94-seitiges Regelwerk für ein Pokalspiel – Das Bürokratie-Monster des DFB
Die Sonne steht tief an diesem Dienstagabend, sommerliche 27 Grad. Auf dem Trainingsplatz des RSV Eintracht Stahnsdorf ruft der Trainer seine Anweisungen. Bälle fliegen, die Spieler schwitzen. Alles wie immer? Nein. Es liegt etwas Besonderes in der Luft.
Der Verein, gegründet 1949, steht vor dem größten Spiel seiner Geschichte. Zum ersten Mal überhaupt nimmt der Brandenburger Landespokalsieger am DFB-Pokal teil. Am Sonntag trifft der Fünftligist auf den viermaligen Deutschen Meister 1. FC Kaiserslautern (15.30 Uhr).
Ein historischer Meilenstein – doch bevor das Fußballfest gefeiert werden kann, musste erst ein ganz anderer Kampf gewonnen werden: gegen ein Bürokratie-Monster.
Stahnsdorf, das sind 16.500 Einwohner, kein Stadion, keine Tribünen, keine große Fußball-Infrastruktur. Das eigene „Stadion“ an der Zille-Straße? Eher ein Dorfplatz. „Keine Chance, dort ein DFB-Pokalspiel auszutragen“, sagt Vorstandschef Michael Grunwaldt: „Maximal 2.500 bis 3.000 Zuschauer passen aufs Gelände.“ Zu wenig für das, was jetzt auf den Oberligisten zukommt. Also Umzug ins Karl-Liebknecht-Stadion in Potsdam-Babelsberg, wo bis zu 10.000 Fans Platz finden.
DFB-Verordnung mit kleinlichen Details
Für den RSV Eintracht ist es wie der Aufstieg in eine andere Welt. Doch bevor der Ball überhaupt rollt, musste ein Papierberg erklommen werden.
Der DFB schickte ein 94-seitiges Regelwerk mit Durchführungsbestimmungen – schwere Kost für das Team hinter dem Team. „Die Auflagen vom DFB, die Anforderungen im Babelsberger Stadion, die Fantrennung bei knapp 10.000 Zuschauern – das ist alles Neuland für uns“, erklärt Vorstandsmitglied Gerrit Schaaf: „Der ganze Verein arbeitet daran. Jeder hilft mit.“
In der DFB-Verordnung wimmelt es an Details. Zum Beispiel das Notstromaggregat. „Für die Liveübertragung sind wir als Verein verantwortlich“, sagt Schaaf, „fällt der Strom aus, zahlen wir jede nicht übertragene Minute. Das kann schnell fünfstellig werden.“ Also musste ein Notstromaggregat besorgt werden.
Derweil bereitet Cheftrainer Patrick Hinze seine Jungs mit aller Akribie auf den Gegner vor. Nach Highlights wie dem Landespokalfinale gegen den VfB Krieschow (1:0) nun also Kaiserslautern.
„Wichtig ist, dass wir taktisch diszipliniert sind und kämpfen – dann bin ich zufrieden, egal wie’s ausgeht“, sagt Hinze. Seine Mannschaft soll kompakt stehen, mutig umschalten: „Die größte Herausforderung ist einfach zu bleiben.“ Sein Tipp fürs Spiel: 1:0 für Stahnsdorf nach 90 Minuten. Wunschgegner in Runde zwei? Der große Nachbar Union Berlin.
„Die größte Herausforderung war das Gesamtpaket“
Während die Spieler trainieren, kämpfen die Funktionäre mit ganz anderen Gegnern: Trikotfreigaben, Sicherheitsvorgaben, Spielergalerien für die TV-Übertragung. Dazu der Kartenverkauf in Dimensionen, die in Stahnsdorf bislang unbekannt waren.
Paul Langleist, der einst als Mini-Kicker beim RSV startete und später in der ersten Mannschaft spielte, ist nun im Orga-Team. Er sagt: „Die größte Herausforderung war das Gesamtpaket. Besonders aufwendig waren die E-Mail-Flut mit Ticketanfragen und die Abstimmung mit allen Beteiligten.“
An Vorfreude war bei ihm lange nicht zu denken. „Momentan überwiegt der Stress“, sagt Langleist. Ob er das Spiel genießen kann? „Kommt drauf an, ob ich organisatorisch noch eingespannt bin oder wirklich zuschauen kann.“
Der DFB zahlt 211.886 Euro Antrittsprämie für die erste Runde. Allerdings fließt das Geld erst im Falle des Ausscheidens. Sollte Stahnsdorf gewinnen, kassiert Zweitligist Kaiserslautern das Geld, und der Außenseiter muss warten – allerdings dann auf die höheren Einnahmen nach Runde 2.
Doch auch so bleibt am Ende weniger übrig, als man denkt. „Zuerst gehen 19 Prozent Umsatzsteuer ab“, rechnet Vorstandschef Grunwaldt vor, „dann müssen wir 25 Prozent vom Preisgeld an den Landesverband Brandenburg abgeben. Am Ende der Rechnung bleiben etwas über 118.000 Euro übrig.“
Immer noch viel Geld für einen Amateurverein – aber eben auch eine Verantwortung. Kostendeckend wird das Spiel erst, wenn mindestens 7500 zahlende Zuschauer kommen. Auch das ist Neuland für den RSV. „Wir finanzieren die ganze Organisation über die Ticketeinnahmen“, erklärt Grunwaldt.
„Es ist die Chance unseres Lebens“
Er war live bei der Auslosung in Dortmund dabei. Als klar war, dass Kaiserslautern der Gegner wird, war sein erster Gedanke: „Ach du Schreck.“ Warum? Weil Stahnsdorf erst spät aus dem Lostopf gezogen wurde, dachte Grunwald, dass schon alle großen Namen weg seien und hatte Lautern nicht mehr auf dem Zettel.
Der Schreck ist Vergangenheit, mittlerweile überwiegt die Freude. „Wenn man von Traditionsvereinen spricht, ist Lautern ganz oben mit dabei – ein tolles Los. Es ist die Chance unseres Lebens.“
RSV Eintracht Stahnsdorf, ein Verein, der sich einer riesigen Aufgabe stellt – mit Teamgeist, Pragmatismus und viel Herzblut. Und egal, wie das Spiel gegen Lautern ausgeht: Der Klub hat schon jetzt gewonnen. Zumindest den Kampf gegen die Bürokratie.
Der Artikel wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, „Bild“, „Sport Bild“) erstellt und zuerst in der „Bild am Sonntag“ veröffentlicht.
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