• Wenn die Nachfrage nach Lipödem-Operationen steigt, könnten spezialisierte Ärzte fehlen.
  • Eine Operation im frühen Stadium ist sinnvoll: Sie entlastet Patientinnen und sorgt für weniger Kosten.
  • Die Operation bleibt jedoch an Bedingungen geknüpft.

Martin Schreiber ist Chefarzt für plastische, ästhetische und rekonstruktive Medizin am Helios-Klinikum Erfurt. In seiner Karriere hat er mehr als tausend Patientinnen mit Lipödem gesehen. Die chronische Krankheit zermürbe die Frauen, sagt er: "Sie denken jeden Tag an eine Krankheit, und sie kommen nicht raus aus einem Hamsterrad an Beschwerden. Das geht von leichtem Druck und Spannungsgefühlen in den Beinen und Armen bis hin zu extremer Berührungsempfindlichkeit, massiven Ruhe- oder Belastungsschmerzen."

"Sie denken bei jeder Treppe, die hochgehen oder runtergehen daran. Und zusätzlich werden sie von ihren Mitmenschen kritisch beguckt, dass sie die zwei Stockwerke, die man gut mit der Treppe hinunterlaufen kann, dass sie die mit dem Fahrstuhl fahren", sagt der Mediziner Schreiber weiter. Das täten sie aber nicht, weil sie faul seien, sondern weil sie starke Schmerzen hätten. Dazu kämen auch Hämatome: "Also blaue Flecken bei Bagatell-Berührungen, da reicht ein Fingerschnipsen oder die leichte Berührung des Partners, dass die Frauen ein, zwei Wochen lang größere Hämatome haben."

Ab kommendem Jahr: Absaugung für alle

Schreiber begrüßt deshalb die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in der vergangenen Woche. Danach dürfen – voraussichtlich ab kommendem Jahr – alle gesetzlich Versicherten, die an Lipödem leiden, operativ behandelt werden.

Bislang geht das nur, wenn man den höchsten Lipödem-Schweregrad 3 hat. Liposuktion nennt man dieses medizinische Fettabsaugen.

Steigende Liposuktion-Nachfrage erwartet

Chefarzt Schreiber rechnet mit einer stark steigenden Nachfrage nach Liposuktion. Er fordert, dass mehr Fachärzte ausgebildet und zugelassen werden: "Ich bin noch ein bisschen skeptisch, wie dann die wahrscheinlich steigende Nachfrage im Klinikmarkt beherrscht werden kann. Weil bis auf mich in Thüringen nach den Richtlinien niemand operieren kann." In den anderen Kliniken und Bundesländern sehe es ähnlich aus.

Eine tendenzielle Unterversorgung beim Thema Liposuktion in Mitteldeutschland sieht auch Patrick Will, Oberarzt im Bereich Plastische Chirurgie am Uniklinikum Dresden. Noch seien die Anfragen stemmbar, aber sie nehmen zu, sagte Will: "Also es ist deutlich steigend."

Operation in frühem Stadium sinnvoll

Patrick Will sagt, mehr und auch früher zu operieren sei nicht allein medizinisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll. Eine frühe OP bewahre die Patientinnen vor einem Teufelskreislauf aus Schmerzen, Bewegungsarmut und Gewichtszunahme.

Im Stadium 3 dieser Frauen-Krankheit "müssen wir teilweise vier bis fünf Liposuktionen machen, um gute Ergebnisse zu erzielen", erklärt Will, während dazwischen "wahrscheinlich jahrelang Kosten an konservativer Therapie, also Lymphdrainage und Kompression – auch auf Kosten der ohnehin schon erschöpften Kassen – stattgefunden hat". Im Stadium 1 oder 2 dagegen könnten zwei Suktionen reichen.

Operation nur unter bestimmten Bedingungen

Aus dem Klinikum Dessau heißt es, bisher habe man etwa zehn Patientinnen pro Jahr operativ behandelt, sonst auch viel konservativ. Auch dort erwartet der Chefarzt für Plastische Chirurgie, Jochen Winter, steigende Nachfrage, verweist aber auf Voraussetzungen, die weiter zu erfüllen seien: "Es muss erst eine sechsmonatige konservative Therapie erfolgen." Und dazu komme, "dass Patienten mit einer Adipositas, also Übergewicht, da gar nicht hineinfallen."

Kritik an Adipositas-Regelung

Das heißt: Nur mit einer Lipödem-Diagnose vom Hausarzt oder der Dermatologin landet eine Patientin nicht sofort auf einem Operationstisch. Betroffenen-Verbände kritisieren es, dass Adipositas-Patientinnen in der Neuregelung von den Operationen ausgenommen worden sind. Es gibt nur Schätzungen, wie viele Frauen in Deutschland von Lipödemen betroffen sind. Fachleute rechnen mit zwischen vier und acht Millionen.

MDR AKTUELL

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