Sprachtests und Vorschulpflicht sollen gegen Bildungsprobleme bei Erstklässlern helfen
Mindestens 30.000 Kinder in Deutschland schaffen die erste Klasse nicht im ersten Anlauf. Sie müssen also schon zu Beginn ihrer Schullaufbahn eine Jahrgangsstufe wiederholen. Die Schätzung stammt aus der ARD-Dokumentation "Schulverlierer - Abgehängt in der Grundschule?" auf Basis von Antworten aller Kultusministerien. Die Autoren des Films befragten außerdem tausende Lehrerinnen und Lehrer nach den Gründen. Demnach fehlen vielen Kindern immer häufiger schon bei der Einschulung grundlegende Kompetenzen. Verhaltensauffälligkeiten, Konzentrationsstörungen oder sprachliche Defizite – die Liste der genannten Probleme ist lang.
Deutliche Zunahme bei Wiederholern in Sachsen
Die Entwicklung zeigt sich auch in mitteldeutschen Schulen. Im Schuljahr 2024/25 waren in Sachsen 3,9 Prozent der Erstklässler sogenannte Wiederholer, wie das Kultusministerium in Dresden auf Anfrage von MDR AKTUELL mitteilte. Insgesamt betraf das über 1.500 Kinder. Zehn Jahre zuvor lag der Anteil bei lediglich 2,7 Prozent, nur gut 940 Kinder wiederholten seinerzeit die erste Klasse.
Das Thüringer Bildungsministerium weist in seiner Antwort darauf hin, dass es sich bei der ersten und zweiten Klasse um die Schuleingangsphase handele. Grundsätzlich könnten diese beiden Jahrgangsstufen auch innerhalb von drei Jahren absolviert werden. Im Schuljahr 2024/25 nahmen elf Prozent der Erst- oder Zweitklässler ein solches drittes Schulbesuchsjahr in Anspruch. Anders formuliert: Jedes zehnte Kind in Thüringen musste entweder die erste oder die zweite Klasse wiederholen. Es geht um fast 2.500 Kinder im Land.
Gegen eine solche Beschreibung wehrt sich das Bildungsministerium in Sachsen-Anhalt grundsätzlich: "In der Schuleingangsphase wiederholt man nicht, man verbleibt auf der Grundlage der Entscheidung der Klassenkonferenz." Eine formelle Versetzungsentscheidung werde gar nicht getroffen. Die Bezeichnung "Wiederholer" wäre daher für diese Gruppe nicht richtig. Das Ministerium machte keine Angaben, in wie vielen Fällen Kinder länger in der ersten oder zweiten Klasse verbleiben.
15 bis 20 Prozent der Kinder fehlen elementare Voraussetzungen
Dass die Entwicklung besorgniserregend ist, darüber herrscht bei Lehrpersonal und Bildungspolitik inzwischen Konsens. Wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse gibt es jedoch zu wenige, sagt Katrin Liebers, Professorin für Schulpädagogik an der Universität Leipzig. Beim erfolgreichen Übergang in die Schule seien aber viele Indikatoren wichtig: "Wir wissen, dass für den Schulerfolg im Lesen und Schreiben oder in der Mathematik viel wichtiger als das Stifthalten noch andere Voraussetzungen sind, zum Beispiel die Aufmerksamkeit für Buchstaben, für Zahlen, überhaupt das Interesse an Schrift." Bei 15 bis 20 Prozent der Kinder fehlten diese elementaren Voraussetzungen zu Schulbeginn – unabhängig von einem Migrationshintergrund.
Einige Ursachen dafür liegen in fehlenden Lerngelegenheiten, andere in den veränderten Bedingungen, unter denen Kinder aufwachsen, erklärt Liebers. Hier sei vieles noch unzureichend erforscht. Liebers verweist zuvorderst auf fehlende Sprachfähigkeiten. "Die Entwicklungsfenster, die Kinder in der frühen Kindheit haben, die schließen sich irgendwann auch wieder. Und wenn diese Fenster, wo diese intensive Sprachaufnahme stattfindet, verpasst werden, wird es sehr schwierig, dass die Kinder diese Fähigkeiten später noch gut erwerben können." Die Wissenschaftlerin befürwortet daher frühe Sprachtests und Sprachförderung.

Das ist auch Stand der politischen Diskussion. Erst vor wenigen Wochen befürwortete Bundesbildungsministerin Karin Prien die bundesweite Einführung von Sprachtests für Vierjährige. Je nach Ergebnis solle es dann vor der Einschulung "bei Bedarf eine verpflichtende Sprachförderung" geben, erklärte die CDU-Politikerin. Auch die Einführung einer Kita-Pflicht biete Vorteile. Verantwortlich dafür seien aber die Länder. Es gäbe unter den Bildungsministern große Einigkeit darüber, dass "wir beim Übergang zwischen Kita und Schule mehr tun müssen", sagte Prien. "Dieses Eisen muss jetzt geschmiedet werden."
Thüringen will Sprachtests 2027 einführen
In Mitteldeutschland ist das Eisen – um im Bild zu bleiben – unterschiedlich heiß. Am weitesten ist Thüringen. Dort plant die Brombeerkoalition aus CDU, BSW und SPD die Einführung verpflichtender Sprachtests, "voraussichtlich ab dem Kindergartenjahr 2027", wie das Thüringer Bildungsministerium am Freitag mitteilte. Vor der Einführung gäbe es noch umfangreiche Vorarbeiten zu leisten. Die Tests müssten entwickelt, Personal geschult werden.
In Hinblick auf eine Kita- beziehungsweise Vorschulpflicht verweist Thüringen auf die bereits hohe Kindergartenquote. Im Vorschuljahr besuchten 95 Prozent der Kinder eine Einrichtung. In diesem Jahr bleibe Zeit, bei besonderem Förderbedarf gezielte Maßnahmen zu ergreifen.
Sachsen hat "umfangreiche Vorüberlegungen" zur Vorschulpflicht
In Sachsen liegt die Betreuungsquote bei Drei- bis Sechsjährigen ebenfalls bei über 95 Prozent. Dennoch hat die Minderheitsregierung von CDU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag ein verpflichtendes Vorschuljahr aufgenommen. Es lägen "umfangreiche Vorüberlegungen, aber noch keine konkrete Planung hinsichtlich der Ausgestaltung und Umsetzung" vor, heißt es aus dem Dresdner Bildungsministerium. Die Einführung verpflichtender Sprachtests für Vierjährige werde geprüft.
Sowohl in Thüringen als auch in Sachsen gibt es bereits ärztliche Vorsorgeuntersuchungen von Vierjährigen, umgangssprachlich Kita-Untersuchungen genannt. Die Teilnahme daran ist allerdings freiwillig. Getestet wird auch der Sprachentwicklungsstand.
Uneinigkeit in Sachsen-Anhalt
In Sachsen-Anhalt hat eine solche Untersuchung bislang nicht eingeführt – als einziges Bundesland. Auf Nachfrage befürwortet das Bildungsministerium aber "ausdrücklich" sogar eine verpflichtende Untersuchung im vierten Lebensjahr. Ebenso unterstützt das Ministerium nach eigenen Angaben eine verpflichtende Vorschule beziehungsweise Pflichtfördermaßnahmen für Kinder mit festgestellten Defiziten. Sachsen-Anhalts Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) sagte schon im Sommer 2024: "Ich vermisse eine wirksame Einstufung der Sprachkompetenz in der Kita für den Übergang in die Schule. Wir sind mittlerweile das einzige Bundesland, das so etwas nicht macht."
Für den vorschulischen Bereich ist regulär jedoch das von Petra Grimm-Benne (SPD) geführte Sozialministerium zuständig. Grimm-Benne sagte im Januar zur Erhebung des Sprachstandes bei Kindern vor der Schuleinführung: "Wir brauchen so etwas". Eine Arbeitsgruppe beider Ministerien tage. Ergebnisse sind bisher nicht bekannt. Eine Vorschulpflicht lehnte Grimm-Benne bei früherer Gelegenheit ab.
mit Material von dpa
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