90 Jahre Anonyme Alkoholiker: Mehr Betroffene, wachsende Herausforderungen
- Etwa zehn Prozent der Sachsen haben ein problematisches Trinkverhalten.
- Umso wichtiger ist die Arbeit von Sucht-Selbsthilfegruppen wie den Anonymen Alkoholikern.
- Doch den Selbsthilfegruppen, die von Ehrenamtlern geleitet werden, fehlt es an Nachwuchs.
"Ja, Ich verdanke AA mein Leben", sagt Henriette, "und das ist ein schönes Leben. Ich habe ganz viele Werkzeuge an die Hand bekommen, um anders mit mir – meiner Vita, meinen Dingen, die ich mitgebracht habe an Prägungen – umzugehen." Henriette ist trockene Alkoholikerin und Regionalsprecherin für Ostsachsen bei den Anonymen Alkoholikern.
Etwa zehn Prozent der Sachsen haben problematisches Trinkverhalten
In Sachsen hatten im vergangenen Jahr etwa 420.000 Menschen zwischen 15 und 64 Jahren ein problematisches Trinkverhalten, zeigt der Sächsische Sucht- und Drogenbericht. Das sind etwa zehn Prozent der sächsischen Bevölkerung.
In den vergangenen Jahren habe vor allem die Corona-Pandemie die Lage für Alkoholiker verschlimmert, sagt Henriette – wenn die Dinge wegfallen, die Halt geben: "Arbeit und soziales Umfeld. Die Menschen waren dann zuhause auf sich zurückgeworfen und mussten sich allein mit ihrer Krankheit auseinandersetzen."
Corona sei ein Brandbeschleuniger gewesen, erzählt Henriette weiter: "Wenn Menschen tatsächlich schon Alkoholismus hatten, ist der einfach deutlicher zutage getreten durch Corona."
Anonyme Alkoholiker bieten Online Hilfe rund um die Uhr an
Dadurch seien Online-Meetings entstanden. Henriette nimmt wahr, dass in ihnen auch immer mehr junge Menschen sitzen. Was für sie eine Besonderheit bei den AA ist: Hilfe rund um die Uhr. "Ich kann mittlerweile zu jeder Tageszeit in ein Online-Meeting gehen. Und ich kann aus einem Rückfall immer wieder zurück in die Gruppe kommen. Das kann ich bei anderen Gruppen nicht. Ich kann sogar, wenn ich getrunken habe, mich ins Meeting setzen und mir dort Hilfe holen und werde nicht stigmatisiert oder ausgegrenzt."
Zukunft der Sucht-Selbsthilfe ungewiss
Auch Helga Meeßen-Hühne ist froh, dass es die Anonymen Alkoholiker in Deutschland gibt. Sie leitet die Landesstelle für Suchtfragen in Sachsen-Anhalt und betont: Im Austausch mit anderen fühle man sich einfach nicht so allein, habe im besten Fall sogar neue Freunde. Deshalb findet Meeßen-Hühne auch in Zukunft die Arbeit von Selbsthilfegruppen sehr wichtig – nimmt aber wahr, dass die Organisation immer schwerer wird: "Das Rückgrat von Sucht-Selbsthilfe sind ja häufig Ehrenamtler, die diese Gruppen schon seit Jahren zuverlässig, freundlich und kompetent begleiten und die werden nicht jünger."
Nachwuchs zu finden für Menschen, die Sucht-Selbsthilfegruppen leiten, sei nicht einfach. Um die Zahl der Abhängigen zu senken, fordert sie auf politischer Ebene zwei Dinge: Alkohol teurer und nicht ständig verfügbar zu machen – wie bei den kleinen Schnapsflaschen an der Supermarktkasse.
Psychiater: Sucht ist eine Krankheit, kein Fehlverhalten
Peter Schönknecht ist Psychiater im Suchtzentrum am Sächsischen Krankenhaus Altscherbitz. Er meint, man müsse vor allem auf die hohe Dunkelziffer schauen. "Weil diese Personen Gefahr laufen, als die Ersten am schwersten zu erkranken. Aber das geht einher mit einer aufgeklärten Öffentlichkeit. Denn diese Personen werden sich eher Hilfe holen, wenn Sucht-Erkrankungen eben auch als Erkrankung gesehen werden und weniger als ein moralisch zu bewertendes Fehlverhalten."
Nicht nur deshalb nennt Schönknecht die Anonymen Alkoholiker eine ganz zentrale Säule – ohne die eine Suchtbehandlung heute gar nicht mehr vorstellbar sei.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke