Im Blühstreifen nach Bienen fischen

Etwas versteckt und umgeben von viel Grün liegt der Campus der Hochschule Anhalt nördlich von Bernburg. Vorbei an Hochschulgebäuden und verlassenen Garagen geht es auf die Versuchsfläche der Forschungseinrichtung: Hier werden Ackerschläge bewirtschaftet und verschiedene Methoden erforscht:

Wie wirken sich leichte oder schwere Erntemaschinen auf den Boden aus? Welche Effekte haben wechselnde Fruchtfolgen von Nutzpflanzen? Seit rund einem Jahr ist ein buntes Mosaik auf dem Feld hinzugekommen und eine neue Fragestellung: Was bringen Blühstreifen für die Artenvielfalt auf dem Acker? Die Blühstreifen sind Teil des Projekts "AgriRestore" und sie locken Forschende wie die Biologin Aline Brosch an.

Mit dem Kescher fängt Aline Brosch Wildbienen ein, um sie später im Labor bestimmen zu können.Bildrechte: MDR/Max Fallert

Die Doktorandin stapft durch die Wiese mit rotem Klatschmohn, Rittersporn und Margeriten auf der Suche nach Wildbienen, ausgerüstet mit einem großen Kescher: "Das sind ja sehr kleine Tiere zum Teil. Würde ich jetzt hier einfach nur durchlaufen und versuchen, mit bloßem Auge zu erkennen, was hier sitzt, dann würde ich wahrscheinlich viele besonders kleine Arten gar nicht erfassen können."

Artenvielfalt in ganz Sachsen-Anhalt unter der Lupe

Rund 600 Wildbienenarten gibt es in Deutschland, manche klein, manche groß, manche haben geringe Ansprüche an die Landschaft, manche sind seltene Spezialisten. "Sie unterscheiden sich nur in minimalen Merkmalen und die kann ich nur unter der Vergrößerung sehen. Und dann kann ich eine eindeutige Artbestimmung machen und habe eine Inventur, auf welcher Fläche welche Artgemeinschaft vorzufinden ist", erklärt die Biologin.

Aline Brosch erforscht im Projekt AgriRestore auf Flächen in ganz Sachsen-Anhalt das Vorkommen der Wildbienen. Die Flächen eint ein Merkmal: Es sind Blühstreifen oder Hecken, die von konventionellen Landwirten angelegt wurden und die an deren Getreidefelder angrenzen. Diese Blühstreifen und Hecken werden bis Ende 2029 von den Forschenden auf Herz und Nieren hin untersucht.

Es geht um Bodenfruchtbarkeit, Trockenresistenz, mikroskopische Bodenlebewesen, um Käfer, Spinnen und Wildbienen, aber auch um Vögel, Fledermäuse und Kleinsäuger. Das Versuchsfeld der Hochschule Anhalt in Bernburg ist nur eine Ausnahmefläche mit einem ganz bestimmten Forschungszweck, aber dazu später mehr.

Ein Ziel: Forschungsergebnisse für Kontinentaleuropa

Niels Hellwig hofft mit dem Forschungsprojekt viele Erkenntnisse für die europäische Landwirtschaft gewinnen zu können.Bildrechte: MDR/Max Fallert

Die Ackerflächen wurden so ausgewählt, dass sie die Vielfalt der Naturräume abbilden: Besonders trockene und feuchte Gebiete, flaches oder hügeliges Ackerland. "So versuchen wir eben auch Aussagen zu generieren, die über Sachsen-Anhalt hinaus gültig sind", erklärt Niels Hellwig, der für die Auswahl der Versuchsflächen mitverantwortlich ist: "Wir haben hier relativ kontinentales Klima, das heißt, Studien aus Mittel- und Osteuropa könnten vergleichbar sein."

Denn die Probleme sind in vielen Ländern ähnlich: Flurbereinigung, zu viel Dünger und Pestizide, zu wenig unterschiedliche und vielfältige Pflanzen auf dem Feld. Durch die Industrialisierung mit immer größeren Maschinen auf immer größeren Feldern hat die Artenvielfalt in der Agrarlandschaft drastisch abgenommen. Für viele Wildbienen sind die großen Schläge wahre Wüsten: Wenn sie sich auf solchen Monokultur-Flächen verirren, können sie verhungern.

Kilometerweit nichts als Getreidepflanzen. Kein guter Lebensraum für Wildbienen.Bildrechte: MDR/Max Fallert

Blühstreifen: Vielfalt macht satt

Eine von ca. 600 Arten von Wildbienen in Deutschland: Die Furchenbiene.Bildrechte: MDR

Derweil hat Aline Brosch ein kleines Exemplar mit ihrem Kescher einfangen können: "Ich gehe davon aus, dass wir hier eine Furchenbiene haben. Es ist ein Weibchen, weil es hier Pollen an den Beinchen trägt. Sie tragen ihren Namen, da die Weibchen am Hinterleib so eine Furche haben", sagt die Biologin.

Christina Fischer erforscht seit vielen Jahren die Artenvielfalt in der Agrarlandschaft.Bildrechte: MDR

Die vielen unterschiedlichen Bestäuber wie die Furchenbiene haben wichtige Funktionen in unserer Agrarlandschaft, erklärt Christina Fischer, Professorin für Faunistik und Artenschutz an der Hochschule Anhalt: "Wenn wir jetzt nur noch Honigbienen überall in die Landschaft stellen würden, dann könnten wir bei sehr windigen Tagen keine Bestäubungsleistung mehr erzielen. Wir könnten nicht früh im Jahr eine gute Bestäubungsleistung erzielen, weil die Wildbienen die Funktion der Honigbiene ersetzen." Das wirke sich auch auf unseren Tellern aus: Ohne eine Vielfalt an Bestäubern wäre der Ertrag an Äpfeln, Erdbeeren und anderen Feldfrüchten deutlich geringer.

Vielfalt nutzt der Landwirtschaft

Christina Fischer leitet das Forschungsprojekt AgriRestore. Sie hat unterschiedliche Fachbereiche versammelt, um grundlegende Erkenntnisse über die Wirkung von Blühstreifen zu gewinnen. Erste vorläufige Ergebnisse legen nahe, dass sich Blühstreifen unmittelbar auch auf die Kulturpflanzen auswirken:

Ein Freund der Landwirte: Marienkäfer fressen Blattläuse.Bildrechte: MDR

Sie begünstigen das Vorkommen von Marienkäfern, die wiederum Blattläuse fressen und für natürliche Schädlingsbekämpfung sorgen. Gleichzeitig konnten die Forschenden noch kein erhöhtes Auftreten von Nagetieren feststellen, die auch Schäden an den Pflanzen verursachen können. Die nächsten Jahre Forschungsarbeit sollen hier mehr Klarheit schaffen.

Im Projekt sollen auch zukunftsweisende Forschungsmethoden getestet werden: Die Wissenschaftler erproben die Arbeit mit Drohnen, Satellitenaufnahmen und Künstlicher Intelligenz: "Unser Wunsch ist es, mit den Fernerkundungsmaßnahmen relativ schnell und kurzfristig den Zustand der Blühflächen und auch der angrenzenden Ackerschläge zu evaluieren", so Fischer. Bis 2029 stehen dem Projekt 6,5 Millionen Euro Fördergelder der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung.

Das Projekt wäre ein Erfolg, wenn wir Maßnahmen entwickeln könnten, die die Biodiversität langfristig fördern und auch von den Landwirten umgesetzt werden. Nicht gegen die Landwirtschaft arbeiten, sondern mit der Landwirtschaft die Zukunft gestalten.

Christina Fischer – Leiterin des Forschungsprojekts "AgriRestore"

Welche Pflanzen kommen mit dem Klimawandel zurecht?

Zurück aufs Versuchsfeld nach Bernburg: Die Blühstreifen dort sollen Klarheit darüber schaffen, welche Wildkräuter und Pflanzen besonders gut mit Trockenheit zurechtkommen: "Weil wir natürlich auch Maßnahmen entwickeln wollen, damit wir gerüstet sind für das, was mit dem Klimawandel noch passiert", so Christina Fischer. Klimamodelle sagen extremere Trockenheit und eine ungleiche Verteilung von Niederschlag voraus. Effekte, die schon heute bemerkbar sind und der Landwirtschaft zu schaffen machen.

Georg Rieland überprüft, welche Arten sich im ersten Jahr nach der Pflanzung durchgesetzt haben. Der Blühstreifen wird in den kommenden Jahren noch bunter.Bildrechte: MDR

Auf verschiedenen Parzellen wurden in Bernburg unterschiedliche Arten ausgesät. Manche Felder haben zehn verschiedene Kräuter, andere bis zu 40. Georg Rieland hat die Pflanzen zusammengestellt und kümmert sich um die Modellflächen. Seine Hoffnung ist, neue Blühmischungen zu gewinnen, die Landwirte dann – mit kleinen Anpassungen – auf ihre zunehmend trockenen Flächen ausbringen können.

Blühstreifen sind politisch

Blühstreifen werden über die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union gefördert. Die GAP ist ein hunderte Milliarden Euro schwerer Geldtopf, aus dem Landwirte querfinanziert werden. Manche Gelder sind an Ökosystemdienstleistungen geknüpft. Wenn Bäuerinnen und Bauern einen Teil ihrer Felder für Blühstreifen hergeben und die Pflanzen fünf Jahre lang blühen lassen, dann können sie über die GAP für die Ertragsverluste entschädigt werden.

Doch diese Regelungen gelten teilweise als zu aufwendig und bürokratisch für manche Landwirte, erklärt Biologin Christina Fischer. Außerdem enthielten sie einen Konstruktionsfehler: Nach fünf Jahren müssten die Flächen wieder umgegraben werden. So würden die gerade etablierten Lebensräume von Wildbienen und Vögeln wieder zerstört. Mit AgriRestore wollen die Forschenden daher auch die Grundlage für die Politik schaffen, um Blühstreifen und Hecken langfristiger und besser zu finanzieren. Und so, frei nach Ex-Kanzler Helmut Kohl, das Ackerland in blühende Landschaften verwandeln.

Freut sich über blühende Landschaften auf ostdeutschem Acker: Vermutlich ein Kohl(-Weißling).Bildrechte: MDR

Links/Studien

Auf der Webseite des Forschungsprojekts AgriRestore finden Sie weitergehende Informationen und Updates zum Projektstand.

Der Artikel More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas, veröffentlicht am 18. Oktober 2017 im Magazin PLOS One beschreibt die Abnahme von flugfähigen Insekten in Schutzgebieten.

Im Artikel Biodiversity monitoring in Europe: User and policy needs, veröffentlicht in Conservation Letters am 1. Juli 2024 werden Ansprüche an das Monitoring von Biodiversität formuliert.

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