"Stolz-Pass" statt Fahrt zu Gedenkstätte: Wie die AfD die Erinnerungskultur angreift
In einem Antrag der AfD-Fraktion forderte sie die Landesregierung auf, eine Kampagne mit dem Titel "#deutschdenken" als Ersatz für die Landeskampagne "#moderndenken" einzuführen. Die Fraktion spricht von einer "Identitäts- und kulturpolitischen Akzentsetzung". Darin enthalten sind etwa Themenkomplexe wie die Merseburger Zaubersprüche, Otto der Große, Martin Luther oder das Festspiel der deutschen Sprache in Bad Lauchstädt.
Dazu soll auch eine Änderung der Lehrpläne und die Anweisung, dass Schul-Exkursionen in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung zu Gedenkstätten eingestellt und ersetzt werden durch Fahrten zu historischen Stätten mit Kampagnenbezug.
Gedenkstätte für NS-Opfer in Bernburg: "Es hilft, nachzuvollziehen, wie es war"
Seit fast 20 Jahren gibt die Gedenkstätte für Opfer der NS-"Euthanasie" Bernburg. 1933 beginnen in Bernburg die Zwangssterilisationen und 1939 das Töten. Für die Psychiatrische Anstalt wird extra Personal von außerhalb angestellt, damit es es im Ort kein Gerede gibt über die vielen Sterbefälle von Behinderten und psychisch Kranken – Geschichtsunterricht vor Ort für Neuntklässler, die gerade aus Dessau zu Besuch sind.
Man sollte den Schüler merken lassen, wie das damals war und wie schlimm das war!
Jan-Ole meint auf die Frage, wie er es fände, diesen Ort zu besuchen: "Es ist gut, es hilft auch nachzuvollziehen, wie das früher war. Es ist etwas anderes, das im Geschichtsunterricht zu hören und ein anderes Gefühl, hier zu sein und das nachzuvollziehen und dass so etwas nie wieder passieren darf." Auch sein Klassenkamerad Willi würde die Fahrt nicht als verzichtbar ansehen: "Nee, ich finde man sollte das mal sehen... Man sollte den Schüler merken lassen, wie das damals war und wie schlimm das war!"

Gedenkstätten unerwünscht: AfD will Exkursionen neu ausrichten
Die AfD-Kampagne "#deutschdenken" sieht das Ende von Fahrten zu Gedenkstätten aus der Zeit des Nationalsozialismus vor. Hans-Thomas Tillschneider, Kulturpolitischer Sprecher der AfD, sagt dazu, dass die NS-Zeit eine Belastung sei und sie sie deshalb nicht mit reingenommen hätten. Er plädiert darauf, "die Vergangenheit vergehen zu lassen." Sie sei ein Klotz am Bein.
Andreas Silbersack, Fraktionschef der FDP, reagiert auf den von Tillschneider vorgetragenen Antrag scharf, dass seine Begrifflichkeiten "deutsch denken" an Hitler erinnern, in seiner Reichenberger Rede an die Hitlerjugend. Stefan Gebhardt von der Linken meint dazu, wer sich an die 60 Millionen Toten aus dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erinnern wolle, der müsse sich den Vorwurf des Geschichtsrevisionismus und des Nationalismus gefallen lassen.
"Stolz-Pass" auf "Straße des Deutschen Reiches"
Ohne Nazi-Geschichte also sieht der Antrag eine sogenannte "Straße des Deutschen Reiches" vor. Historische Stätten wie der Magdeburger Dom oder die Luthergedenkstätten sollen Sachsen-Anhalt dabei helfen, eine "Führungsrolle bei der anstehenden kulturpolitischen Wende" zuzuweisen. Im Land gibt es bereits die Straße der Romanik, das Festspiel der Deutschen Sprache, die Ehrung Luthers. Mehrere Kulturstiftungen Sachsen-Anhalts, auch die Luthergedenkstätten, positionieren sich zum AfD-Antrag in einer gemeinsamen Stellungnahme.
Für sie "reiht sich die Instrumentalisierung historischer Persönlichkeiten in die bisherigen Vorstöße der AfD ein, die deutsche Nationalgeschichte im Sinne ihres identitären Kulturkampfs zu vereinnahmen. Standen bisher einzelne Institutionen wie das Bauhaus oder die Landeszentrale für politische Bildung im Fokus der Angriffe, ist es jetzt die gesamte Kulturlandschaft Sachsen-Anhalts."
Archivar hält nicht viel vom "Stolz-Pass"
In der AfD-Liste kommt auch der Merseburger Dom vor. Die hier im 19. Jahrhundert entdeckten Zaubersprüche liegen tief im Gewölbe und sind Zeugnis des Althochdeutschen aus dem 11. Jahrhundert. Auf einem sogenannten "Stolz-Pass" solle man sich den Besuch solcher Stätten abstempeln lassen können.
Archivar und Historiker Markus Kottin bewahrt hier viele Schätze, verweist auf die verschiedenen sprachlichen Einflüsse bei den Zaubersprüchen, etwa das Englische. Von einem "Stolz-Pass" hält er nicht viel, verweist vielmehr auf die vielen christlichen Zeugnisse aus ganz Europa im Dom und das internationale Publikum. Die auf einen Eintrag ins UNESCO-Weltdokumentenerbe wartenden Zaubersprüche seien "Zeugen von einem Übergang von einer heidnischen zu einer christianisierten Kultur. Sind im Grunde genommen tolerant aufgenommen worden, nämlich in einer christlichen Sammlung. Das ist nichts auf Grund der langen Dauer, auf das man stolz sein könnte, man kann vielmehr froh sein, dass sich so etwas erhalten hat und somit für die Wissenschaft, Erforschung der deutschen Sprache zur Verfügung steht."
Landtag von Sachsen-Anhalt lehnt Antrag ab
Im Landtag wurde der Antrag #deutschdenken abgelehnt, zu nah sei er am Gedankengut der NS-Zeit ausgerichtet. Der Bildungspolitische Sprecher der SPD, Holger Hövelmann, sagt dazu: "Wir sehen klar, was Sie wollen: Eine Umdeutung der deutschen Geschichte – auch wenn Sie das kulturpolitische Wende nennen."
In Bernburg schaut man beunruhigt in die Zukunft und hält die Vergangenheit weiter für wichtig. Judith Gebauer, Leiterin der Gedenkstätte "Euthanasie", weist auf die Aktualität ihrer Arbeit hin. Es ständen Themen im Mittelpunkt, "die auch für die heutige Gesellschaft relevant sind: Wie gehen wir mit Menschen mit psychischen Erkrankungen um, wie mit Menschen mit Behinderungen? Was passiert, wenn wir Menschen nur an Hand ökonomischer Kriterien bewerten?" Das seinen Themen, die ganz aktuell sind, die nicht nur in der Vergangenheit lägen. In Bernburg wurden fast 140.000 Menschen getötet, vergast, in nur zweieinhalb Jahren.
Bildungsministerin Feußner kritisiert AfD-Forderungen
Bildungsministerien Eva Feußner (CDU) äußerte sich vor dem Landtag: "Unsere Kapitel der deutschen Geschichte auszublenden und Stolz einzufordern und ihn per Pass noch zu dokumentieren, ist im besten Fall nur grotesk im schlimmsten Fall ist das eine Anknüpfung an Zeiten, die wir geglaubt haben, längst hinter uns zu haben." Im Schlusssatz forderte sie auf, statt deutsch zu denken nachzudenken.
Die AfD machte unterdessen deutlich, dass sie bei einer Mehrheit bei der Landtagswahl alles das umzusetzen wolle, was auf Länderebene gehe. Bildungs- und Kulturpolitik ist Ländersache.
MDR (Sabine Falk-Bartz)
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