Wer rettet den Lokaljournalismus?
Inhalt des Artikels:
- Keine Wüsten, aber Steppen
- Das schlechteste Modell: Selbstausbeutung
- Die Realität bleibt die gleiche
- Ein Dutzend Förderpartner
- Stiftungen verfolgen Interessen
Es gab Zeiten, da war es sehr leicht, eine Lokalzeitung zu finanzieren. Die Zeitung war der Ort, an dem alles zu finden war, was in der Gegend passierte. Sie brachte die Nachrichten, erzählte die Geschichten und sagte den Menschen, wo etwas los war. Sie war die Bühne, auf der sich alles abspielte und auf die alle schauten. Und weil alle hinschauten, war diese Bühne sehr wertvoll.
Die große Aufmerksamkeit war so viel wert, dass Verlage sie teuer verkauften. Durch Werbung und Kleinanzeigen kam so viel Geld zusammen, dass Verlage die Zeitung sehr günstig an den Kiosk legen oder ausliefern konnten und trotzdem üppige Gewinne blieben.
Das ist heute anders. Das dreiteilige Geschäftsmodell aus dem Verkauf von Nachrichten, Werbeanzeigen und Inseraten ist ganz wörtlich zerbrochen.
Die Aufmerksamkeit hat sich ins Netz verflüchtigt. Die Werbeanzeigen wanderten zu Google und Facebook, die Kleinanzeigen auf andere Portale. Menschen brauchten keine Zeitung mehr, um etwas bekannt zu machen. Das können sie jetzt auch selbst.
Damit verlor die Lokalzeitung nicht nur ihr Geschäftsmodell, sondern nach und nach auch ihren Platz im Zentrum der Öffentlichkeit.
Die Verlage reagierten, indem sie an den Redaktionen sparten – also an der Qualität dessen, was sie verkauften. Das war, so weiß man heute, keine gute Idee, denn so setzte sich eine Spirale in Gang, die sich auch jetzt noch weiter nach unten dreht. Nachvollziehen kann man das an der Entwicklung der Auflagen.
Keine Wüsten, aber Steppen
Mit dem Wandel kam eine Frage auf, die sich bis heute nicht eindeutig beantworten lässt: Wo kommt künftig das Geld her, um Journalismus im Lokalen zu finanzieren?
Klar ist bislang nur: So wie bisher wird es nicht weitergehen, denn irgendwann wird die Spirale unten ankommen. Und dann könnte etwas passieren, das in den USA schon Wirklichkeit ist: In vielen Regionen gibt es keinen Lokaljournalismus mehr. Das nennt man dann News Deserts – Nachrichtenwüsten.
Die "Hamburg Media School" hat im vergangenen Jahr eine große Bestandsaufnahme gemacht und in ihrem "Wüstenradar" festgestellt: Noch gibt es in Deutschland keine Wüsten, aber es gibt bereits Steppen. Es wird immer karger.
Ich selbst habe bis 2014 in einem Zeitungsverlag gearbeitet und die schleichende Entwicklung dort miterlebt. Eine Erkenntnis aus dieser Zeit ist: Mit Sparen allein wird es nicht gehen.
Vor fünf Jahren haben wir in Münster das lokale Medium RUMS Münster gegründet – auch, um zu zeigen, dass digitaler Journalismus im Lokalen sich finanzieren lässt. Lokalzeitungen fällt es schwer, allein vom Digitalgeschäft zu leben, denn die meisten von ihnen verdienen ihr Geld weiterhin vor allem mit dem Papiergeschäft. Und wer im Digitalen gewinnt, verliert im Gedruckten. Das ist ein Dilemma.
In Münster verschicken wir mehrmals in der Woche lokale Newsletter. Unsere Arbeit finanzieren wir über Aboeinnahmen, inzwischen auch über Werbung. Nach fünf Jahren zahlen etwa 2.500 Menschen für unser Angebot. Weil das nicht ganz ausreicht, um unsere Kosten zu decken, sichern wir unsere Finanzierung regelmäßig mit zusätzlichen Einlagen unserer Gesellschafter ab – also mit Geld von Menschen, die in unabhängigen Journalismus investieren wollen und die an unser Modell glauben.
Eine Erkenntnis aus den vergangenen Jahren ist: Diese Menschen gibt es, aber man muss sie finden und überzeugen. Sie melden sich nicht von selbst.
Das schlechteste Modell: Selbstausbeutung
Es heißt oft, um Lokaljournalismus zu machen, brauche es nur ein Telefon, einen Laptop und einen Internetanschluss. Doch das stimmt nicht ganz. Denn Journalismus lässt sich in den seltensten Fällen zu dem Preis verkaufen, den seine Herstellung kostet. Man muss ihn querfinanzieren. Und da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Die schlechteste ist: Man beutet sich selbst aus.
Dieses Modell ist nicht so selten, denn, so heißt es dann, "man macht es ja auch gerne". Für viele ist das ein kalkulatorischer Teil ihrer Bezahlung. Aber auf Dauer kann das nicht gutgehen – oder es geht nur dann gut, wenn man beruflich etwas anderes macht. Dann ist der Journalismus aber eben nur Hobby.
Ohne Lokaljournalismus kein Geld. Aber ohne Geld auch keine berufliche Tätigkeit im Lokaljournalismus. Vor diesem Problem stehen alle lokalen Projekte. In Deutschland gibt es davon inzwischen einige. Sie haben sehr unterschiedliche Wege eingeschlagen, um ihre Arbeit zu finanzieren.
In Konstanz zeigt "karla", wie gemeinnütziger Lokaljournalismus funktionieren kann – mit Bildungsarbeit und Veranstaltungen jenseits klassischer Berichterstattung.
"Katapult MV" in Mecklenburg-Vorpommern setzt auf Reichweite statt Gemeinnützigkeit und streut Inhalte über Bücher, Hefte und Social Media.
"viernull" in Düsseldorf finanziert sich über bezahlte Inhalte und ein Abo-Modell, das auf Vertrauen statt Klicks setzt.
In Nürnberg bauen die "Relevanzreporter" auf Beteiligung: Mitglieder zahlen nicht nur für Inhalte, sondern für Mitsprache und Mitgestaltung.
Die Realität bleibt die gleiche
In so eine Richtung könnte es auch generell gehen, wenn sich der Lokaljournalismus darauf einstellen muss, dass Menschen künftig nicht mehr auf Artikel warten, sondern sich Informationen direkt von einer KI holen.
Wenn Fragen wie "Wann ist der nächste Wochenmarkt?" oder "Was hat der Stadtrat gestern beschlossen?" in Sekunden beantwortet werden können, verliert der klassische Nachrichtenartikel an Bedeutung. Dann schwindet noch mehr Aufmerksamkeit.
Umso wichtiger wird damit alles, was nicht einfach automatisierbar ist: persönliche Begegnung, gemeinsames Nachdenken, lokale Diskussionsräume, Veranstaltungen, bei denen Menschen zusammenkommen.
Die Anforderungen ändern sich. Aber die Realität auf dem Medienmarkt ist noch immer die alte. Im Moment garantieren vor allem die klassischen Zeitungsverlage die Versorgung mit Lokaljournalismus in der Fläche. Doch es tun sich erste Lücken auf. In Thüringen etwa stellt die Funke-Mediengruppe in einigen Gebieten keine Papierzeitung mehr zu. Der Grund: Es ist einfach zu teuer.
Die Zeitung kommt, wenn man möchte, weiter als E-Paper. Doch das ist günstiger und bringt weniger Umsatz. In vielen Städten legt man Lokalredaktionen zusammen, um Geld zu sparen. Irgendwann schließt man sie, wie zuletzt die "Süddeutsche Zeitung".
Wie es weitergehen könnte, wenn die Steppe sich weiter ausbreitet und nach und nach vielleicht zur Wüste wird, zeigen die Länder in Skandinavien – zum Beispiel Norwegen.
Dort gibt es seit Jahrzehnten eine staatlich verankerte Presseförderung, die private Lokalmedien gezielt unterstützt: Gedruckte und digitale Titel sind von der Mehrwertsteuer befreit und erhalten zusätzlich direkte Zuschüsse – für Produktion, Vertrieb in dünn besiedelten Regionen und strukturelle Nachteile. Die Förderung erfolgt medienneutral, nach klaren Kriterien wie Auflage und Reichweite – und zielt darauf ab, Vielfalt und Unabhängigkeit zu sichern.
Ein Dutzend Förderpartner
Entscheidend für Deutschland wird sein, dass es nicht bei einzelnen isolierten Projekten bleibt, sondern Lokaljournalismus flächendeckend verfügbar bleibt – in Städten ebenso wie in ländlichen Regionen. Es darf also nicht vom Zufall abhängen, also davon, ob sich an einem Ort ein paar engagierte Enthusiasten zusammentun. Es braucht Strukturen, in denen Lokaljournalismus entstehen, wachsen und dauerhaft bestehen kann.
Dabei könnten Stiftungen eine wichtige Rolle spielen. In Deutschland gibt es bereits einige Ansätze. Die "Zeit Stiftung Bucerius" vergibt die "Free Media Awards" an unabhängige Journalistinnen und Journalisten in Osteuropa. Die Brost-Stiftung hat das Medienhaus "Correctiv" mit aufgebaut und unterstützt es bis heute.
Die Stiftung Mercator fördert mit dem Stipendienprogramm "Kartographen" junge Recherchierende im Wissenschaftsjournalismus. Die Joachim-Herz-Stiftung konzentriert sich auf datenjournalistische Innovationen. Und die Schöpflin-Stiftung unterstützt Projekte wie "Investigate Europe", "Relevanzreporter" oder "Amal" – und setzt sich dafür ein, dass gemeinnütziger Journalismus in Deutschland rechtlich besser abgesichert wird.
In all diesen Fällen geht es allerdings nur selten um Lokaljournalismus. Genau hier setzt der "Media Forward Fund" an. Er wurde von der Schöpflin-Stiftung initiiert und wird inzwischen von über einem Dutzend Förderpartnern getragen – darunter die Rudolf-Augstein-Stiftung, die Bucerius-Stiftung, die Stiftung Mercator, die Allianz-Foundation, die Volkart-Stiftung und andere. Der Fonds unterstützt den Aufbau gemeinwohlorientierter, digitaler Medienangebote in Deutschland, Österreich und der Schweiz – auch im Lokalen.
In den USA ist diese Form der Förderung längst fester Bestandteil der Medienlandschaft. Große Stiftungen wie Knight, Ford oder MacArthur finanzieren dort seit Jahren lokale Redaktionen, investigative Recherchen und Bildungsprogramme im Journalismus – oft in Regionen, in denen sich Medienarbeit am Markt allein nicht mehr tragen würde. Kommt so etwas auch in Deutschland?
Stiftungen verfolgen Interessen
In jedem Fall braucht es ein Umdenken: Weg von der Idee, dass sich Journalismus überall selbst trägt – hin zu der Einsicht, dass er an vielen Orten als demokratische Infrastruktur verstanden und entsprechend unterstützt werden muss. Denn das zeichnet sich ab.
Die Finanzierung über Stiftungen birgt allerdings auch Risiken. Eines ist die Nähe zu den Geldgebern. Auch gemeinnützige Förderer verfolgen Interessen – thematisch, politisch oder strategisch. Schon der Anschein, dass Berichterstattung nicht vollkommen unabhängig sein könnte, kann die Glaubwürdigkeit eines Mediums beschädigen.
Ein anderes Risiko ist die zeitliche Begrenzung vieler Förderungen. Läuft das Geld aus, steht die Redaktion schnell vor dem Nichts. Genau das hat "karla" in Konstanz erlebt: Das Projekt wurde 2021 mit großer Begeisterung gestartet, auch mit Hilfe von Stiftungsmitteln, hatte aber nach zwei Jahren kein Geld mehr. Man fand keine Anschlussfinanzierung; "karla" orientierte sich um.
Wer also Journalismus fördern will, muss nicht nur dafür sorgen, dass Redaktionen unabhängig arbeiten können, sondern auch, dass es nach der Förderung weitergeht. Denn – das ist eine weitere Erkenntnis – gute Geschichten allein reichen nicht. Es braucht ein tragfähiges, langfristiges und transparentes Fundament.
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