„Es gibt Jugendspieler, die verdienen schon 30.000 Euro im Monat“
Norbert Elgert ist seit 1996 Leiter der Knappenschmiede des FC Schalke 04. Der 68-Jährige gilt als einer der einflussreichsten Nachwuchstrainer in Deutschland und prägte über Jahrzehnte die Talententwicklung seines Vereins. Unter Elgert wurden zahlreiche spätere National- und Topspieler ausgebildet, darunter Manuel Neuer, Mesut Özil, Benedikt Höwedes, Julian Draxler, Leroy Sané und Leon Goretzka.
Elgert steht für eine klare Haltung, große Nähe zu den Spielern und einen ganzheitlichen Ansatz, bei dem Charakter, Disziplin und Persönlichkeit genauso wichtig sind wie sportliche Qualität. Ein Gespräch.
Frage: Herr Elgert, haben Sie im Kopf, wie viele Spieler aktuell im Profifußball spielen, die Sie ausgebildet haben?
Norbert Elgert: Ich führe darüber Listen, nach dem Motto: Der Kopf vergisst, Papier nicht. Im Moment sind es rund 80 Spieler, die in den oberen drei Ligen in Deutschland und im Ausland spielen. Während der rund 30 Jahre, die ich in dieser Funktion nun tätig bin, dürften um die 150 Spieler den Sprung in den Profifußball geschafft haben. Wir wollen uns nicht beweihräuchern, aber die Erfolgsgeschichte der Knappenschmiede ist eine der größten im Weltfußball.
Frage: Welcher Spieler hat Sie in der Entwicklung am meisten überrascht?
Elgert: Da nenne ich Joël Matip, der talentiert war, aber nicht überdurchschnittlich. Er hat sich durch die Grundtugenden, die ich immer wieder propagiere, Schritt für Schritt nach ganz oben gearbeitet. Es hat mir wieder einmal gezeigt: Talent ist nur der Startpunkt, stellt dich nur in die Tür zum Profifußball. Erst Anstrengungsbereitschaft, Einstellung, Durchhaltevermögen, Fleiß und Widerstandsfähigkeit über einen ganz langen Zeitraum können dich vielleicht durch diese Tür hindurchbringen.
Frage: Welchen Spieler mussten Sie am meisten schleifen?
Elgert: In dem Zusammenhang ist der Weg von Malick Thiaw wahrscheinlich am spannendsten. Er hat bis zur U19 immer im defensiven Mittelfeld gespielt. Er und sein Vater waren auch der Meinung, dass es die perfekte Position für ihn sei, weil er häufig am Ball sein müsse. Nach einem halben Jahr haben mein Trainerteam und ich erkannt, dass die Innenverteidigung deutlich geeigneter für ihn sein könnte. Ich habe ihm gesagt: „Malick, du willst doch Profi werden.“ Er sagte: „Klar, Coach!“ – „Deine Chancen würden sich deutlich erhöhen, wenn du es als Innenverteidiger versuchst.“
Frage: Die Reaktion?
Elgert: Um Gottes willen (lacht). Der Papa war gar nicht begeistert. Ich konnte beide davon überzeugen, es doch wenigstens einmal auszuprobieren. Und es hat von der ersten Minute an wunderbar geklappt. Heute ist er deutscher Nationalspieler auf der Position und kann stolz sein auf seinen Weg.
Frage: Halten Sie viel Kontakt zu Ihren ehemaligen Schützlingen?
Elgert: Ja, aber ich möchte mich nicht in der Popularität der Jungs sonnen und ihnen ständig auf den Geist gehen. Ich melde mich, wenn etwas Besonderes ist. Mit Manuel Neuer habe ich zum Beispiel telefoniert und geschrieben, als er zuletzt die schwere Verletzung hatte, um ihm Mut zuzusprechen. Aber zum Beispiel auch Vitalie Becker, der kürzlich ja sein erstes Tor für unsere Profimannschaft geschossen hat.
Frage: Wie bereiten Sie die Spieler mental auf die große Aufgabe Schalke vor?
Elgert: Das hängt alles miteinander zusammen, da würde ich gerne etwas ausholen. Zum einen braucht man als Talent eine gute Technik, der Ball muss dir und deinen Füßen gehorchen. Zweitens ein gutes Spielverständnis. Weil das Spiel immer schneller wird, muss man das Spiel noch besser und schneller lesen und verstehen, da Raum- Gegner- und Zeitdruck immer höher werden. Drittens eine gute Athletik. Du musst topfit sein, brauchst Kraft und vor allen Dingen Tempo und Geschwindigkeit. Über die Grundtugenden, ebenfalls ein Punkt, haben wir schon gesprochen. Dann kommt die von Ihnen angesprochene mentale Stärke. Das heißt für mich: gut zu sein, wenn’s drauf ankommt. Und da sind wir schon etwas stolz drauf: Dass die Spieler aus der Knappenschmiede meistens eher für die Veltins-Arena bereit waren als Spieler, die von einem anderen Klub zu den Profis kamen.
Frage: Wie machen Sie das?
Elgert: Es gibt Spieler, die bringen diese Fähigkeit von vornherein mit, zum Beispiel Julian Draxler, Max Meyer, Sead Kolasinac. Die haben über diese Kulisse, über diesen Druck überhaupt nicht nachgedacht. Andere benötigen da mehr Unterstützung. Und deshalb unterscheide ich auch ganz klar zwischen den Begriffen „Trainer“ und „Coach“. Ich coache Menschen – und trainiere mit ihnen Fußball. Es geht beim mentalen Training um Körpersprache, um positives Kopfkino, dass man negative Gedanken ausschaltet. Wenn ich auf dem Platz anfange, zu grübeln und an mir zu zweifeln, habe ich schon verloren. Und vor allem: Wie man mit sich selbst redet. Mein Credo ist: Wenn keiner mit dir positiv spricht, dann tue es doch bitte selbst.
Frage: Es heißt häufig, die Elgert-Schule sei sehr hart …
Elgert: Hart nicht, sondern konsequent. Die Jungs sind empfindlicher geworden, dem habe ich mich angepasst. Wenn ich Feedback gebe, muss ich den Menschen erst öffnen, indem ich seine Stärken vorausschicke. Dann kann man über Schwächen sprechen, die sie unbedingt verbessern müssen. Ich sage den Jungs die Dinge, die sie hören müssen, nicht die, die sie hören wollen. Da gibt es kein Wischiwaschi, aber immer respektvoll und niemals von oben herab. Heute erklärt man als Trainer deutlich mehr als früher.
Frage: Wie konkret war Ihr Gedanke, 2026 aufzuhören? So hatten Sie es ja angekündigt, bis Schalke bei der Mitgliederversammlung stolz verkündete, dass Sie bis 2027 weitermachen.
Elgert: Das war sehr konkret, sonst hätte ich es nicht in die Welt gesetzt. Es gab mehrere Faktoren, warum ich weitermache: Zum einen war meine Familie sehr dafür und hat mich in dem Gedanken sehr unterstützt. Zum anderen die Vereinsführung: Frank Baumann, ein Glücksfall für Schalke, steht auch voll hinter mir. Aber ganz entscheidend: meine Spieler, die mir trotz des großen Altersunterschiedes noch vertrauen. Und: Spieler kommen auch zu uns, weil ich noch da bin.
Frage: Wie meinen Sie das?
Elgert: Dass es Spieler gibt, die jetzt zu uns in die Jugend kommen oder bei uns bleiben, die es zur Bedingung gemacht haben, dass ich bleibe. Da bin ich bei aller Bescheidenheit schon ein wenig stolz drauf. Das Feuer in mir brennt noch gewaltig.
Frage: Ist im Sommer 2027 endgültig Schluss?
Elgert: So eine Frist setze ich mir so schnell nicht noch einmal.
Frage: Was haben Sie nach Ihrer Trainerkarriere vor?
Elgert: Ich glaube, dass mir der Bereich Coaching, Mentoring und Talentmanagement schon sehr liegt. Das möchte ich als eine Art Berater weitergeben. Und wenn wir gegenseitig wollen, gerne auch weiterhin hier.
Frage: Wie ist Ihr Austausch mit Cheftrainer Miron Muslic?
Elgert: Gut, von Anfang an respektvoll und wertschätzend. Ich halte Miron für einen richtig guten Trainer, weil er – da sind wir wieder bei dem Thema – nicht nur Trainer, sondern auch Coach ist. Er hat eine klare Spielidee, ein großes Durchsetzungsvermögen, und Einstellung ist bei ihm genau wie bei mir nicht verhandelbar. Aber er nimmt seine Jungs auch mal liebevoll in den Arm. Ich sehe da viele Parallelen zwischen ihm und mir.
Frage: Was trauen Sie ihm in seiner Karriere zu?
Elgert: Er ist auf einem richtig guten Weg und wird sicherlich auch das Interesse anderer Vereine wecken. Ich glaube aber, dass es für ihn viel Sinn ergibt, wenn er noch ein paar Jahre hierbleibt. Denn: Auch Schalke ist ein großer Klub. Ich sage meinen Spielern auch immer wieder: Du musst hier nicht schnell weg. Wir sind immer noch einer der größten Vereine der Welt.
Frage: War Ihr Kontakt zu den Cheftrainern immer so gut?
Elgert: Unterschiedlich. Was für mich aber auch nicht immer entscheidend ist.
Frage: Inwiefern?
Elgert: Der Cheftrainer muss Spiele gewinnen. Ich bin Spezialist für die Ausbildung zum Profi. Darauf konzentriere ich mich schon seit 30 Jahren. Es ist für mich von größter Bedeutung, dass man mir, meiner Erfahrung und meiner Expertise da voll vertraut.
Frage: Häufig soll es um den richtigen Zeitpunkt gegangen sein, wann die Talente den Sprung zu den Profis machen.
Elgert: Das meine ich: Das können die Cheftrainer gar nicht wissen. Und natürlich gab es da andere Meinungen. Ich weiß ja, worauf Sie hinauswollen.
Frage: Wegen Assan Ouédraogo soll es geknirscht haben.
Elgert: Ich habe damals gesagt: „Lasst ihn mir noch ein paar Monate hier, weil er ganzheitlich noch nicht so weit ist!“ Leider hat sich das ja auch extrem bewahrheitet.
Frage: Er wurde hochgezogen und hatte dann mit vielen Verletzungen zu kämpfen.
Elgert: Ich hätte es ja viel lieber anders gehabt, sonst würde ich es mit den Spielern ja nicht ehrlich meinen. Bei Zaid Tchibara war es ähnlich, auch da habe ich gesagt, dass er besser noch zwei Monate bei mir bleibt. Auch er hat sich dann bei den Profis schnell schwer verletzt. Eines möchte ich dazu aber klar sagen.
Frage: Bitte.
Elgert: Ich habe bei vielen Spielern auch proaktiv gesagt: Es ist so weit! Bei Leroy Sané zum Beispiel, der auch vorzeitig hochgerückt ist, habe ich keinerlei Veto eingelegt. Bei Taylan Bulut habe ich sogar empfohlen, ihn frühzeitig in den Profikader aufzunehmen. Ich erwarte einfach, dass man mir da vertraut.
Frage: Wie reagieren Sie, wenn Sie – wie bei Ouédraogo – überstimmt werden?
Elgert: Es geht ja nicht um mich, sondern nur um die Spieler und ihre Zukunft. Sie müssen verstehen, ich arbeite nicht für meine persönlichen Ergebnisse, sondern für Menschen. Und die Spieler müssen so vorbereitet sein, dass sie bei den Profis eine positive Rolle spielen können. Ein zu frühes Hochziehen verkürzt nun einmal die Ausbildungszeit. Nur ein starkes Fundament sorgt für die nötige Stabilität.
Frage: Ist der Kampf um die Talente in den vergangenen Jahren schwieriger geworden?
Elgert: Das ist so, ja. Es gibt Jugendspieler, die verdienen schon 30.000 Euro und mehr im Monat. Da gehen wir bei uns nicht ansatzweise mit. Wenn du nicht total klar im Kopf bist, tötet Geld die Motivation. Viele Jugend-Akademien sind vom Feinsten eingerichtet. Das ist okay, obwohl ich der Meinung bin, dass Einstellung auf jeden Fall Einrichtung und zu viel Komfort schlägt. Es ist nicht einfach, im Paradies hungrig und gierig zu bleiben. Andere Vereine zahlen mittlerweile Unsummen an Handgeldern für die Berater und Eltern. Wir waren zuletzt auch an Spielern dran, die sich dann gegen uns entschieden haben. Als ich gehört habe, wohin er stattdessen wechselt, wusste ich sofort Bescheid. Bei solchen Entscheidungen wird oft vergessen, dass die Spieler hier wahrscheinlich viel eher Profi werden können.
Frage: Zum Abschluss: Ihre beste Anekdote aus 30 Jahren Schalke-Schleifer.
Elgert: Wir bestritten 2015 das Endspiel um die A-Junioren-Meisterschaft gegen Hoffenheim. Vor 12.500 Zuschauern in Wattenscheid. Das Spiel des Jahres für uns. Leroy Sané war schon Teil der Profimannschaft, aber ab und zu auch noch bei uns. Die Saison der Profis war beendet, ich wollte Leroy unbedingt aufstellen. Also habe ich Roberto Di Matteo (damaliger Cheftrainer; d. Red.) am Vortag angerufen und ihn gefragt, ob er etwas dagegen habe. Er sagte nach langer Diskussion: „Aber nur eine Halbzeit!“ Als Leroy deshalb nicht in der Startelf stand, wurde ich für verrückt erklärt. Von außen betrachtet: völlig zu Recht. Nach fünf Minuten sind wir in Rückstand geraten – und da war mir plötzlich alles egal. Ich rief Leroy zu: „Mach dich warm!“ Es ging ein Raunen durchs Stadion. Nach 35 Minuten habe ich ihn eingewechselt. Am Ende haben wir 3:1 gewonnen.
Frage: Wie war die Reaktion von Di Matteo?
Elgert: Es gab keine. Er wurde am Tag unseres Spiels von den Verantwortlichen entlassen.
Der Text wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, SPORT BILD, BILD) erstellt und zuerst in SPORT BILD veröffentlicht.
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