Als Deutscher in Saudi-Arabien – „Der wirtschaftliche Aspekt hat eine Rolle gespielt“
Matthias Jaissle wechselte 2023 aus Salzburg nach Saudi-Arabien zu Al-Ahli. Der deutsche Trainer gewann mit dem Team die asiatische Champions League. Er verlängerte seinen Vertrag vorzeitig bis 2027.
Frage: Herr Jaissle, Sie sind vor gut zwei Jahren nach titelreichen Zeiten in Salzburg nach Djidda in Saudi-Arabien gegangen. Dort haben Sie mit Al-Ahli die asiatische Champions League gewonnen und gerade auch den saudischen Supercup geholt. Wie werden Sie dort gefeiert?
Matthias Jaissle: Es war verrückt. Die Stadt stand nach dem Sieg in der Champions League auf dem Kopf, man ist mit dem Bus keinen Meter vorangekommen. Ich habe große Dankbarkeit gespürt. Das ist ein sehr schönes Gefühl. Ich weiß aber auch, dass es im Fußball schnell wieder in die andere Richtung gehen kann.
Frage: Sind alle Ihre Erwartungen in Saudi-Arabien aufgegangen?
Jaissle: Es war ein spontaner Schritt. Der Zeitpunkt so kurz vor Saisonstart in Salzburg war nicht so geplant und wirklich nicht ideal. Aber die Chance war sehr reizvoll. Natürlich hat der wirtschaftliche Aspekt eine Rolle gespielt, so ehrlich muss man sein. Aber auch die Aussicht, mit einem Aufsteiger direkt oben mitspielen zu können und mit Superstars zu arbeiten, hatte mich gereizt. Am meisten überrascht hat mich die Euphorie für Fußball im Land.
Frage: Das glauben viele in Europa gar nicht …
Jaissle: Was hier in den Stadien los ist, beeindruckt mich. Es ist ein fußballverrücktes Land. Ich kann nicht unerkannt durch die Stadt laufen. Und die Menschen hier sind dann sehr kontaktfreudig. Einen Sicherheitsabstand gibt es hier selten (lacht). Aber das ist kein Problem, es sind immer alle sehr freundlich.
Frage: Vor einigen Monaten standen Sie auf der Kippe, aber die Fans haben das Vereinsgelände belagert und für Sie als Trainer demonstriert. Wie haben Sie das empfunden?
Jaissle: Die Unterstützung in der schwierigen Phase war tatsächlich groß. Man eilt hier nicht so einfach von Sieg zu Sieg. Die Qualität der Liga hatte zu Beginn noch viel Luft nach oben. Aber durch die Transfers vieler Top-Spieler und -Trainer hat sich das rasant entwickelt. Saudi-Arabien ist inzwischen keine Karriere-Endstation mehr. Es kommen Spieler in ihrer Blütezeit, und Trainer wechseln auch wieder zurück in europäische Top-Ligen.
Frage: Gute Vorlage: Auch an Ihnen waren europäische Klubs interessiert. RB Leipzig hatte im Sommer angefragt, Stuttgart, Hoffenheim und Leverkusen hatten sich mit Ihnen beschäftigt. Wie sehr hatte Sie das gereizt?
Jaissle: Es gab immer mal wieder Anfragen. Aber ich habe meinen Vertrag hier bis 2027 verlängert. Mal schauen, was die Zukunft noch so bringt. Ich habe mir abgewöhnt, Pläne zu machen. Ich genieße den Weg und lebe komplett im Hier und Jetzt.
Frage: Sie hatten zuvor in Salzburg mit jungen Spielern gearbeitet, in Saudi-Arabien haben Sie es mit Superstars zu tun. Wie stellen Sie Ihre Arbeit um?
Jaissle: Ich möchte eine Mannschaft nach bestimmten Werten führen. Ich habe absolute Stammspieler aus der Startelf geworfen, weil sie zu spät zu Besprechungen kamen. Respekt, Vertrauen und Leistungsbereitschaft sind unverhandelbar. Aber ich muss auch berücksichtigen, dass ich auf große Persönlichkeiten treffe, die man individuell behandeln und wertschätzen muss. Ein Spieler über 30 muss nicht immer mit im Kraftraum sein. Und ich habe auch gelernt, dass ich solch erfahrene Spieler bei Taktik-Fragen schon mal mit ins Boot holen kann, ohne dass ich an Autorität verliere.
Frage: Wie stark ist die Position von Trainern in Saudi-Arabien?
Jaissle: Die meisten Klubs haben Eigentümer, einen CEO und einen Sportdirektor. Bei uns im Klub waren wir lange Zeit ohne CEO und Sportdirektor und hatten etliche neue Themen auf dem Tisch. In der Zeit haben wir zum Beispiel die Infrastruktur vorangebracht. Ich habe das neue Trainingsgelände mitgeplant: Wie viele Büros, Duschen oder Spinde brauchen wir? Wie groß muss das Gym werden? Der Neubau wurde innerhalb von zwei Monaten hochgezogen. Auch in Sachen Kommunikation und Teamführung habe ich sehr dazugelernt, taktisch ebenfalls.
Frage: Inwiefern?
Jaissle: In meinem Kader sind nicht nur Spieler, die komplett zum aggressiven Fußball mit ständigem hohen Pressing passen, für den ich stehe. Ich habe meine Spielidee angepasst, bin flexibler geworden, ohne von meinen Grundprinzipien abzuweichen.
Frage: Wie hoch ist der Druck?
Jaissle: Immens. Die Geduld ist schon endlich, wenn es keine Erfolge gibt. Das habe ich auch schon gespürt und musste da durch. In Salzburg ging alles immer bergauf. Hier auch mal zu erfahren, kurz vor einer Entlassung zu sein und die Kurve zu bekommen, ist lehrreich. Das hat mich stabiler für solche Phasen gemacht, die man als Trainer immer mal erlebt.
Frage: Wie haben Sie die Kritik empfunden, als Ihr Wechsel verkündet wurde?
Jaissle: Ich laufe nicht mit Scheuklappen durch die Gegend und habe mir vor dem Wechsel sehr viele Gedanken gemacht. Mir war klar, dass es Kritik geben wird. Ich habe aber den Eindruck, dass sich die Liga sportlich sehr gut entwickelt und das im Ausland auch wahrgenommen wird.
Frage: Wie wird sich die Liga entwickeln?
Jaissle: Die Liga möchte noch stärker werden und ist auf einem guten Weg. Der nächste Schritt ist die Professionalisierung der Strukturen. Sie sind sehr schnell im Bau von Stadien und Trainingsgeländen. Die organisatorischen Abläufe werden verbessert. Damit ziehen sie nach, nachdem sich die Liga sportlich wirklich rasant entwickelt hat. Da war die Verpflichtung von Cristiano Ronaldo sicher der Schlüssel. Das war der Startschuss für viele andere Spieler, sich ebenfalls mit einem Wechsel zu beschäftigen.
Frage: Was kann die Fußball-Welt von der WM 2034 erwarten?
Jaissle: Es wird alles dem Ziel untergeordnet, ein Top-Gastgeber zu sein. Es gibt viel zu tun, aber hier kann vieles sehr schnell umgesetzt werden. Sie werden alles dafür tun, dass es ein sehr gut organisiertes Turnier wird.
Der Artikel wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, SPORT BILD, BILD) verfasst und zuerst in SPORT BILD veröffentlicht.
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