Der türkis-grau-weiße Lkw fällt schon von weitem auf, der in dieser Woche in Zwickau auf dem Hauptmarkt. Auch die in großen Buchstaben darauf geklebte Frage sticht ins Auge und soll Passanten anlocken: "In Echt?"

Was da genau "In Echt" zu sehen ist, hat mit virtueller Realität zu tun und mit Zeitzeugen des Regimes der Nationalsozialisten. Denn die moderne Technik ermöglicht es, mit einer VR-Brille diesen Menschen gegenüber zu treten.

Der auffällig gestaltete Lkw soll Laufpublikum erreichen und für das Thema NS-Diktatur sensibilisieren.Bildrechte: MDR/Thomas Friedrich

Digitalisierung soll vor Vergessen bewahren

Hinter dem Projekt stehen das Brandenburg Museum für Zukunft, Gegenwart und Geschichte und die Filmuniversität Babelsberg. Die Aufnahmen mit den Zeitzeugen entstanden dort in den Jahren 2021 und 2023, als die Holocaust-Überlebenden im Alter von 90 bis 103 Jahren waren. Dazu wurde mit der volumetrischen Technik genannte Aufnahmetechnik genutzt.

32 Kameras, die im Kreis um die Interviewten angeordnet waren, ermöglichten die Weiterverarbeitung als dreidimensionale Darstellung. Damit erlebt man nun mit einer VR-Brille im virtuellen Raum die Zeitzeugen hautnah. Gleichzeitig bleibt ihre persönliche Geschichte auch über ihren Tod hinaus in der virtuellen Welt erhalten.

Raus aus dem Museum - rein in Fußgängerzonen

Projektleiterin Johanna Schüller will ein breites Publikum mit dem Angebot des Trucks erreichen. "Wir sind mit dem Lkw auf Deutschlandtour." Es gebe dabei nicht nur die virtuelle Realität, sondern auch eine analoge Ausstellung mit den Biografien der Zeitzeugen und darüber, wie die Interviews entstanden seien.

"Unser Anspruch ist es, im öffentlichen Raum zu stehen, raus aus dem Museum. So können wir ein Laufpublikum erreichen." Dabei denkt die Projektleiterin an Schülerinnen, Schüler und Lehrer, denen es vielleicht nicht möglich sei, in die großen Museen und Gedenkstätten zu fahren, um sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. "Wir hoffen natürlich auch, dass die VR-Technik gerade junge Menschen neugierig macht."

Wir hoffen natürlich auch, dass die VR-Technik gerade junge Menschen neugierig macht.

Johanna Schüller Projektleitung "In Echt? - Virtuelle Begegnung mit NS-Zeitzeuginnen und Zeitzeugen".

Was ist virtuelle Realität? (zum Aufklappen)

  • Als Virtual Reality (VR) wird eine digitale, künstliche Welt bezeichnet, die mit Hilfe von spezieller Soft- und Hardware erzeugt und erlebbar gemacht wird.
  • Durch eine VR-Brille wird die virtuelle Welt für den Nutzer in 360 Grad erlebbar. Er kann in die künstliche Welt eintauchen.
  • Eine Interaktion mit der Welt und ihren Objekten wird durch Controller und/oder Eye-Tracking möglich.

Geschichten, die unter die Haut gehen

Eine ältere Zwickauerin ist ganz gezielt zum Truck gekommen. Sie habe die Ankündigung in der Tageszeitung gelesen, erzählt sie. "Ich habe selbst jüdische Freunde, die in Holland leben, aber aus Zwickau stammen. Sie haben mir erzählt, wie die Familie die Nazizeit überstanden hat." Das habe sie sehr betroffen gemacht.

"Deshalb will ich noch mehr über Menschen erfahren, die den Krieg überlebt haben." Berührungsänste mit der VR-Technik hat sie nicht. "Ich finde das sehr interessant." So sei sie den Menschen näher, als wenn sie nur über sie lese.

Diese Besucherin hat selbst jüdische Freunde, deren Familien während der NS-Diktatur verfolgt wurden.Bildrechte: MDR/Thomas Friedrich

Junge Besucher fühlen sich "abgeholt"

Jessica Thiel und Tim Planitzer sind zufällig am Truck vorbeigekommen auf ihrem Weg durch die Stadt. Sie lassen sich nicht lange bitten und betreten den virtuellen Erinnerungsraum. VR-Brillen kennen sie schon von anderen Anwendungen und finden das virtuelle Zeitzeugengespräch spannend. "Ich finde das eine sehr gute Idee, weil man Geschichte hautnah mitbekommt." Sie finde es gut, das man virtuelle Realität zur Bildung nutzen könne und die historischen Ereignisse in die Gegenwart hole. "Damit wird auch die Jugend mehr angesprochen."

Damit wird die Jugend mehr angesprochen.

Jessica ThielBesucherin der Ausstellung

Tim Planitzer (li.) und Jessica Thiel waren zufällig am Lkw und ließen sich von der Technik und den vermittelten Inhalten überzeugen.Bildrechte: MDR/Thomas Friedrich

"Ich finde, das hält die Geschichte am Leben, wenn man den Zeitzeugen wirklich gegenübersitzen kann. Das hält das Ganze lebendig. Ich hatte ein gewisses Gefühl der Beklemmung", ergänzt Tim Planitzer. "Es ist wichtig, darüber zu reden in der heutigen Zeit." Das virtuelle Einzelgespräch sei intensiver gewesen als zum Beispiel Vorträge oder Ausstellungen.

MDR (tfr)

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