Grundrechte-Report beklagt neue Härte deutscher Behörden
- Vorwurf im Report: Die Gewährung von Grundrechten wird zunehmend mit der Gesinnung derer verknüpft, die sie einfordern.
- Was waren die Beweggründe, die zur Hast bei der Überstellung von Maja T. nach Ungarn führten?
- Hat die Natur eigene Rechte? Zwei wegweisende Urteile aus Erfurt eröffnen neue Perspektiven und befeuern die Diskussion über die Rechte der Natur.
In mehr als 40 Beiträgen macht der aktuelle "Menschenrechte-Report" auf Missstände in Deutschland aufmerksam. "Wir stehen in Deutschland an einem Punkt, an dem es nicht mehr ausreicht, auf einzelne Bedrohungen von Grundrechten hinzuweisen". Mit diesem Satz beginnt der Report in diesem Jahr. Bestimmte Arten von Versammlungen würden pauschal verboten, Protestcamps mit Gewalt geräumt, die Äußerung von Meinungen wegen ihres Inhalts kriminalisiert, Kulturschaffende und Wissenschaftler unter Generalverdacht gestellt.
"Der Ton ist so rau wie lange nicht mehr", heißt es im Vorwort des aktuellen Grundrechte-Reports. Gegenüber Minderheiten und Migrantinnen fielen die letzten Hemmungen. Die Herausgeber sprechen von einer Entmenschlichung der Debatte, bei der nicht einmal der Schein gewahrt werde, dass der Staat von der gleichen unantastbaren Würde aller Menschen ausgehe.
Grundrechte-Report, was ist das?
Der Grundrechte-Report wird seit 1997 jährlich von inzwischen zehn Bürgerrechtsorganisationen herausgegeben. In diesem Jahr liegt der Fokus auf Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie auf Grundrechtseingriffen in den Bereichen Migration und Asyl aber auch auf dem Umgang mit der Klimakrise, auf Überwachungsmaßnahmen und auf Grenzen beim Mieterschutz. Der Report erscheint im S. Fischer Verlag unter der ISBN 978-3-596-71238-0
Grundrechte-Report, wer sind die Herausgeber?
Die Humanistische Union, das Komitees für Grundrechte und Demokratie, der Bundesarbeitskreis Kritischer Juragruppen, Pro Asyl, der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein, die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen, die Internationale Liga für Menschenrechte, die Neue Richter*innenvereinigung, das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung sowie die Gesellschaft für Freiheitsrechte.
Insbesondere Randgruppen von Verstößen betroffen
Die Mütter und Väter des Grundgesetzes und damit der in Deutschland geltenden Grundrechte hätten vor 76 Jahren hauptsächlich ein Ziel vor Augen gehabt: Sie wollten die Gruppen schützen, die fast immer und überall ausgeschlossen würden, erklärt Britta Rabe vom "Komitee für Grundrechte und Demokratie" – eine der zehn Herausgeber-Organisationen des Grundrechte-Reports im Gespräch mit MDR AKTUELL. Man beobachte jedoch, dass das Gegenteil immer öfter der Fall sei. Viele Gruppen seien von schwersten Grundrechtsverletzungen betroffen. "Auch jetzt in der aktuellen politischen Situation werden diese Freiheitsrechte ganz massiv beschnitten und eingeschränkt." Vor allem, wie der Grundrechte-Report deutlich macht, die Rechte Marginalisierter und von Migranten.
Vorwurf: zunehmend Verknüpfung von Grundrechten mit Gesinnungen
In Deutschland, so lautet der Befund, breite sich eine "neue Gesinnungskontrolle" aus. Es würden Grundrechte an bestimmte Gesinnungen geknüpft – insbesondere, wenn sie nicht mit der als "Staatsräson" bezeichneten Politik übereinstimmen, heißt es etwa mit Blick auf die verweigerte Einbürgerung eines syrischen Flüchtlings.
Freiheitseinschränkungen, erklärt Rabe, richteten sich nicht mehr nur gegen die Form, sondern zunehmend gegen den Inhalt. So könne eine Sitzblockade von Klima-Aktivisten eine Form von Freiheitsgebrauch sein. Ob dieser Freiheitsgebrauch eingeschränkt würde, hänge nicht mehr nur von der Form ab. "Jetzt beobachten wir zunehmend, dass es auch um die Inhalte geht, die vermittelt werden."
Maja T.: Warum die Hast bei der Auslieferung?
Die Herausgeber bescheinigen den deutschen Behörden eine neue Härte. Diese äußere sich unter anderem in der Rekordzahl an Personen, die in einem Jahr nach polizeilichen Maßnahmen ums Leben kamen. Die Auslieferung der non-binären mutmaßlichen Linksextremistin Maja T. werten sie als einen Höhepunkt der Rechtsverweigerung. Maja T. war aus einem Gefängnis in Dresden über Nacht mit einem Hubschrauber nach Ungarn überstellt worden. Hier hätten die Behörden Tatsachen geschaffen, ohne die Antwort des Bundesverfassungsgerichtes auf die Beschwerde des Anwalts von Maja T. abzuwarten.
"Das ist natürlich ein ganz großer Skandal und das ist eben auch das, was zunächst im Fokus stand", sagt Rabe. Hinzu komme die inhaltliche Ebene, nämlich dass überhaupt so entschieden worden sei – einhergehend mit der vorschnellen Überstellung nach Ungarn, die auch mit Hubschrauber passiert sei. "Das ist ein ganz ungewöhnliches Mittel, dass da so schnell gehandelt wurde und sich eben nicht die nötige Zeit gelassen wurde. Und das ist natürlich ein großes Problem, weil Fakten geschaffen wurden und Maja auch nicht zurückgeholt werden kann."
Warum die Behörden so handelten? Um Druck auszuüben, meint Rabe sinngemäß. Weil die rechtsstaatlichen Mängel in Ungarn bekannt seien. "Mit dieser Vorstellung davon, dass weitere Beschuldigte eventuell auch ausgeliefert werden könnten, wurde eben eine Drohkulisse geschaffen, um die Menschen, die sich der Verhaftung entzogen haben, unter Druck zu setzen, sich zu stellen und vielleicht Fehler zu machen."
Hat die Natur eigene Rechte? Wegweisende Urteile aus Erfurt
Auch zwei Urteile vom Landgericht Erfurt fanden Eingang in den Grundrechte-Report. Nicht weil sie Grundrechte missachteten, sondern weil sie eine neue Perspektive eröffneten, nämlich auf die Rechte der Natur. Hintergrund waren die Klagen von Fahrzeugkäufern, die mit unzulässigen Abschalteinrichtungen getäuscht worden waren. "Hat die Natur eigene Rechte?" fragt Autorin Elena Ewering in ihrem Aufsatz. Dass die Kläger Schadensersatz zugesprochen bekamen, interessiert die Autorin dabei weniger als die Argumentation der Richter, die Ewering zufolge die Rechte der Natur schutzverstärkend hinzuzogen.
Ein Novum: "Zum einen natürlich, weil sich in Deutschland erstmalig Rechte der Natur in der Rechtsprechung wiederfinden lassen", sagt Ewering MDR AKTUELL. Fände diese Perspektive Eingang in die deutsche Rechtsprechung, wäre die Natur als Rechtssubjekt berechtigt, selbst im eigenen Namen vor Gericht zu klagen.
Sie bekäme einen neuen Stellenwert und wir Menschen noch mehr Möglichkeiten, unsere Lebensgrundlagen zu sichern, so Ewering. "Ob sich jetzt andere Richter oder Richterinnen dieser Argumentation anschließen, ist abzuwarten, aber es ist jedenfalls durch diese Urteile gezeigt worden, dass es möglich ist, Rechte der Natur auch jetzt schon zu berücksichtigen." Ein Paradigmenwechsel folgt auf die beiden Urteile wohl zunächst nicht – ein Anstoß für die juristische Debatte aber waren sie schon.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke