnung für menschliche Patienten

Die Studienautoren betonen, dass diese Ergebnisse noch keinen unmittelbaren Durchbruch für menschliche Alzheimer-Patienten bedeuten. Die Experimente wurden ausschließlich an Mäusen durchgeführt. Dennoch sehen die Forscher einen möglichen Perspektivwechsel. "Die zentrale Botschaft ist eine Botschaft der Hoffnung – die Auswirkungen der Alzheimer-Erkrankung sind möglicherweise nicht unausweichlich dauerhaft", sagt Andrew Pieper.

Ein wichtiger Punkt der Studie ist die Abgrenzung zu frei verkäuflichen Nahrungsergänzungsmitteln, sogenannten NAD⁺-Vorstufen. Solche Substanzen können den NAD⁺-Spiegel stark erhöhen, teilweise weit über physiologische Werte hinaus. In Tierexperimenten wurde gezeigt, dass dies das Krebsrisiko erhöhen kann. Der in der Studie eingesetzte Wirkstoff verfolgt einen anderen Ansatz: Er stabilisiert den natürlichen Gleichgewichtszustand, ohne ihn künstlich zu überdrehen.

Die Forscher fordern nun sorgfältig geplante klinische Studien, um zu prüfen, ob sich die Effekte auf den Menschen übertragen lassen. Erst dann wird sich zeigen, ob aus der Hoffnung auch eine neue Therapieoption werden kann.

Links / Studien

K. Chaubey et al. (2025): "Pharmacologic reversal of advanced Alzheimer’s disease in mice and identification of potential therapeutic nodes in human brain", Cell Reports Medicine

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