Das geplante Primärarztsystem bewegt auch in Mitteldeutschland die Gemüter. "Darf ich bald nicht mehr selbst entscheiden, zu welchem Facharzt ich gehe?", befürchten manche Patientinnen und Patienten. Allerdings geht es tatsächlich eher um die Frage: "Muss ich überhaupt zum Facharzt gehen?" Darüber soll in Zukunft ausschließlich der Hausarzt entscheiden. Die Dresdner Professorin für Allgemeinmedizin, Anje Bergmann, begrüßt diesen Weg. "Wir geben für unser Gesundheitssystem in Deutschland immer mehr Geld aus, aber die Menschen werden nicht gesünder." Deshalb müsse sich etwas ändern.

Keine Banalitäten mehr beim Facharzt

"Das Primärztsystem bietet die Chance, die Qualität der Behandlung zu verbessern. Denn das Problem ist aktuell, dass ich mit der Vorstellung direkt beim Spezialfacharzt dort vielleicht gar nicht hingehöre und wichtige Sprechstundenzeit mit Banalitäten verstopfe." Der Facharzt habe dann für die wirklich schweren Fälle keine Zeit mehr. Zudem gebe es auch nicht unbegrenzt Facharzttermine, sagt Bergmann.

Hausarztverband: Fünf Patienten mehr pro Tag

"Das heißt, eine fundierte Diagnostik und danach eine gezielte Überweisung, beispielsweise zu einem Orthopäden, kann dort Ressourcen sparen", denkt die Medizinerin. Auch die zusätzliche Belastung für die Hausärzte würde sich in Grenzen halten. "Der Hausarztverband hat ausgerechnet, dass aktuell nur zwei bis fünf Patienten pro Tag mehr hinzukommen würden", sagt Bergmann.

Andreas Gassen sieht das Primärarztmodell in seiner geplanten Form kritisch und plädiert für mehr Freiwilligkeit. Bildrechte: picture alliance/dpa | Britta Pedersen

Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, zweifelt daran, dass der Weg zum Hausarzt für alle Altersgruppen sinnvoll ist. Er sagte kürzlich im Deutschlandfunk: "Bei einem jungen Mann, der beim Fußball umknickt und einen dicken Knöchel hat, da kann man sich die Frage stellen, ob es Sinn macht, dass der erstmal zum Hausarzt geht, der ihm dann die Überweisung gibt, oder ob er besser direkt zum Orthopäden geht", sagte Gassen der selbst Orthopäde ist.

Gassen plädiert für freiwilliges System

Er sehe den Bedarf mehr bei älteren und chronisch kranken Menschen und denke daher, dass eher ein fakultatives, also ein freiwilliges Primärarztsystem, sinnvoll sei. Skeptisch äußerte er sich im Deutschlandfunk auch zu den Kosten. Es sei ein frommer Wunsch, die Kosten zu dämpfen, weil zunächst noch mehr Besuche bei den Hausärzten ausgelöst werden würden, erklärte Gassen.

Bergmann: Praxisteams werden wichtiger werden

Antje Bergmann verweist auf die positiven Erfahrungen in Ländern wie den Niederlanden, wo es das Primärarztsystem schon seit Jahrzehnten gibt. Dabei zeigt sich, dass auch der Besuch beim Hausarzt neu gedacht werden kann. "Wir müssen unsere medizinischen Fachangestellten so schulen, dass sie für den Hausarzt filtern können. Das sehen wir in den Niederlanden oder auch in Skandinavien. Nicht jedes Problem wird dort vom Arzt selbst gelöst, sondern vom Praxisteam."

Wir müssen unsere medizinischen Fachangestellten so schulen, dass sie für den Hausarzt filtern können. Das sehen wir in den Niederlanden oder auch in Skandinavien. Nicht jedes Problem wird dort vom Arzt selbst gelöst, sondern vom Praxisteam.

Antje BergmannProfessorin für Allgemeinmedizin an der TU Dresden

Bei einem Harnwegsinfekt sei es beispielsweise nur in bestimmten, komplizierten Situationen nötig, dass der Patient unbedingt einen Arzt sehen muss. "Wir können da ganz viel lernen, dass man das Praxisteam qualifiziert und dass die Menschen bei einem Primärarztsystem nicht unbedingt früher sterben, sondern, ganz im Gegenteil, gesünder sind."

Weniger Amputationen bei Primärarztmodell

Studien hätten gezeigt, dass die Behandlungsqualität bei Krankheiten, wie zum Beispiel Diabetes, mit festem Hausarzt besser sei als ohne die Steuerung durch den Hausarzt. Laut Hausarztverband gibt es bei Diabetikern im Fall der festen hausärztlichen Betreuung weniger Amputationen, weniger Erblindungen und weniger Krankenhauseinweisungen.

Niederländerin: Spezialisten nicht überfordern

Die aus Friesland stammende Niederländerin Fraukje de Jong-Sinnema, die auch Schlossherin von Schloss Tiefenau im Landkreis Meißen ist, kann die positiven Erfahrungen mit dem Primärarztsystem bestätigen.

"Ich bin mit dem System zufrieden. Der Hausarzt kennt sich mit allem ein bisschen aus und kann daher eine Einschätzung geben, ob es sinnvoll ist, zu einem Spezialisten zu gehen. Manchmal hat er auch noch eine andere Idee." Sie vertraue darauf, weil sie so aufgewachsen sei. "Es gibt ja nicht so viele Spezialisten. Von daher ist es wichtig, dass die nicht überfordert werden", sagt de Jong-Sinnema.

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