Experten kritisieren politische Debatten über Krankenstand und Arbeitszeiten
- Zahlen und Vergleiche zu Fehltagen nicht belastbar
- Warnung vor einer Kultur des Misstrauens in den Betrieben
- Vermutlich hat die Entgeltfortzahlung gar keinen Einfluss.
- Zacher: Viele Menschen arbeiten an Belastungsgrenze.
Vor gut einer Woche hatte DAK-Chef Andreas Storm neue Zahlen zum Krankenstand zu Beginn des Jahres vorgestellt. Die Gelegenheit nutzte der Vorstandsvorsitzende der Krankenkasse auch, um seine Forderung nach einer "gründlichen und seriösen Debatte" über die Gründe für hohe Krankenstände zu wiederholen, denn angesichts der schwachen Wirtschaft in Deutschland "kommt den Fehlzeiten der Beschäftigten eine besondere Bedeutung zu".
Unterschiedliche Zahlen

Worauf Storm dabei hinaus wollte: Die in der Debatte genannten Zahlen zum Krankenstand sind je nach Methoden der Erhebung zum Teil sehr unterschiedlich. So nannte etwa Allianz-Chef Oliver Bäte die Zahl von 20 Krankentagen pro Jahr und Arbeitnehmer im Durchschnitt. Laut OECD könnten es fast 25 sein, laut dem Statistischen Bundesamt aber nur 15 Tage.
Die Zahlen sind also mit der selben Vorsicht zu betrachten wie die Daten, die in der Diskussion um angeblich im Vergleich mit anderen Ländern viel geringere Arbeitszeiten in Deutschland. So werden etwa nicht überall Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte in Statistiken berücksichtigt und Selbständige mal einbezogen und mal nicht.
So stehen Warnungen vor angeblich sinkender Arbeitsmoral und auch Vorschläge wie der von Bonuszahlungen für Arbeitnehmer, die auf ihre Krankmeldung verzichten, auf eher fragwürdiger Grundlage.
Eine Analyse von Ende Januar, mit der die Krankenkasse DAK darauf reagierte, sollte hier Abhilfe schaffen. Dabei war als Grund für den höheren Krankenstand in Deutschland nicht ein verstärkter Trend zum "Blaumachen" ausgemacht worden, sondern vor allem ein Statistik-Effekt durch die 2021 eingeführte elektronische Erfassung von Arbeitsunfähigkeit. Diese hatte zu einem starken Anstieg der bekannten Zahl krankheitsbedingter Fehltage geführt, die seither auch kaum gesunken ist. Darum schied auch die zunächst als Hauptgrund dafür vermutete Coronavirus-Pandemie aus.
Warnung vor einer Kultur des Misstrauens
Storm sagte dazu, er hoffe, dass die Analyse der Auswirkungen des elektronischen Meldesystems und methodischer Probleme im europäischen Vergleich die Diskussion versachlichen könne. Denn so schüre die Debatte das Misstrauen gegenüber krank gemeldeten Beschäftigten: "Misstrauen ist ein Zeichen negativer Wertschätzung und als solches ein Gesundheitsrisiko."

Schon im Oktober 2024 hatte Storm auch einen Krankenstandsgipfel gefordert, um alle einen Tisch zu bringen, unter anderem die damaligen SPD-Minister für Arbeit und Soziales sowie für Gesundheit, Hubertus Heil und Karl Lauterbach. Dazu ist es aber bis heute nicht gekommen und im Wahlkampf zu Beginn dieses Jahres ging die Diskussion dann in die andere Richtung.
Dabei wurde etwa darauf verwiesen, dass nach der Zahl amtlich gemeldeten, bezahlten Krankheitstage 2022 Deutschland mit 24,9 Tagen an der Spitze gelegen habe, vor Lettland mit 20,4 und Tschechien mit 19,2 Tagen. Das von der DAK beauftragte Forschungsinstitut IGES warnte hier jedoch vor Problemen bei der Vergleichbarkeit der Daten, weil es in den Ländern durchaus unterschiedliche Meldeverfahren gebe.
Demnach resultiere der deutsche Wert vor allem aus dem elektronischen Meldeverfahren mit einer jetzt fast vollständigen Erhebung von Fehltagen. In vielen anderen Ländern dagegen werden etwa unbezahlte Fehltage gar nicht erfasst, so in Frankreich, Italien oder Spanien. Nach andere Vergleichen, etwa zum Anteil der Fehltage an der regulären Wochenarbeitszeit mit einheitlichen Befragungen, liege Deutschland mit 6,8 Prozent eher im oberen Mittelfeld.
Entgeltfortzahlung vermutlich ohne Einfluss
Trotzdem schien die Untersuchung auch auf die Diskussion um die Art der Entgeltfortzahlung keinen Einfluss gehabt zu haben, obwohl der gemessene Arbeitszeitausfall pro Woche damit gar nichts zu tun haben dürfte. So hat etwa Luxemburg mit einer Lohnfortzahlung ab dem ersten im Krankheitstag wie in Deutschland einen viel geringeren Arbeitsausfall von 3,2 Prozent.
Auch einige andere EU-Länder mit einer ebenfalls 100-prozentigen Lohnfortzahlung ab dem ersten Tag wie Dänemark, Malta und Österreich haben anteilig sehr geringe Ausfallzeiten pro Woche. Dagegen kommt etwa Slowenien mit einer nur eingeschränkte Lohnfortzahlung in den ersten Tagen einer Krankheit mit 9,2 Prozent auf einen höheren Wert als Deutschland.
Viele Menschen arbeiten an Belastungsgrenze
Hannes Zacher, Professor für Arbeitspsychologie der Universität Leipzig, warnte bei MDR AKTUELL in dem Zusammenhang auch vor unüberlegten Forderungen nach längeren Arbeitszeiten. Der Zusammenhhang zwischen Arbeitszeit, Wohlbefinden und Leistung sei schließlich gut erforscht.
Wir müssen Wohlbefinden und Leistung zusammendenken.
Und da zeige sich etwa, dass eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit über 40 Stunden hinaus nicht unbedingt mit mehr Produktivität einhergehe, "aber durchaus mit einer Zunahme an beruflichen Erkrankungen, mit schlechterem psychischen Wohlbefinden, psychosomatischen Beschwerden, Rückenleiden, Kopfschmerz, Verdauungsproblemen". Deswegen sei es "sinnvoll, besser zu arbeiten" und nicht unbedingt nur quantitativ zu denken.

"Wir beobachten jetzt schon, dass es eine Zunahme der psychischen Erkrankungen gibt, die auf den Beruf zurückzuführen sind", sagte Zacher. Das betrachte er "mit sehr viel Sorge, und eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit könnte das noch weiter befeuern".
Man dürfe hier nicht nur auf die Leistung schauen, sagte Zacher. Wohlbefinden und Leistung hingen zusammen. Wohlbefinden und Gesundheit seien eine wichtige Quelle für gute Arbeitsleistung: "Deswegen müssen wir Wohlbefinden und Leistung zusammendenken." Beides gegeneinander auszuspielen, sei "sinnlos". Gerade in Krisenzeiten jedoch seien die einfachen Rezepte eben sehr populär.
Mehr Arbeit sei jedoch viel einfacher gefordert als getan: "Viele Menschen arbeiten bereits an ihrer Belastungsgrenze" und die wirklichen Probleme seien viel komplexer. Sie anzugehen, brauche viel mehr Anstrengung. Dabei müsse es darum gehen, die Arbeit zu verbessern, Effizienz zu steigern durch Arbeitsgestaltung, "bessere Führung und letztlich auch Work-Life-Balance".
MDR AKTUELL / MDR WISSEN
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