Handchirurg zu Silvester-Böllerei: "Den ersten Patienten schon vor Weihnachten versorgt"
MDR AKTUELL: Herr Professor, wir führen dieses Gespräch am 30. Dezember in der Mittagszeit. Setzt bei Ihnen das traurige Silvestergeschäft schon ein?
Frank Siemers: Das hat bereits eingesetzt. Den ersten Patienten haben wir schon vor Weihnachten, am 23. Dezember, versorgt, der in einer Wohnung eine Rakete gezündet hatte und sich hier durch schwere Verletzungen im Bereich der Beine zugezogen hat. Fortgesetzt hat sich das gestern Abend – sicherlich bedingt durch den freien Verkauf des Feuerwerks – mit einer Sprengverletzung im Gesichtsbereich, zum Glück ohne Augenbeteiligung.
Sie haben schon viele Silvester als Mediziner erlebt. Was bekommen Sie da auf den Tisch, was Sie sonst im Jahr nicht sehen?
Wir bekommen regelmäßig zum Jahreswechsel, insbesondere in den Stunden nach Mitternacht, schwere Handverletzungen zu sehen, zu versorgen – mit abgetrennten Gliedmaßen, abgetrennten Fingern bis hin zu abgetrennten Händen. Und das in Kombination mit sogenannten thermischen Verletzungen, mit Verletzungen durch die Hitzeeinwirkung. Und was man auch nicht unterschätzen darf, sind weitere Verletzungen durch die Sprengkraft am gesamten Körper.
Es muss ja nicht gleich eine völlig zerfetzte oder abgetrennte Hand sein: Ab wann werden Handverletzungen eigentlich problematisch?
Schon sehr kleine Verletzungen können schwerwiegende Folgen haben, weil die Hand ein sehr empfindliches Organ ist, bei dem oft nicht nur der Hautweichteilmantel, sondern auch funktionelle Strukturen wie Nerven, Gefäße, Sehnen oder auch Knochen dann betroffen sind. Und in der Folgezeit können sich natürlich auch durch kleine Verletzungen Entzündungen im Bereich der Hand einstellen, was dann auch in vielen Fällen operationspflichtig wird.
Haben Sie den Eindruck, dass Menschen die Gefahren unterschätzen, die vielleicht auch schon von Knallern oder von kleineren Raketen ausgehen?
Ja, oft ist es eine Mischung aus Unterschätzung, Alkoholeinfluss, Mutprobe – da spielen viele Faktoren mit rein. Aber das Unterschätzen der Gefahren ist sicherlich ein relevanter Aspekt.
Man sieht ja auch immer wieder, dass Raketen in Menschenmengen geschossen werden. Dass das gefährlich für die Augen ist, kann man sich denken. Welche Verletzungen kann eine Rakete am Körper noch anrichten?
Neben den Augenverletzungen kann es auch zu Schädigungen im Ohrbereich führen. Und neben der Explosionswirkung sind es die Hitzeeinwirkungen, die die Haut verletzen, also die dann zu Verbrennungen führen und wo wir dann auch viele Patienten außerhalb der Handverletzungen bei uns in der Klinik sehen.
Sehr beliebt sind ja auch Tischfeuerwerke. Ist das in irgendeiner Form gefährlich?
Da haben wir eigentlich keine Verletzungsfolgen gesehen in den vergangenen Jahren. Es sind tatsächlich diese illegalen Böller, die unsachgemäß verwendet werden, in der Hand gezündet werden; Kugelbomben, die eine ganz andere Zündvorrichtung haben, die eigentlich nur von Profis gezündet werden sollten – und bei denen letztlich der Zündmechanismus und auch die Explosionswirkung völlig unterschätzt wird. Das ist eigentlich das Hauptproblem.
Wir diskutieren in Deutschland seit langem über ein Böllerverbot. Haben Sie den Eindruck, dass präventiv genug getan wird, um den Silvesterwahnsinn einzudämmen und vor den gesundheitlichen Gefahren zu warnen?
Ich habe festgestellt, dass die Anzahl der Präventivmaßnahmen zugenommen hat. Ich bin ja auch aktiv bei Paulinchen e.V., einer Initiative für brandverletzte Kinder. Sie hat den "Tag des brandverletzten Kindes", jedes Jahr am 7. Dezember, unter dieses Motto gestellt. Darüber hinaus haben wir mit anderen Fachgesellschaften, also wir als Deutsche Gesellschaft Verbrennungsmedizin, die Handchirurgen, HNO-Augenärzte, Chirurgen und Kindermediziner, noch mal eine Präventivmaßnahme auf den Weg gebracht, die heißt "DuEntscheidest.info".
Was wir sagen können, ist, dass wir in Jahren, in denen der Böllerverkauf verboten war – in der Corona-Zeit – und auch die Reisetätigkeit nicht so ausgeprägt möglich war, eine deutlich geringere Anzahl von schweren Böllerverletzungen hatten. Das konnten wir auch durch eine Studie belegen, die wir vergangenes Jahr publiziert haben, ausgehend von mehreren deutschen handchirurgischen Zentren. Da zeigte sich diese diese Entwicklung sehr stark und mit einem dann leider dann noch der deutlichen Anstieg in der Silvesternacht von 2023 auf 2024.
Wie stellen Sie sich als Klinik eigentlich auf die Silvesternacht ein? Fahren Sie da Sonderschichten? Haben Handchirurgen Silvester niemals frei?
Ja, es ist tatsächlich so, dass wir die Personaldichte in der Silvesternacht erhöhen, um mit einer doppelten Teamstärke dann die Notfallversorgung gewährleisten zu können.
Darf ich Sie noch fragen, ob Sie selber vielleicht böllern oder lassen Sie das lieber sein?
Ich böllere nicht. Ich lasse es sein, lasse andere böllern und hoffe, dass die das dann auch umsichtig machen.
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