• Innerhalb von 20 Jahren seit Bestehen: 675 menschliche Schicksale vorgetragen und bewertet.
  • Abläufe und Kommunikation: Kritiker und Jura-Experte nennen Veränderungsbedarf bei der Härtefallkommission.
  • Vorsitzender Geert Mackenroth: "Hat manchmal Lotteriecharakter".

Die Sächsische Härtefallkommission gibt es seit 20 Jahren. Sie hatte seither 675 Fälle zu bewerten. In zwei Dritteln der Anliegen (433 Mal) empfahl sie dem Innenminister, dass der oder die Ausländer trotz Ausreisepflicht aus humanitären oder persönlichen Gründen bleiben sollen. Die übrigen Fälle wurden zurückgezogen oder fanden keine 2/3-Mehrheit in der Kommission. Nach deren Empfehlungen ordneten die Innenminister 398 Aufenthalte an; 25 Härtefallersuchen lehnten sie ab.

Hunderte Fälle voller Einzelschicksale

675 Einzelschicksale, so wie das des Vietnamesen Pham Phi Son und seiner Familie. Nach 37 Jahren zog er aus Chemnitz weg und lebt in Berlin. Die Ausländerbehörde will ihm Mitte Juli einen Aufenthaltstitel geben. Die ausländerbehörde und auch die Sächsische Härtefallkommission hatten ihn nicht als humanitären Einzelfall gesehen. Anders war es bei Otman Guintero und seiner Frau Fatima aus Venezuela. Aus dem südamerikanischen Land, aus Georgien und dem Irak stammen derzeit die meisten Härtefall-Antragsteller.

Letzter Ausweg für Asyl

Der studierte Mediziner Guintero kam 2021 aus politischen Gründen nach Leipzig, lebt seit 2023 in Burgstädt bei Chemnitz. Er arbeitet in einer Praxis, plant nach der staatlichen Arztzulassung eine Facharztausbildung zum Allgemeinmediziner. "Das Ziel ist, dass ich mal die Praxis meiner Chefin übernehme", sagt Otman Guintero. Seine Partnerin arbeitet Vollzeit im Diamant-Werk in der Fahrradherstellung, der fünf Jahre alte Sohn geht in den Kindergarten. 2,5 Jahre lang kämpfte das Paar mit rechtlichen Mitteln dafür, dass die Familie in Sachsen bleiben darf. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) lehnte immer wieder ab. Vor Weihnachten 2024 beantragte Guintero die Prüfung als Härtefall.

Man muss sehr viele Voraussetzungen mitbringen, um als Härtefall zu gelten. Bei uns hat es geklappt.

Ende Mai 2025 die Nachricht: "Wir dürfen bleiben. Da haben wir uns sehr, sehr gefreut", erzählt der 36-Jährige. Dass er nicht selbst bei der Kommission in Dresden über sich sprechen konnte und am Ende der Minister das Bleiberecht anordnete, findet Guintero "ein bisschen merkwürdig. Aber es ist eben so festgelegt".

Kritik: Kommission hört Betroffene nicht an

Deutlicher wird der DDR-Bürgerrechtler und Ex-Landtagsabgeordnete (SPD) Frank Richter. "Dass die Betroffenen kein Recht haben, persönlich vorzusprechen, finde ich skandalös." Das Verfahren für Härtefälle findet er "völlig intransparent". Der Asylsuchende werde nicht von der ganzen Kommission angehört und bekomme hinterher auch nichts begründet, nur die Entscheidung: Ersuchen angenommen oder abgelehnt.

"Die Kommission entscheidet nach Aktenlage. Diese wird von den Behörden zusammengestellt, die zuvor den Antrag des Asylsuchenden abgelehnt haben. Wie sollen da die Mitglieder zu einer eigenen Erkenntnis kommen", fragt sich der Ex-Politiker. "Und am Ende entscheidet sowieso der Innenminister, ohne dass er das begründen muss." Für Richter, der mehrere Menschen unterstützt hat, Bleiberecht zu erlangen, steht fest: "Die Konstruktion öffnet der Willkür Tür und Tor."

Frank Richter auf einer Unterstützer-Demo in Chemnitz 2023 für die Familie des Vietnamesen Pham Phi Son (Archivfoto).Bildrechte: picture alliance/dpa | Sebastian Willnow

Ich halte von der Konstruktion der sächsischen Härtefallkommission nichts. Sie ist ein zahnloser Tiger und ungerecht.

Jura-Prof. hat viele Fragen und Verbesserungspunkte

Soweit geht der Professor für öffentliches Recht an der Universität Leipzig, Prod. Dr. Johannes Eichenhofer, nicht. Bei einer Diskussionsrunde zum 20. Bestehen der Härtefallkommission in Dresden sagte er, er sehe "an einigen Stellen Verbesserungsbedarf". Zwar könnten ans Gremium, in dem Menschen aus der Zivilgesellschaft ehrenamtlich arbeiten, nicht wie bei einem Gericht oder Parlament verfassungsrechtliche Maßstäbe angelegt werden. Doch vier Punkte sieht auch der Jura-Professor kritisch: "Warum darf ein Betroffener nicht selbst vorsprechen? Es macht vielleicht mehr Arbeit sich das anzuhören, aber es geht um Menschenleben", sagt Eichendorfer MDR SACHSEN.

Der Juraprofessort Johannes Eichenhofer sieht in der Härtefallkommission, die vor 20 Jahren als Povisorium gegründet wurde, "ein bisschen viel Bauchgefühl im Spiel." Bildrechte: Kathrin König

Unklar sei auch, welche Maßstäbe die Ehrenamtlichen ansetzten, wann für sie ein Härtefall sei und wann nicht. Ob jemand arbeite, gut Deutsch spreche, sich engagiere und integriere, spiele dabei eine Rolle. Aber was, wenn Krankheit, Armut oder soziale Diskriminierungen verhinderten, dass sich jemand gut integrieren könne, fragt Eichenhofer. Und: "Wie werden die Empfehlungen der Kommission kommuniziert? Einfach zu sagen, es steht in der Verordnung (SächsHFKVO) drin, dass wir nichts begründen müssen, ist ja kein Argument." Eichenhofer meint, man vergebe sich nichts, den Betroffenen mitzuteilen, was die Mehrheit des Gremiums meint und dem Innenminister empfiehlt. Das könnte seiner Meinung nach die Akzeptanz erhöhen.

Und er würde sich wünschen, dass der Innenminister stärker an die Empfehlungen der Kommission gebunden sei. "Das wäre mehr staatliche Beteiligung. Bis jetzt ist mir bisschen viel Bauchgefühl im Spiel", so der Rechtswissenschaftler.

Kommissionsvorsitzender über das "Unwägbare"

Der Vorsitzende der Härtefallkommssion, Geert Mackenroth sagt MDR SACHSEN, es sei "eine ganz gute Idee", den Betroffenen die Empfehlung mehr zu erklären. Man schicke die als dreiseitiges Dossier an den Innenminister, der letztlich entscheidet. "Vielleicht könnte man auszugsweise daraus erklären. Aber was nützt das dem Betroffenen, wenn negativ entschieden wurde und er nichts mehr tun kann?"

Mackenroth spricht sich dafür aus, die Kommunikation mit der Öffentlichkeit zu verbessern und zu erklären, dass die Belange der Betroffenen gehört würden. Es flössen viele Faktoren in eine Bewertung als Härtefall ein. "Es hat manchmal Lotteriecharakter. Das Unwägbare ist das Wesen der Arbeit der Kommission", so Mackenroth, der auch Sächsischer Ausländerbeauftragter ist. Zugleich betont er: "Die Mitglieder beschäftigen sich immer intensiv mit den einzelnen Schicksalen."

Für Otman Guintero in Burgstädt steht fest: "Wir sind dankbar, dass es eine Kommission gibt, die sich für Menschen einsetzt, deren Schutzbedarf von anderen Stellen zuvor nicht erkannt wurde."

MDR (kk)

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  • 16. Dezember 2020Thüringen: AfD scheitert mit Klage gegen Härtefallregel für Flüchtlinge

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