Rund 700 Hausärzte fehlen in Mitteldeutschland
- Es fehlen Haus- und Fachärzte in Sachsen, in Sachsen-Anhalt und Thüringen.
- Positive Erfahrungen mit Hausarztzentrierter Versorgung gibt es in Sachsen-Anhalt.
- Kassenärzte begrüßen verpflichtendes Primärarztmodell – Patientenschützer sind skeptisch.
- So bekommt man schneller einen Termin beim Facharzt.
In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind aktuell etwa 700 Hausarztstellen unbesetzt. Das hat eine MDR-Anfrage bei den Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) ergeben. Es fehlen in vielen Regionen damit genau die Mediziner, die Patientinnen und Patienten nach einem Plan der Bundesregierung künftig an Fachärzte überweisen sollen. Bundesweit betrifft es demnach etwa 5.000 Hausarztstellen.
Das geplante verpflichtende Primärarztsystem soll die Gesundheitsversorgung effektiver machen und dem Problem entgegenwirken, dass Menschen oft Wochen oder Monate auf einen Termin bei einem spezialisierten Arzt warten müssen – also bei Kardiologen (Herz), Internisten, Gastroenterologen (Magen-Darm), Pneumologen (Lunge), Urologen, Hautarzt oder Psychologen. Kaum besser sieht es häufig beim Augenarzt und Orthopäden aus. Dazu kommt, dass Kassenpatienten oft doppelt so lange warten müssen wie Privatpatienten.
Unterschied zwischen Hausarztprinzip und Primärarztmodell
Häufig werden Hausarztprinzip und Primärarztmodell synonym verwendet. Beide Modelle unterscheiden sich aber in der Flexibilität der Erstwahl des Arztes:
Beim Hausarztmodell verpflichten sich Patienten, bei gesundheitlichen Problemen zuerst ihren Hausarzt aufzusuchen. Dieser koordiniert die Behandlung und überweist bei Bedarf an Fachärzte.
Beim Primärarztprinzip gibt es eine Gruppe von Ärzten, die als erste Ansprechpartner fungieren können – nicht nur der Hausarzt, sondern auch Kinderärzte, Gynäkologen oder Augenärzte. Erst nach einer Erstbehandlung durch einen dieser Ärzte erfolgt die Überweisung zum Spezialisten.
Gesundheitsexperten sehen als einen Grund für die Wartezeiten, dass zu viele Menschen auf eigene Faust zum Facharzt gehen, obwohl das nicht nötig sei. Denn aktuell haben alle in Deutschland das Recht auf freie Arztwahl. Die Bundesregierung setzt daher nun auf ein verpflichtendes sogenannte Primärarztprinzip: Gemeint ist mit dem Primärarzt im Regelfall der Hausarzt. Er soll abwägen, ob ein Facharzt gebraucht wird und dann überweisen. Das soll die medizinische Versorgung besser strukturieren und Kosten senken.
Doch es gibt auch Regionen mit einer Überversorgung an Ärzten. Die Gründe für die Ungleichverteilung sind vielfältig. Als entscheidender Faktor gilt, dass Städte für junge Mediziner attraktiver sind als strukturschwache ländliche Gebiete. "Fakt ist" und MDR AKTUELL haben bei den Kassenärztlichen Vereinigungen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen nachgefragt, wie es um die Versorgung mit Haus- und Fachärzten steht.
Regionale Bedarfsplanung und Zulassungen für Mediziner
Bundesweit gilt die sogenannte Bedarfsplanungs-Richtlinie, die von den 17 Kassenärztlichen Vereinigungen in ihrem Verantwortungsgebiet umgesetzt wird. Ziel ist ein gleichmäßiger und bedarfsgerechter Zugang der gesetzlich Versicherten zur ambulanten Versorgung – bei Hausärzten möglichst "wohnortnah", ansonsten "flächendeckend gleichmäßig".
Ärzte und Krankenkassen prüfen in jedem Quartal arztgruppenspezifisch die Versorgungssituation in ihren Planungsbereichen, also ob eine ärztliche Unterversorgung vorliegt, droht oder ob es eine mögliche Überversorgung gibt. Daneben wird auch teils lokal ein möglicher zusätzlicher Versorgungsbedarf berücksichtigt.
Der regionale Bedarf an Haus- und Fachärzten wird nach Einwohnerzahl und Bevölkerungsstruktur (z.B. Altersstruktur) festgelegt. Weitere Faktoren sind etwa die Infrastruktur und Verkehrsanbindung, um die Ärzte zu erreichen. Droht eine Unterversorgung, können Fördermaßnahmen beantragt werden. Dabei gibt es seit Langem eine Tendenz zur Unterversorgung strukturschwacher Regionen im Vergleich zu Ballungszentren.
Rein statistisch zeigen sich entsprechend der regionalen Bedarfsplanung erhebliche Unterschiede zwischen den drei Ländern und innerhalb der Bundesländer bei der ärztlichen Versorgung:
Regionale Versorgungsdefizite in Sachsen: 371 Hausärzte fehlen
Die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen teilte dem MDR mit, dass zum 1. April dieses Jahres landesweit 371,5 Hausarztstellen unbesetzt waren. Die größten Versorgungsprobleme bei Fachärzten gebe es im haut- und augenärztlichen Bereich sowie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Eine Unterversorgung mit Hausärzten teilweise seit mehreren Jahren gibt es demnach in diesen Planungsbereichen:
- Reichenbach, Riesa, Stollberg, Torgau, Werdau sowie Löbau-Zittau.
Es droht eine Unterversorgung mit Hausärzten – etwa aufgrund im Schnitt eher älterer Mediziner – in insgesamt 29 Planungsbereichen vor allem im ländlichen Raum, aber auch in Städten wie Chemnitz, Zwickau, Aue, Freiberg oder Meißen.
Bei den unterschiedlichen Fachärzten gibt es die größten Lücken bei:
- Radiologen (16,5 unbesetzte Stellen)
- Kinder- und Jugendpsychiatern (12,5)
- HNO-Ärzten (8)
- Hautärzten (7,5)
- Augenärzten (6,5)
- Psychiatern und Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Kinderärzten (3,5)
Regionale Versorgungsdefizite in Sachsen-Anhalt: 206 Hausärzte fehlen
Nach Angaben der Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt sind landesweit aktuell 206,5 Hausarztstellen unbesetzt. In der fachärztlichen Versorgung bestehen demnach 53,5 Neuzulassungsmöglichkeiten. Defizite gibt es vor allem bei Hautärzten (12,5 freie Stellen), Augenärzten (9,5) und Nervenärzten sowie Kinder- und Jugendärzten (je 4).
Als unterversorgte Regionen werden die Regionen Salzwedel und Sangerhausen eingestuft. Eine künftige Unterversorgung droht laut KV in den Regionen Gardelegen, Haldensleben, Burg, Zerbst, Jessen, Dessau-Roßlau, Wittenberg, Köthen, Bernburg, Staßfurt und Aschersleben.
Bei Hautärzten gibt es laut jüngstem Bericht eine Unterversorgung im Altmarkkreis Salzwedel und in der Börde. Es droht eine Unterversorgung in den Kreisen Stendal und Salzlandkreis.
Bei Kinder- und Jugendpsychiatern droht eine Unterversorgung in Magdeburg und der Altmark.
Bei Nervenärzten droht eine Unterversorgung im Altmarkkreis Salzwedel und in der Börde.
Bei Augenärzten droht die Unterversorgung im Altmarkkreis Salzwedel und im Kreis Stendal.
Bei Kinder- und Jugendärzten droht ein Defizit in der Börde, bei HNO-Ärzten in Stendal
Regionale Versorgungsdefizite in Thüringen: 115 Hausärzte fehlen
Die Kassenärztliche Vereinigung Thüringen (KVT) meldet aktuell 115,5 offene Vertragsarztsitze für Hausärzte sowie
fünf offene Vertragsstellen für Kinderärzte. Regional gibt es nach jüngsten Angaben in Gera-Stadt und Eisenach je 9,5 offene Hausarztstellen, in Hildburghausen 9, in Gera-Land 8,5 offene Sitze und in Saalfeld/Rudolstadt/Bad Blankenburg 8,0.
Bei Fachärzten sind demnach thüringenweit 14,5 Stellen für Augenärzte unbesetzt, 7,5 für Nervenärzte, 5,0 für Hautärzte, 4,0 für HNO-Ärzte, 3,5 für Frauenärzte, 2,5 Stellen für Psychotherapeuten und 1,5 für Urologen. In spezialisierten Bereichen sind 3,5 Stellen für Radiologen unbesetzt und 2,5 für Rheumatologen.
Eine Unterversorgung stellte der Landesausschuss nur bei HNO im Landkreis Sonneberg und bei den Kinder- und Jugendpsychiatern in der Raumordnungsregion Südwestthüringen fest. Nahezu alle Fachrichtungen und Regionen werden aufgrund drohender Unterversorgung oder zusätzlichem lokalen Versorgungsbedarf gefördert.
Augenärzte fehlen im Saale-Orla-Kreis (2,5 offene Sitze), Wartburgkreis (2,0) und im Eichsfeld, in Gera-Stadt sowie in der Region Schmalkalden-Meiningen/Suhl und im Kyffhäuserkreis (je 1,5).
Bei Hautärzten gibt es in Greiz 1,5 offene Sitze, in Hildburghausen und im Unstrut-Hainich-Kreis je eine offene Vertragsarztstelle.
Nervenärzte fehlen in Schmalkalden-Meiningen/Suhl (2,5 offene Sitze), Greiz (2,0) und im Saale-Orla-Kreis (1,0).
Bei Hals-Nasen-Ohrenärzte gibt es in Sonneberg 1,5 offene Sitze und im Unstrut-Hainich-Kreis einen.
Für Frauenärzte gibt es 2,5 offene Stellen in Greiz und einen in Hildburghausen.
Um die Niederlassung von Ärztinnen und Ärzten dort zu fördern, wo sie besonders gebraucht werden, unterstützt die KVT Praxisneugründungen und/oder -übernahmen mit 60.000 Euro.
Positive Erfahrungen mit Hausarztmodell in Sachsen-Anhalt
In Sachsen-Anhalt haben der Hausärzteverband, die AOK, die IKK gesund plus und die Kassenärztliche Vereinigung schon 2004 die sogenannte Hausarztzentrierte Versorgung (HZV) gestartet und bundesweit eine Vorreiterrolle eingenommen. Der Hausarzt ist erste Anlaufstelle für Patienten, bei Bedarf holt er sich Unterstützung durch Spezialisten. Doch der Hausarzt steuert den Patienten durch das Gesundheitssystem, er koordiniert sämtliche Behandlungen, führt alle Befunde zusammen und wertet sie mit dem Patienten aus. Auf dieser Basis wird auch ein oftmals fachübergreifender Medikationsplan erstellt.
In Verträgen mit den Krankenkassen werden zudem besondere Leistungen angeboten, wie z.B. der erweiterte Check-up mit zusätzlichen Vorsorgeuntersuchungen. 95 Prozent der Hausärzte nehmen am Hausarztprogramm teil und mehr als 50 Prozent der über 18-jährigen AOK- und IKK-Versicherten. Der Hausärzteverband Sachsen-Anhalt bewertet nach 20 Jahren die HZV als Erfolgsmodell, um Versicherte in Zeiten schwindender Ressourcen qualitativ hochwertig ärztlich zu versorgen. Es sei wissenschaftlich mehrfach belegt worden, dass die Patienten in der HZV besser und nachhaltiger versorgt seien. In mehreren Bundesländern seien Hausarztprogramme eingeführt worden.
Was sagen Krankenkassen und Ärzte zum Primärarztmodell?
Der Verband der gesetzlichen Krankenkassen hat sich bisher nicht einheitlich zum Hausarzt- oder Primärarztmodell geäußert. Die AOK als größter Versicherer wirbt für eine hausarztzentrierte Versorgung über einen selbstgewählten Allgemeinmediziner als ersten Ansprechpartner. Der Hausarzt oder die Hausärztin koordinieren die Behandlung und überweist Patienten bei Bedarf zu einer Fachärztin, idealerweise gleich mit Termin. Augenärzte, Gynäkologen, Zahnarzt oder Kinder- und Jugendarzt können dabei weiterhin direkt und ohne Überweisung aufgesucht werden. Alle Behandlungsdaten sollen beim Hausarzt zusammenlaufen.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sieht ein verpflichtendes Primärarztsystem als sinnvoll, insbesondere für ältere Patienten ab 50 Jahren, die oft mehrere gesundheitliche Probleme haben und eine koordinierte Versorgung benötigen.
Der Kassenärztevereinigung Thüringen sieht noch offene Fragen: "Eine verpflichtende Steuerung aller Facharztbesuche über eine hausärztliche Praxis ist aus unserer Sicht ein noch nicht abschließend definiertes Konzept." Es könne helfen, mit knappen Arzt-Ressourcen effizienter umzugehen und unkoordinierte Facharztkontakte zu reduzieren. Fraglich sei die Belastbarkeit des hausärztlichen Systems. Laut einer Analyse des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung entstünden durch ein verpflichtendes Primärarztsystem je nach Ausgestaltung mehr als 200 bis knapp 2.000 zusätzliche Arzt-Patienten-Kontakte pro Hausarzt und Jahr.
Der Hausärzteverband befürwortet eine Übergangslösung mit einem Bonussystem, um Versicherte schrittweise an das Primärarztsystem zu gewöhnen. Die Idee ist, dass Patienten freiwillig teilnehmen und Vorteile wie Zuzahlungsbefreiungen erhalten könnten.
Der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sieht Ablehnung in der Bevölkerung gegen eine Steuerung der Patienten. Er sagte den Funke-Medien, zwei Drittel der Deutschen würden nicht daran glauben, dass das Primärarztsystem eine bessere Patientenversorgung, zeitnahe Facharzttermine und Kosteneinsparungen in Milliardenhöhe bringe.
Fazit: Es gibt viele Unterstützer für Varianten des Hausarzt-Modells. Kritiker warnen vor einer zusätzlichen Belastung der schon jetzt stark belasteten Hausärzteschaft. Auch würde ein verpflichtendes Modell die freie Arztwahl einschränken.
Wie kommt man schneller an Termine bei Fachärzten?
Für Termine bei Fachärzten gibt es verschieden Servicestellen. Unter der Telefonservicenummer 116117 bietet die Kassenärztliche Vereinigung an, Patienten binnen vier Wochen einen Termin beim Facharzt zu organisieren. Das gilt jedoch nicht für Routineuntersuchungen und es braucht eine ärztliche Überweisung mit einem Dringlichkeitscode.
Viele Gesetzliche Krankenkassen bieten selbst einen Terminservice für Fachmediziner an. Die Krankenkassen telefonieren dann stellvertretend für ihre Versicherten Praxen nach freien Terminen ab.
Daneben gibt es Online-Terminportale wie Jameda oder Doctolib. Dort ist es möglich, sich bei teilnehmenden Ärzten einen Termin zu suchen oder eine Termin-Warteliste zu aktivieren. Wird ein Termin frei, erhält man eine Pushnachricht, damit man den Termin für sich buchen kann.
MDR(ans)
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