„Immenses Tierleid“: Aktivisten decken Missstände in Zuchtanlagen auf
- In Zuchtanlagen dürfen Tiere nur unter bestimmten Voraussetzungen getötet werden. Tierschutzaktivisten mutmaßen, dass Nottötungen aus Rentabilitätsgründen durchgeführt werden.
- Eine Studie belegt, dass es Verstrickungen zwischen Behörden und Landwirten gibt – und zeigt, dass Verstöße selten Konsequenzen haben.
- Die Tierschutzverstöße ziehen nur selten Konsequenzen wie Geld- oder Bewährungsstrafen nach sich.
In Thiemendorf in Thüringen parkt am Rande eines Ackers ein Auto. Von hier gehen drei Personen zu Fuß weiter zu einer Schweinezuchtanlage. Sie sind Tierrechtsaktivisten und wollen dort Tierleid dokumentieren. Sie behaupten: In dieser riesigen Anlage sterben Ferkel einen grausamen Tod. Dafür sammeln die Aktivisten seit Monaten Belege und begehen dafür eine Straftat: Hausfriedensbruch.
Die Anlage in Thiemendorf existiert seit DDR-Zeiten. Der aktuelle Betreiber stammt aus den Niederlanden. Im Oktober 2024 waren die Aktivisten schon einmal hier und installierten versteckte Kameras. Diese zeichneten auf, wie Mitarbeiter im Akkord Ferkel töten. Nach einem Betäubungsschlag erfolgt ein Kehlschnitt. Die Tiere bluten langsam aus, einige sterben erst nach minutenlangem Todeskampf in der Kadavertonne.
Nottötungen nur unter Bedingungen erlaubt
In solchen Schweinezuchtanlagen sind sogenannte Nottötungen nichts Ungewöhnliches. Doch dafür gibt es klare Vorgaben. Nur mit einem vernünftigen Grund, wenn etwa eine unheilbare Krankheit vorliegt, darf getötet werden. Doch zu sehen sind auch Ferkel, die quicklebendig wirken und sich nach Kräften zu wehren scheinen.
Der Verein Uncover setzt sich für Tierrechte ein und will die Aufnahmen der Aktivisten an die Öffentlichkeit bringen. Vorstandsmitglied Matthias Schönborn mutmaßt, dass solche Anlagen 100 Prozent Auslastung anstreben würden und die Sauen darauf getrimmt seien, besonders viele Ferkel zu werfen. Doch die Anzahl der Zitzen ist begrenzt, überschüssige Ferkel würden dem Betreiber einen Mehraufwand verursachen.

Und dann liegt die Vermutung nahe, dass die überflüssigen [Ferkel] eben aus Rentabilitätsgründen getötet werden.
"Und dann liegt die Vermutung nahe, dass die Überflüssigen eben aus Rentabilitätsgründen getötet werden", erklärt Schönborn. Das Töten von Tieren ohne vernünftigen Grund ist eine Straftat. Überschüssige oder lebensschwache Tiere aus rein wirtschaftlichen Gründen zu töten, könnte demnach strafbar sein.
Kari: Massives Fehlverhalten der Mitarbeiter
Ariane Kari war jahrelang als Amtstierärztin tätig und berät seit Juni 2023 als Bundestierschutzbeauftragte die Bundesregierung bei tierschutzrelevanten Angelegenheiten. Beim Betrachten der Aufnahmen spricht sie von "immensem Tierleid" und äußert auch den Verdacht, dass hier Tiere ohne vernünftigen Grund getötet wurden. Außerdem sei es bei den Ferkeltötungen zu massivem Fehlverhalten der Mitarbeiter gekommen.

"Wir haben hier komplett unsachgemäße Betäubungs- und Tötungsmethoden (…) und keine Betäubungskontrolle (…), beziehungsweise wenn die Tiere nicht betäubt waren, wurde nicht eingegriffen. Sie wurden gar nicht nachbetäubt, obwohl die Tiere über Minuten lang einen Todeskampf hatten. Für mich steht ganz klar der Verdacht einer Straftat nach Paragraph 17 Tierschutzgesetz im Raum."
Ferkel verenden langsam
Eigentlich müssten die Tiere mit einem gezielten Schlag auf den Kopf betäubt werden. Auf den Aufnahmen ist zu sehen, wie die Mitarbeiterin acht Mal auf ein Ferkel einschlägt. Zudem sind Kehlschnitte nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. In einem weiteren Fall bewegt sich ein Ferkel nach dem Kehlschnitt noch über Minuten hinweg. "Dieses Tier durchlebt gerade einen hoch schmerzhaften Todeskampf unter Todesangst", sagt Kari. Weil der Kehlschnitt offensichtlich nicht tief genug ging, stirbt das Tier erst nach langen 20 Minuten in der Kadavertonne. So wie viele andere auch, belegen die Aufnahmen. Kari erklärt, hätte sie als Amtstierärztin das Material erhalten, würde sie in Absprache mit der Staatsanwaltschaft, mit der Polizei diesen Betrieb kontrollieren.

Dieses Tier durchlebt gerade einen hoch schmerzhaften Todeskampf unter Todesangst.
MDR INVESTIGATIV hat das Videomaterial an das zuständige Veterinäramt weitergeleitet. Ein Interview wird abgelehnt. Der Zweckverband Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt Jena-Saale-Holzland antwortet schriftlich: "Wir nehmen die erhobenen Vorwürfe sehr ernst und werden diese kurzfristig und gründlich prüfen. Wenn sich anhand der Aufnahmen ein Anfangsverdacht auf Verstöße, z.B. gegen das Tierschutzgesetz, ergibt, schreitet der Zweckverband (…) von Amts wegen ein und wird ggf. Strafanzeige erstatten sowie den Sachverhalt den Strafverfolgungsbehörden übergeben." Weiter heißt es, die Anlage würde regelmäßig kontrolliert. Der Betreiber hätte bereits in der Vergangenheit Auflagen erhalten und im Bereich des Tierschutzes nachbessern müssen.
Brasus betreibt seit 2021 im Saale-Holzlandkreis drei Anlagen. MDR INVESTIGATIV übersendet das Videomaterial und einen Fragenkatalog an den niederländischen Geschäftsführer Ronald Braks. Vor der Kamera will er sich nicht äußern. Schriftlich antwortet er: "Als Schweinebetrieb wollen wir uns an alle Vorgaben halten, um Tiere produzieren zu dürfen. Hierunter fallen zum Beispiel (…) die Nutztierhaltungsverordnung (…) und leider auch die Nottötung von Tieren mit Krankheiten ohne Genesungschance.“ Er betont, es würde kein Tier aus wirtschaftlichen Gründen notgetötet. Auf all die anderen Vorwürfe geht er nicht ein.
Studie untersucht Tierschutzkriminalität
Deutschlandweit decken Aktivisten immer wieder Tierschutzskandale auf. Auf einer Webseite von Tierschützern sind 237 mutmaßliche Vorfälle dokumentiert – von 2016 bis jetzt. Doch viele Verstöße oder Straftaten hätten kaum Konsequenzen, heißt es hier.
Das bestätigt auch Johanna Hahn. Die Juristin von der Universität Erlangen-Nürnberg hat sich in einer Studie mit Tierschutzkriminalität in der Landwirtschaft beschäftigt und dafür auch mit Amtstierärzten gesprochen. Ihre Erkenntnis: Oft gäbe es Verstrickungen zwischen Behörden und Landwirten. "Eine Amtstierärztin zum Beispiel hatte uns berichtet, der Behördenleiter der Veterinärbehörde, die eigentlich kontrollieren soll, war eben sehr stark in der Umgebung verhaftet. Er ging mit den Landwirten ins Bierzelt, zur Jagd und hat dann eben auch mal gesagt, ‘Na, bei dem Landwirt müssen wir jetzt nicht so genau hinschauen, den kenne ich ja’."

Eine Amtstierärztin berichtete, der Behördenleiter ging mit den Landwirten auch zur Jagd oder ins Bierzelt. Er sagte, 'Na bei dem Landwirt müssen wir jetzt nicht so genau hinschauen'.
In der Studie wird ein weiterer Amtstierarzt zitiert, der berichtet, wie unerwünscht Kontrollen auf Leitungsebene sind: "Der Amtsleiter, der möchte einfach mal einen ruhigen Job machen. Ja, der möchte da jetzt nicht irgendwie Aufregung im Amt, der möchte vielleicht auch nicht, dass der Landrat sich meldet, weil sich jetzt der große Mastbetrieb beschwert, was denn da jetzt los sei."
Konsequenzen nur selten angeordnet
Für ihre Studie hat Johanna Hahn auch 120 Strafverfahren im Nutztierbereich genauer untersucht. In lediglich elf Fällen kam es zu überwiegend geringen Geldstrafen. Und in einem einzigen Fall wurde eine Freiheitsstrafe von vier Monaten zur Bewährung ausgesetzt. Das Problem: Für eine Verurteilung wegen Tierquälerei muss nachgewiesen werden, dass ein Wirbeltier erhebliche Schmerzen oder Leiden ertragen musste und diese länger andauerten. Doch dafür reiche das Videomaterial der Aktivisten oft nicht aus.
Johanna Hahn fordert deshalb, dass bereits bestimmte Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften als Straftat gewertet werden. Dann müsse nicht mehr im Einzelfall nachgewiesen werden, wie lange die Tiere leiden. "Dann würde ich einfach auf Videomaterial sehen, das war eine falsche Betäubungsmethode, das war eine falsche Tötungsmethode. Das ist automatisch strafbar. Keine Diskussion mehr."
Aus dem Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung gibt es zu der Thematik keine inhaltliche Antwort. Wegen des Regierungswechsels könne man dazu noch keine Auskunft geben.
Zurück in Thiemendorf. MDR INVESTIGATIV hat dem zuständigen Veterinäramt das Bildmaterial zur Verfügung gestellt. Nach der Sichtung wurde dort nun Strafanzeige bei der Kriminalpolizei wegen des Verdachts auf Verstöße gegen das Tierschutzgesetz gestellt.
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