„Ich habe die Szene nicht einmal im Video gesehen“
Jamal Musiala blieb mit verdrehtem Bein liegen, der Fuß stand in unnatürlichem Winkel ab. Der Deutsche war am 5. Juli im Klub-WM-Viertelfinale über den damaligen PSG-Keeper Gianluigi Donnarumma gefallen. Musiala brach sich in der Szene das Wadenbein, verletzte sich zudem am Sprunggelenk. Ein Schock für den jungen Mittelfeld-Magier, den FC Bayern und die deutsche Nationalmannschaft ein Jahr vor der WM.
Frage: Herr Musiala, wie geht es Ihnen?
Jamal Musiala: Meinem Fuß geht es gut, der Heilungsprozess verläuft nach Plan. Ich brauche keine Krücken mehr. Aber ich will auch nichts überstürzen, mir die nötige Zeit nehmen. Vom Kopf her waren die ersten Wochen nicht einfach für mich. Aber es ändert sich nichts, wenn ich die ganze Zeit genervt von der Situation bin. Ich will mich jetzt auf andere Sachen fokussieren, mir die Zeit für Dinge nehmen, die ich normal nicht habe. Dann geht die Zeit auch schneller vorbei, bis ich wieder auf dem Spielfeld bin.
Frage: Was nervt Sie aktuell am meisten?
Musiala: Nicht auf dem Feld zu stehen tut weh, den Bundesliga-Auftakt auf der Tribüne zu verfolgen. Ich weiß schon jetzt: Wenn ich wieder spielen kann, dann tue ich das, was ich liebe. Das gibt mir Motivation und Freude für meine Reha-Arbeit. Ich sehe meine Mitspieler jeden Tag, sie besuchen mich im Reha-Bereich. Ich sehe es so: Es ist besser, am Anfang einer Saison auszufallen als wieder am Ende. In den wichtigen Spielen will ich zu 100 Prozent da sein.
Frage: Bis heute fragt man sich: Wie haben Sie den Moment der Verletzung erlebt? Die Bilder schockierten, die Mit- und Gegenspieler auf dem Platz konnten kaum hinsehen.
Musiala: Ich denke darüber nicht gerne nach. Ich habe die Szene bis heute nicht einmal im Video gesehen, nur Fotos davon. Direkt nach der Verletzung war ich erst einmal weg vom Handy, wollte offline sein. Bis nach meiner OP habe ich einige Tage eine Social-Media-Pause gemacht.
Frage: Welches war Ihr erster Gedanke nach dem Zusammenprall?
Musiala: Meine Augen waren zu, ich hatte natürlich Schmerzen. Sie können sich vorstellen, was in diesem Moment alles in meinem Kopf vorgeht. Schließlich war das Spiel gegen PSG mein Startelf-Comeback nach meiner Muskelverletzung. Wie lange bin ich nun raus? Wie geht es weiter?
Frage: Danach ging es auch darum, warum sich Donnarumma nicht sofort entschuldigt hat. Wie haben Sie das empfunden?
Musiala: Das war mir egal, es hätte ja nichts geändert. Mein Kopf war in diesem Moment ganz woanders. Ich kann mir vorstellen, wie schlecht sich Donnarumma in diesem Moment gefühlt hat. Er ist zum Ball gegangen und hat das nicht mit Absicht gemacht: Ich bin nicht sauer auf Donnarumma, danach hat er sich bei mir gemeldet. Es ist alles gut, so etwas passiert.
Frage: Wie haben Sie die Verletzung seitdem verarbeitet?
Musiala: Ich bin wieder umgezogen: aus der Stadt und meiner eigenen Wohnung zurück zur Familie. Ich brauchte das in doppelter Hinsicht: zur Aufmunterung, aber auch praktisch, da ich mich ja kaum bewegen konnte. Meine Mama hat mir die Geräte für die Reha eingestellt, beispielsweise mein Lymphgerät, mir Dinge gebracht, Essen gekocht. Jemanden neben mir zu haben, hat alles einfacher gemacht. Ich habe zum Beispiel angefangen, eine neue Serie mit meiner Schwester Latisha zu gucken: Wir schauen „Scandal“ (über eine politische Krisenmanagerin in Washington; d. Red.).
Frage: Wie gut tun diese Alltagsmomente?
Musiala: Das macht alles einfacher, die Zeit mit der Familie. Man kommt nicht ins Grübeln, stellt sich keine weiteren Fragen wegen der Verletzung. Die Zeit geht schneller vorbei. Und an Tagen, an denen ich mich nicht so gut fühle, sind sie für mich da. Wir haben nun eine Woche Familienurlaub gemacht. So etwas geht normal ja nicht während der Saison. Aber ich brauchte das, um meinen Kopf freizubekommen. Und meine Reha konnte ich auch dort machen.
Frage: Haben Ihnen zuletzt Bücher oder Musik helfen können?
Musiala: Meine Mama schickt mir immer Buchvorschläge und sogar Instagram-Reels als Motivationshilfe, heute waren es schon allein drei Stück, sie hat dazu geschrieben: „Watch it!!!!“, „schau es an“, mit vier Ausrufezeichen. U. a. war heute ein Video von Schwimmer Michael Phelps dabei. Manchmal komme ich gar nicht dazu, alle anzusehen. Ich habe Bücher von David Goggins (Ex-Navy-SEAL, Extremsportler und Motivationsredner, d. Red.) und Tim Grover, dem Privattrainer von Kobe Bryant, gelesen. Wie die beiden auch mit Verletzungen umgegangen sind. Dazu läuft eigentlich die ganze Zeit Musik, Hip-Hop, auch zum Einschlafen.
Frage: Ihr bester Freund im Team ist Alphonso Davies, der mit einem Kreuzbandriss ebenfalls verletzt ausfällt. Leroy Sané, mit dem sie auch gut auskommen, verließ den Verein. Wer ist aktuell der Mitspieler, der Sie aufbauen kann?
Musiala: Phonzy und ich sind in der Reha nah zusammen. Wenn wir demnächst zusammen auf dem Platz arbeiten können, wird es noch besser, das ist cool und macht dann mehr Spaß. Wir kommen relativ zeitgleich zurück. Zudem bin ich sehr eng mit Michael Olise, wir reden täglich, eigentlich über alle Themen. Wir drei freuen uns schon auf den Tag, wenn wir dann zusammen auf dem Platz stehen. Insgesamt unterstützt mich aber die komplette Mannschaft wirklich sehr und gibt mir ein gutes Gefühl.
Frage: Haben Sie schon einen Termin für Ihr Comeback im Kopf?
Musiala: Man kann nie wissen, welche Schritte man in welchem Moment macht. Mal läuft es super, dann mache ich mal drei Tage langsamer. Ich nehme mir die Zeit, will kein Datum nennen. Aber bei dem Fortschritt, den ich bislang gemacht habe, würde ich sagen: Ich möchte 2025 noch Pflichtspiele mit dem FC Bayern bestreiten. Wenn ich wieder auf den Platz gehe, dann möchte ich bereit sein.
Frage: Wie ist Ihr Kontakt zu Julian Nagelsmann, für den Sie bei der WM 2026 ein Schlüsselspieler sein sollen?
Musiala: Julian hat mich zu Hause besucht, wir haben ein bisschen geredet, wir verstehen uns einfach gut. Er versteht auch, dass ich nichts überstürzen sollte. Besser ist es, wenn ich dann am Saisonende – und bei der WM! – in Bestform zurückkomme.
Frage: Sie tragen künftig beim FC Bayern die Rückennummer 10. Was bedeutet das für Sie?
Musiala: Es war schon immer mein Traum, mit der „10“ beim FC Bayern zu spielen. Aber ich musste lange darüber nachdenken, da es nicht einfach war, meine Rückennummer 42 abzugeben. In meinem Kopf habe ich die „10“ noch nicht. Aber mit meiner Rückkehr geht dann ein neues Kapitel los. Nach all dem, was passiert ist, passt das perfekt: Es wird ein Neustart mit einer neuen Nummer. In der Nationalmannschaft war die „10“ ein gutes Omen, ich bin echt happy, da lief es gut. Nun erfüllt sich der Traum bei Bayern, das gibt mir einen Extra-Push. Viele Legenden haben diese Nummer getragen. Das gibt mir mehr Druck, aber ich nehme diese Herausforderung und Verantwortung an.
Frage: Gibt es Dinge oder Momente, die Sie visualisieren?
Musiala: Ich schaue im Moment sehr viele Videos von meinen Spielen, analysiere auch, was ich besser machen kann. Ich will ein besserer Spieler sein als vor der Verletzung. Natürlich habe ich Bilder im Kopf, mit der Meisterschale oder dem WM-Pokal. Aber ich visualisiere eher meine nächsten Schritte in der Reha.
Frage: Den Titelkampf beim FC Bayern müssen Sie ohne Kumpel Sané aufnehmen. Schmerzt der Abschied sehr?
Musiala: Wir sind uns echt nah, haben noch viel Kontakt. Das war eine Entscheidung, die er für sich und seine Familie getroffen hat. Ich bin glücklich, wenn Leroy glücklich ist.
Frage: Haben Sie sich während der Verletzungspause in diesem Sommer mehr mit Transfergerüchten – kommt Wirtz, holen die Bayern Woltemade? – beschäftigt als normalerweise?
Musiala: Nein. Die Verantwortlichen bei uns wissen, was sie machen, welche Pläne sie haben. Da macht es für mich wenig Sinn, viel darüber nachzudenken oder zu spekulieren. Wenn ich zurückkomme, dann will ich einfach eine gute Verbindung zu den Jungs haben, die auf dem Platz stehen – egal, wer das dann ist.
Frage: Was wird Ihnen in den nächsten Wochen am meisten fehlen?
Musiala: Ganz einfach: das Team. Der Spirit unter uns. Dieses Gefühl, nicht nur auf dem Platz: im Bus, im Hotel, auf Reisen. Der Spaß mit Michael Olise, die Sprüche von Jo Kimmich. Das, was normal ein großer Teil meines Lebens ist, fehlt mir jetzt. Ich werde das noch mehr genießen, wenn ich zurück bin.
Das Interview wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, SPORT BILD, BILD) geführt und zuerst in Sport Bild veröffentlicht.
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