Pödelwitz – Ein Kohle-Dorf sucht Zukunft
- Das Dorf Pödelwitz am Rande eines Tagebaus darf bleiben. Mit der Renovierung der Dorfkirche wurde diese Hoffnung zur Sicherheit.
- Pödelwitz soll weiter belebt werden. Doch das Kohleunternehmen besitzt viele Immobilien im Ort.
- Der Freistaat Sachsen kann das Dorf nicht offiziell zurückkaufen. Trotzdem sollen andere Lösungen für eine gute Zukunft in Pödelwitz gefunden werden.
Manche dachten, selbst der liebe Gott habe Pödelwitz schon aufgegeben. Ein Dorf an der Tagebaukante, dreißig Autominuten hinter Leipzig. Die meisten Höfe: verwaist. Weht der Wind aus Nordosten, hört man die Kohlebagger quietschen. Doch auf einem Hügel im Ort tut sich etwas. Dort steht die weithin sichtbare Dorfkirche. Davor warten an einem lauen Juli-Abend dutzende Menschen.
Pfarrerin Friederike Kaltofen hat sie eingeladen: "Wir sind in der schönen Situation, dass wir heute unsere Kirche wiedereröffnen können. Wir haben die Kirche komplett umgebaut. Wir haben mittlerweile WC und Küchenzeile drin. Wir haben eine große Treppe ausgebaut. Wir haben sie komplett gemacht von Innen und natürlich auch die Orgel vollständig restauriert."

Pödelwitzer Kirche neu renoviert: Ehemalige Nachbardörfer verewigt
Die Kirche mit Fundamenten aus dem 13. Jahrhundert ist das erste Gebäude, das in Pödelwitz erneuert wurde, seit klar ist: Das Dorf bleibt. Kaltofen führt durch die schmale Holztür ins Innere. Das Kirchenschiff in Weiß und hellem Grün. Der Organist probt auf der restaurierten Orgel. Kaltofen deutet auf die bemalten Emporen. Sie zeigen Skizzen der Nachbardörfer – die fast alle für die Kohle weggebaggert wurden.
"Die Dörfer, die dem Tagebau gewichen sind, sind hier quasi nochmal beheimatet. Und das ist für die Bewohner, die es noch gibt aus der Zeit, ein ganz wichtiges emotionales Zeichen, dass sie gesehen werden und dass auch ihre Heimat nicht vergessen ist. Man sieht hier die Ausschnitte der Dörfer in wenigen repräsentativen Gebäuden mit den Schriftzügen der Dörfer."

Kirchenrenovierung schafft Sicherheit: Pödelwitz bleibt
Aus einem dieser Dörfer stammt Gerhard Kremkow. Der 90-Jährige sitzt vor der Tür auf einem Klappstuhl. Dass die Kirche für 600.000 Euro saniert wurde, vor allem aus Fördergeldern, das bedeutet ihm viel.
"Wir haben lange gewartet. Der Hauptgrund ist: Wenn die Kirche gemacht wird, brauchen wir keine Angst mehr haben: Wir kommen nicht mehr weg. Wir hatten immer noch ein bisschen so, dass es doch noch … Die baggern ja noch Kohle raus hier hinten. Aber die kommen jetzt nicht mehr zurück."

Anwohner mussten schon mehrmals umziehen
Kremkow musste für die Kohle bereits einmal umziehen. Er stammt aus Droßdorf, das dem Tagebau Schleenhain zu DDR-Zeiten weichen musste. In Pödelwitz baute der gelernte Maurer 1983 für seine Familie ein neues Zuhause, errichtete auch einen Stall fürs Viehzeug, wie er sagt: Hühner, Enten, Karnickel.
"Weil wir uns versprechen lassen haben, dass es nicht wegkommt. Und da haben wir wieder gebaut. Und da haben die gesagt: Ihr kommt weg. Und da haben wir gesagt: Wir bleiben hier, macht, was ihr wollt. Ich baue nicht wieder. Und da sind wir eben hiergeblieben."
Leerstehende Häuser: Kohleunternehmen kaufte Immobilien auf
Heute gehört der betagte Herr zu den wenigen, die noch in Pödelwitz leben. Die meisten Nachbarn sind vor rund 15 Jahren fortgezogen. Ihre Häuser hat ihnen das Kohleunternehmen Mibrag abgekauft, als die Mehrheit noch davon ausging, dass sich der Tagebau bis hierhin vorarbeiten wird. Die Häuser stehen nun leer.
"Es müsste jemand her. Aber was sagt die Mibrag: Kein Kommentar! Die haben die ganzen Flächen, die haben die Häuser und die lassen niemanden herziehen."
Neue Zuzügler: Idealisten wollen Pödelwitz neu beleben
Ein Spaziergang durchs Dorf: An vielen Zäunen warnen Schilder "Betreten verboten". Mibrag-Eigentum. Das Unternehmen hat bislang keine Pläne für die Gebäude. Sie verfallen. Ein paar stehen inzwischen unter Denkmalschutz.
Ein paar Zuzügler gibt es dennoch. Sie leben am Fuß der Kirche rund um einen Bauwagen. Ein Camp aus Klimaschützerinnen und Idealisten, junge Leute, die zur Wiedereröffnung der Kirche unter sphärischen Klängen Kuchen verteilen. Zu den Bewohnerinnen des Camps gehört auch Kea, eine leise, junge Frau aus Halle an der Saale.
"Ich bin vor viereinhalb Jahren hierher gezogen. Und die Frage, was es für mich bedeutet, ist auf jeden Fall eine große. Also definitiv ist es ein Zuhause für mich geworden. Also ich bin sehr verbunden mit dem Dorf, mit den Menschen hier, mit der ganzen Region und wachse da immer mehr rein. Und genau so wie wir Pödelwitz formen, werden wir von Pödelwitz geformt. Also ich habe mich auch sehr verändert. Und über die Beschäftigung mit Pödelwitz, mit diesen Häusern hier, mit der Baukultur bin ich zum Beispiel zum Handwerk gekommen, also ich arbeite jetzt in einem Handwerksbetrieb in der Region."
Traum der Neubürger: Pödelwitz als ökologisches Musterdorf
Kea macht dort eine Ausbildung. Die Firma hat auch bei der Kirchensanierung mitgewirkt, Fußboden und Putz erneuert. Kea träumt davon, dass aus Pödelwitz ein sozial-ökologisches Musterdorf wird – mit Café, Dorfladen und wenig Autos.
"Was ich mir vorstelle, ist ein Dorf, was lebendig ist. Und zwar nicht nur, weil jedes Haus bewohnt ist, sondern auch, weil da was los ist, weil es Gemeinschaft gibt. Versorgungsinfrastruktur wie ein Dorfladen ist ja auch immer ein Begegnungsort. Also eigentlich ist diese Ökonomie der kurzen Wege nicht nur Ökonomie, sondern da vermischen sich Ökonomie, Ökologie und auch Soziales. Und das macht für mich ein lebendiges Dorf aus."

Kleine Projekte gelingen, Kohleunternehmen blockiert
Doch kann das gelingen? Einer, der sich jahrelang gegen die Zerstörung des Dorfes gestemmt hat, ist Jens Hausner. Ein Landwirt, der in den Ort eingeheiratet hat. Auch er blieb, als andere gingen. Seit Jahren engagiert sich Hausner bei den Grünen und im Verein Pro Pödelwitz. Dieser, erzählt er, könne nun zumindest ein Projekt für das Dorf angehen.
"Von einem privaten Eigentümer haben wir einen Hof erworben. Und dort wollen wir so ein integratives Wohnprojekt für behinderte Menschen, dieser Vielseithof, den entwickeln wir jetzt. Und ich denke mal, dass wir da auf einem guten Weg sind. Aber das ist ein Projekt, genauso wie die Kirche, das sind die Projekte, die wir umsetzen können in dem Ort. Wir könnten viel mehr umsetzen, wenn das Bergbauunternehmen nicht blockieren würde."
Tagebau soll noch neun Jahre lang betrieben werden
Gespräche mit der Mibrag, über all die anderen Häuser, über immerhin achtzig Prozent der Wohngebäude im Ort, habe es zwar gegeben, aber ohne Ergebnis. Die Mibrag selbst verweist darauf, dass der benachbarte Tagebau ja noch neun Jahre betrieben werden soll. Mit allen Konsequenzen, mit Lärm und Staub. Für Hausner eine Ausrede. Er lebt ja auch hier.
"Der Beschluss, dass Pödelwitz erhalten bleibt, fiel im Januar 2021. Wir sind jetzt im fünften Jahr und es hat sich nichts bewegt. Und ich sehe es als Pflicht der verschiedenen politischen Ebenen dort schnellstmöglich eine Lösung zu finden."
Vorbild NRW: Kann Sachsen die Häuser offiziell zurückkaufen?
Um Hausner herum applaudieren die Dorfbewohner. Sie sind sich einig: Interessenten für die leeren Häuser gäbe es genug. Hausner hat eine Idee: Sachsen erhalte ja hunderte Millionen als Entschädigung für den Kohleausstieg. Wie wäre es, wenn der Freistaat die Häuser von der Mibrag zurückkauft – im Paket?
"Genauso wie in Nordrhein-Westfalen. Dort sind es fünf Dörfer gewesen, dort hat die Landesregierung 300 Millionen Euro ausgereicht an die Kommunen, dass die Kommunen das Eigentum wieder zurückkaufen konnten und die Kommunen entwickeln die Orte dort selber. So eine Lösung muss es hier auch geben."
Gemeinde Groitzsch winkt ab: Situation nicht vergleichbar
Die zuständige Kommune wäre die sieben Kilometer entfernte Kleinstadt Groitzsch. Zu ihr gehört Pödelwitz offiziell. Bürgermeister Maik Kunze ist ebenfalls zum ersten Gottesdienst nach der Sanierung gekommen. Im Pfarrgarten bremst er die Erwartungen. Nordrhein-Westfalen sei kein Modell für Sachsen. Und das zurückgekaufte ehemalige Dorf Morschenich sei nicht Pödelwitz.
"Weil der Ort komplett RWE gehörte, die haben also alles gekauft. Einschließlich Kirchen, Straßen, Plätze. Alles. Das ist ja hier nicht der Fall. Hier sind im Eigentum der Mibrag Wohnhäuser. Die Straßen und Plätze und einige Gebäude gehören ja der Stadt Groitzsch, einige sind privat. Also das sind ganz andere Bedingungen. Also man kann das nicht eins zu eins vergleichen."
Keine öffentlichen Gelder: Verkauf der Häuser an Privatpersonen denkbar
Kunze hat in Groitzsch andere Baustellen. Schulen müssen in der Stadt erhalten werden, Kindergärten. Der Bürgermeister glaubt, die Mibrag wolle die verwaisten Häuser in Pödelwitz durchaus veräußern. Aber nicht jetzt, sondern später, irgendwann. Am besten ginge das Eigentum direkt an Privatpersonen. Dass der Staat Millionen gibt, um ein Modell-Dorf zu entwickeln, hält der CDU-Politiker für unrealistisch.
"Diese Option steht in Sachsen nicht. Sehen Sie sich den Haushalt an. Wir sind froh, dass er beschlossen wurde, jetzt. Also man kann das nicht vergleichen. Die Bedingungen sind nicht besser geworden. Sie können aber nur noch besser werden."
Pfarrerin: Pödelwitz als Motiv der Widerauferstehung
Die Sanierung der Kirche sei doch ein Anfang, resümiert Kunze. Der Bürgermeister läuft gemächlich hinein. Er hat den besten Platz, im Altarbereich. Die Holzbänke im Kirchenschiff sind heute voll wie selbst zu Weihnachten nie. Viele Gäste stehen. Pfarrerin Friederike Kaltofen erhebt sich im Talar zur Predigt. Sie macht klar: Gott hat Pödelwitz nicht aufgegeben. Man wolle hier künftig zu Veranstaltungen einladen, zu Konzerten.
"Die Auferstehung eines beinahe untergegangenen Ortes hat österliche Anklänge. Und so sind die Dörfer der Vergangenheit ein wenig die Vertretung für den Karfreitag, wo das Leben vergeht und ans Kreuz geschlagen wird. Und die Orte, die bleiben, bezeugen, dass es seit über 2.000 Jahren immer wieder Momente der Wiederauferstehung und des ungebrochenen Lebens gibt."

Selbst vor der Tür lauschen noch Besucher. Zum Abschluss spielt der Pegauer Posaunenchor das jüdische Volkslied „Hevenu shalom alechem“ – Wir bringen Euch Frieden. Die Stimmung ist fröhlich, die Musik erschallt bis weit über den Friedhof. Der sollte einst verlegt werden, umgesiedelt für die Kohle. Aber die Toten sind alle geblieben. Und mit ihnen ihre Geschichten.
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