Als Domen Prevc, der Überflieger dieser Saison, zu seinem finalen Sprung in Oberstdorf in die Spur ging, schaute einer der 25.500 Zuschauer ganz genau hin: sein Bruder Peter, Vierschanzentourneesieger 2015/16. Zehn Jahre später nun schickt sich sein jüngerer Bruder an, es ihm gleichzutun. Der Vorsprung des 26-Jährigen aus dem ersten Durchgang ist enorm, der Druck allerdings jetzt riesig. Domen Prevc aber hält dem Stand und springt mit 140 Metern zum ungefährdeten Sieg beim Auftaktwettbewerb der Vierschanzentournee.

Doch nicht nur der Slowene jubelt an diesem winterlichen Abend im Allgäu – auch die beiden deutschen Springer Felix Hoffmann und Philipp Raimund ballen im Auslauf die Hand zur Faust und stoßen Jubelschreie aus. Für den erhofften Podestplatz reicht es für keinen der beiden, diese gehen hinter Prevc an dessen Landsmann Timi Zajc und den Österreicher Daniel Tschofenig, die gemeinsam auf Platz zwei landen. Doch Hoffmann und Raimund, die beide erstmals derart im Rampenlicht stehen, mischen als Vierter und Sechster in der Spitze mit. Hoffmann fehlen nur 1,9 Punkte auf das Podest. Für die Gesamtwertung heißt das: Sie zählen zu jener Gruppe, die ab jetzt Prevc jagen werden.

Hinter Raimund und Hoffmann war es allerdings ein enttäuschender Start für die deutsche Mannschaft: Kein anderer Springer schaffte es in den zweiten Durchgang. Olympiasieger Andreas Wellinger steckt weiterhin tief in der Krise, belegte den 49. und damit vorletzten Platz.

Die Ausgangslage vor dem ersten Wettbewerb der 74. Tournee war aus deutscher Sicht mit gemischten Gefühlen und sehr unterschiedlichen Erfolgsaussichten behaftet. Über allem schwebte wie seit vielen Jahren diese eine Frage: Wird es endlich wieder einen deutschen Gewinner der so prestigeträchtigen Skisprung-Veranstaltung geben? Hat das Warten der Sportler selbst, des deutschen Skiverbandes und der Fans nach nunmehr 24 Jahren ein Ende? Damals nämlich, bei der Tournee 2001/02 siegte mit Sven Hannawald zuletzt ein Deutscher.

Seitdem haben die deutschen Springer alle möglichen Ausgangsszenarien durchgespielt: Mal galt mindestens einer von ihnen zuvor als Topfavorit, mal als Mitfavorit, dann als Geheimtipp, als möglicher Überraschungsmann – oder aber, das Team reiste zur Tournee und wirkte chancenlos. Egal wie – am Ende triumphierten immer die anderen. In den vergangenen zehn Jahren landete ein Deutscher zwar fünfmal auf Rang zwei des Gesamtklassements und zweimal auf Rang drei, aber bei der Tournee zählt am Ende der Sieg.

Olympiasieger Andreas Wellinger enttäuscht

Als Topfavorit ging dieses Mal der Slowene Domen Prevc in die Traditionsveranstaltung. Der Führende des Gesamtweltcups untermauerte diese Rolle dann auch mit einem dominanten Sieg in der Qualifikation. Zweiter dahinter: Raimund. Nach dem Japaner Ryoyu Kobayashi, der bereits dreimal die Tournee gewann, und dem Slowenen Anze Lanisek, rangiert er auf Platz vier des Gesamtweltcups – Deutschlands größte Hoffnung zum Start der Tournee.

Ebenfalls im Fokus aus deutscher Sicht: Felix Hoffmann, der beim letzten Weltcup vor Weihnachten zweimal auf dem Podest stand. Im ersten Durchgang des Wettbewerbs in Oberstdorf bekam er es mit Olympiasieger Andreas Wellinger zu tun – zwei deutsche Springer, für die es in dieser Saison nicht unterschiedlicher laufen könnte. Während Hoffmann den besten Winter seiner Karriere zeigt, kam Wellinger bisher überhaupt nicht zurecht und nahm sich vor Weihnachten selbst aus dem Weltcup, um im Training die Lösung für seine Sprungprobleme zu finden.

Doch es half nicht. Nicht einmal ein bisschen. Wellinger, der vor zwei Jahren an selber Stelle zum Tournee-Start triumphiert hatte, landete bei 110,5 Metern. Der WM-Zweite des Vorjahres ließ den Kopf hängen, kein Lächeln huschte über sein Gesicht. Auch der erhoffte kleine Schritt nach vorn war ausgeblieben.

Hoffmann und Raimund überzeugen im ersten Durchgang

Danach segelte Hoffmann auf 132,5 Meter – eine Welt entfernt von Wellinger. „Ich bin sehr zufrieden mit dem ersten Sprung“, sagte Hoffmann. „Ich bin schnell in mein Flugsystem gekommen – es passt.“ Bei Wellinger hingegen passt weiterhin nichts zusammen. Der 30-Jährige kämpft gerade vergeblich darum, den Anschluss wiederzufinden. Ähnlich geht es Ex-Weltmeister Karl Geiger, der bereits in der Qualifikation gescheitert war.

„Ich habe mich heute wieder brutal schwergetan mit dem Gefühl, dass ich sauber durch den Radius durchfahre“, sagte Wellinger. „Und dann funktioniert es nicht.“

Und dann war Philipp Raimund an der Reihe, sein erster Wettkampfsprung dieser Vierschanzentournee. Nie zuvor stand er derart im Fokus wie jetzt. Der 25-Jährige hob ab – und sprang auf 136 Meter. All die Anspannung entlud sich bei ihm in Freude und Erleichterung – und ausgelassenem Jubel. Am Ende des ersten Durchgangs bedeutete das Rang sieben knapp hinter Teamkollege Hoffmann.

Generell lagen die Top Ten eng beieinander – mit einer Ausnahme: An der Spitze hatte sich Prevc mit einem Sprung auf 141,5 Meter bereits einen beachtlichen Vorsprung erarbeitet. Dahinter lagen die rechtzeitig zur Tournee wiedererstarkten Österreicher mit Jan Hörl, Jonas Schuster und Titelverteidiger Daniel Tschofenig. Schuster – das ist der Sohn des früheren deutschen Bundestrainers Werner Schuster. Für den zweiten Durchgang versprach das zumindest im Kampf um die Plätze zwei und drei Hochspannung. Und schließlich geht es ja auch um die Frage: Wer bewahrt sich die Chance auf den Gesamtsieg?

Nach dem zweiten Durchgang in Oberstdorf lässt sich feststellen: eine ganze Reihe von Springern zählt zu den Jägern von Domen Prevc. Dazu zählen auch die beiden derzeit besten Deutschen. Raimund verbesserte sich mit 133 Meter im zweiten Durchgang auf Rang sechs, Hoffmann mit 136 Meters auf Platz vier.

Für Andreas Wellinger hingegen geht es weiter darum, sich irgendwie aus seiner tiefen Krise zu arbeiten, um perspektivisch bei den Olympischen Winterspielen wieder vorn mitmischen zu können. „Morgen geht es rüber nach Garmisch-Partenkirchen“, sagte Wellinger und versuchte sich in Zweckoptimismus: „Und dann fangen wir wieder an. Neue Chance, neues Glück.“

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