"Der Westen muss soljankisiert werden"
Das haben die damals doch mit Absicht gemacht: Die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion von DDR und BRD auf den 1. Juli zu terminieren, also mitten in die Urlaubszeit. Und Urlaub hieß 1990 etwas anderes als heute: Es war der erste Sommer mit Reisefreiheit, da blieben in Ostdeutschland noch nicht mal die Kleidermotten daheim. Das Land sah aus wie nach einem Atomschlag, und plötzlich waren auch noch die Leute weg. Klar kann man da mal schnell so eine Union durchziehen, zumal es auch nirgends Internet gab – man fuhr nach Italien, und dann war man in Italien und nirgends sonst auf der Welt. Nachrichten von Zuhause kamen per Post. Fast jeder weiß, wo er am 9. November '89 war, als die Mauer fiel; aber so gut wie keiner, wo am 1. Juli '90 – als sie wieder hochgezogen wurde.

Ja, nichts hat uns doch schärfer getrennt als die gemeinsamen Piepen. Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion nach einem Dreivierteljahr! Jeder schüttelt den Kopf, wenn er von einem Paar hört, das schon nach neun Monaten heiratet, und dann auch noch ohne Gütertrennung – und bei uns ging es nicht nur um zwei hormonwirre Kindsköpfe, sondern um zwei Staaten. Braucht's eines weiteren Beweises, dass es kaum was Blöderes gibt als Nationalismus? Zudem war Deutschland noch nie eine Nation. Ich stamme aus Bayern – wir fahren nach Niedersachsen nur mit Übersetzungs-App, die Griechen sind uns näher als die Ruhrgebietler, und das hessische Abitur gilt bei uns als Behinderten-Ausweis.
"35 Jahre in die eine Richtung, jetzt mal in die andere"
Pünktlich zum Wirtschaftsvereinigungs-Jubiläum hat eine Berliner Bank nun einen Werbespot zum Thema veröffentlicht. Darin schwärmt eine Grundschülerin von der Familie ihrer Freundin, die im Schrebergarten grillt, im Camping-Urlaub nackt badet und ihr Geld bei einer Genossenschaftsbank hat. Worauf der Vater des Kindes abschätzig knurrt: "Ossis!" Und das kleine Luder antwortet: "Wenn ich groß bin, will ich auch Ossi werden!"

Für mich, der jetzt schon fast zwei Jahrzehnte in Leipzig lebt und die Exzellenz der ostdeutschen Freizeitgestaltung längst verinnerlicht hat, ist das freilich Eulen nach Athen; aber ich bin das ja gewohnt – mir wird dauernd erzählt, wie es im Osten ist, am häufigsten von Leuten, die noch nie da waren: "Wie kann man nur unter lauter Nazis leben?" Ich antworte dann immer: "Das stimmt überhaupt nicht! Unter mir wohnen auch welche."
Trotzdem hat der Werbespot was Visionäres. Bislang kannte ich nur das Gegenteil: "Wenn ich wieder klein bin, will ich Ossi werden." Westdeutsche Senioren ziehen reihenweise nach Görlitz, um dort ihre schrumpfenden Jahre zu verbringen. Aber die Vorstellung, dass sich plötzlich auch die Jungen verosten wollen – einen Versuch wär's unbedingt wert! Wiedervereinigung klappt nur, wenn sich eine Seite aufgibt. Keine Ehe hält zwei aus, die auf sich achten. Und wir haben es 35 Jahre in die eine Richtung probiert, das war nix; jetzt mal 35 in die andere.
Pfeffi und Tote Oma in Frankfurt
Ich war letzte Woche in Frankfurt – Main –, dort wurde mir ernsthaft Pfeffi als das neue In-Getränk serviert. Vor Begeisterung platzte ich gleich raus: "Haben Sie auch Tote Oma?" – Gut, so weit waren sie noch nicht. Trotzdem: Das ist der Weg! Ich nenne es die "Soljankisierung des Westens". Haut die Reste der alten BRD zusammen, Gurkenwasser drauf, und was ihr an Fonds noch habt – und dann einfach mal aufwallen lassen. Mit der Deutschen Einheit wird's nichts werden, aber vielleicht mit nem Eintopf.

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