Ein Fluss voller Leichen: Der Mai 1945 in Demmin
- Wie der Einmarsch der Roten Armee erfolgte
- Das Schicksal der Frauen in Demmin
- Während der DDR-Zeit: Schweigen über Demmin
Noch nach Wochen trieben die Leichen an das Ufer der Tollense. Der Fluss mündet bei Demmin in die Peene. In der Stadt in Mecklenburg-Vorpommern nahmen sich Anfang Mai 1945 etwa 1.000 Menschen das Leben – aus Verzweiflung. Die meisten ertränkten sich in den Flüssen. "Blau, aufgedunsen, verfingen sich [die Toten] im Schilf und am Ufer", sagte Heinz-Gerhardt Quadt, der das Ganze damals als Kind erlebte.
Der Grund für den wohl größten Massenselbstmord in der deutschen Geschichte: Angst vor den Russen. Denn in der deutschen Bevölkerung waren die Gräueltaten und Kriegsverbrechen der vorrückenden Roten Armee bekannt. Es war auch eine Folge der NS-Kriegsverbrechen in der Sowjetunion: Millionen Zivilisten und Kriegsgefangene starben unter der deutschen Besatzung, ganze Dörfer wurden ausgelöscht.
Feuer, Plünderung, Gewalt: Die Zerstörung der Stadt
"Wir wissen, dass der Einmarsch sich in Staffeln vollzog", erklärt der emeritierte Professor für Neueste Geschichte, Thomas Stamm-Kuhlmann. "Es gibt da einen Bericht eines Offiziers. Der sagte: Die erste Staffel nahm die Uhren. Die zweite Staffel nahm die Frauen, die dritte Staffel nahm andere Dinge, die man in die Wohnung finden konnte."
Die erste Staffel nahm die Uhren. Die zweite Staffel nahm die Frauen [...].
Die Rote Armee kam ab dem 30. April nach Demmin im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte. Die Stadt wurde geplündert und angezündet. Ein Haus nach dem anderen wurde Opfer der Flammen. Fast die gesamte Altstadt wurde niedergebrannt. "Über 80 Prozent der Innenstadt wurden zum Ende des Krieges durch Feuer zerstört", sagt Archivar David Krüger, der sich in Demmin mit der Stadtgeschichte beschäftigt.
Professor Stamm-Kuhlmann sagt, dass in der gesamten Region die Städte systematisch niedergebrannt worden. Sie seien aus Zerstörungswut angezündet worden.
Vergewaltigung und Tot: Das Schicksal der Frauen
Doch die Einwohner von Demmin mussten nach dem Ende des Krieges noch Schlimmeres erleben. "Meine Schwester wurde als Erste vergewaltigt", berichtete 1994 die inzwischen verstorbene Hertha Liebow. "Wir haben immer wieder an der Tür versucht, mit ihr zu sprechen und gerufen. Aber sie gab keine Antworten. Da sagte meine Mutter, die ist bestimmt schon tot."

Am nächsten Morgen sei ihre Schwester doch aus dem Zimmer gekommen. "Da sagte sie: Ja, wenn ich raus wollte, wenn ich den Mann von mir abwälzen wollte, dann wurde er eben immer wieder wach. Ich konnte nicht rauskommen", so Liebow mit gesenkten Augen.
Man vergisst es nicht, obgleich es bald 50 Jahre her ist.
Danach floh die Familie ins Freie. Dort sahen sie eine der ersten erstochenen Frauen. "Der hatten sie den Bauch aufgeschlitzt", sagte Liebow. Diese Bilder haben sie bis zu ihrem Tod verfolgt. "Man vergisst es nicht, obgleich es bald 50 Jahre her ist. Immer, wenn ich zu meinem Garten gehe, sehe ich immer wieder diese Frau."
Der Brief einer Zeitzeugin: Sie nehmen Gift
Der Stadtarchivar Krüger hat einen Brief aus dem Juni 1945 gefunden, in dem die Ereignisse vor acht Jahrzehnten unmittelbar beschrieben werden: "Wie sie nun erfahren haben, dass ihr Geschäft ausgebrannt ist und die Russen sie da auch so bedrängt haben, hat Karl zu seiner Schwiegermutter gesagt: Sie nehmen Gift."
Die Schreiberin erklärte weiter: "Sie haben sich eingeschlossen und den Kindern gesagt, es wäre ein Schlafmittel, damit sie das Schreckliche nicht sehen. Er hat nichts genommen, sondern hat erst abgewartet, was wird. Gestern Abend ist er rausgekommen und hat gesagt: Der kleine Peter ist gleich tot. Und wie der Kleine tot war, hat er sich dann erhängt."
Die Frau hat sich damals über acht Seiten ihr Leid von der Seele geschrieben. Auch sie wurde von einem Rotarmisten vergewaltigt: "Vor unserer Tür war ein Posten. Erst wussten wir es nicht, aber ich musste mal raus. Und er kam mit. Einer blieb stehen, da wussten wir Bescheid. Die Nacht kann ich nicht schildern. Es war zu schrecklich."
Während der DDR-Zeit: Schweigen über Demmin
Die Ausschreitungen in der Stadt hielten über Wochen an – auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Rote Armee setzte sich in Demmin fest, ein Schnapslager fiel in ihre Hände. Unter den 15.000 Einwohnern brach Panik aus und es nahmen sich ungefähr 1.000 von ihnen das Leben.

Heinz-Gerhard Quadt stand Anfang Mai 1945 ebenfalls am Ufer der Tollense, mit seiner Mutter und vier Geschwistern. "Hier wollte sie ins Wasser springen. Ich habe sie zurückgehalten und dadurch sind meine drei Geschwister, meine Mutter und ich am Leben geblieben", berichtete der inzwischen verstorbene Mann im Jahr 1994.
Quadt hat ein Leben lang zu den tragischen Wochen in Demmin geforscht. Während des DDR-Regimes wurden diese Toten verschwiegen. Er versuchte gemeinsam mit dem Friedhofsverwalter genau zu ermitteln, wie viele Menschen sich das Leben genommen hatten. Doch das ist bis heute nicht vollständig klar.
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