Als elf tapfere Fußballzwerge den FC Bayern zum Meister machten
Vor 25 Jahren steht Bayer Leverkusen direkt vor dem Gewinn der ersten deutschen Fußballmeisterschaft. Ein Punkt beim Aufsteiger aus Unterhaching - und der Titel ginge an Christoph Daum und seine Männer. Doch am Ende jubeln wieder einmal die Bayern und der stichelnde Uli Hoeneß.
"Können elf tapfere Fußballzwerge aus Unterhaching die Riesen aus Leverkusen stoppen? Eigentlich nein", orakelte eine große deutsche Sportillustrierte zum Ende der Saison 1999/2000 und sprach dann aber doch von der "goldenen, quälenden Ungewissheit". Und schließlich lagen sie richtig. Denn wie sagte einst Sepp Herberger schon so treffend: "Die Leute gehen zum Fußball, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht."
12:1 hatten die Bayer-Profis noch am Sonntag vor der alles entscheidenden Partie am 34. Spieltag bei der Spielvereinigung Unterhaching gewonnen - allerdings nur gegen eine Truppe von Sparkassen-Angestellten bei einem Spaß-Spiel. "Routine-Aktionismus" hatten sie in Leverkusen in der letzten Woche vor dem Bundesliga-Finale ausgerufen. Alles sollte so normal wie möglich weitergehen. Denn dass sie so kurz vor Ende der Spielzeit an diesem Punkt angekommen waren, hatte man noch Wochen vorher nicht unbedingt erwarten können. Und so hatte Manager Reiner Calmund nach dem 25. Spieltag und einem 9:1 beim SSV Ulm 1846 auf dem zweiten Tabellenplatz stehend gemeint: "Ich unterschreibe sofort einen Vertrag, der uns garantiert, dass wir in den nächsten fünf Jahren immer Zweiter werden."
Bloß nicht verlieren - aber dann ...
Davon wollte er am 20. Mai vor 25 Jahren natürlich nichts mehr wissen. Denn Bayer Leverkusen hatte zu diesem Zeitpunkt drei Punkte Vorsprung auf den FC Bayern. Einziger Wermutstropfen: Der Rekordmeister hatte eine etwas bessere Tordifferenz als die Werkself. Und damit war vor den Spielen der Leverkusener in Unterhaching und der Bayern zu Hause gegen Bremen klar: Bayer 04 durfte nur nicht verlieren, um endlich einmal Deutscher Fußballmeister zu werden. Und die Chancen standen nicht schlecht. Denn der Aufsteiger aus Bayern hatte sich bereits vorzeitig und erfolgreich aus dem Abstiegskampf verabschiedet. Dass die Spielvereinigung dabei eher Hausmannkost statt Spektakel bot, hatte ihr Trainer Lorenz-Günther Köstner mit einem denkwürdigen Spruch gerechtfertigt: "Was bringt es, zehn nackte Mädels am Mittelkreis tanzen zu lassen, wenn man die Hucke voll kriegt?"
Für ein schönes Zitat war damals auch der Coach von Bayer Leverkusen, Christoph Daum, immer zu haben. Schon vor der Saison hatte Daum - nach zwei zweiten Plätzen und einem dritten in den vergangenen drei Spielzeiten - gewohnt vollmundig verkündet: "Wenn wir am Ende Dritter werden, war es ein verlorenes Jahr." Daum hatte den Verein in den letzten Spielzeiten immer weiter nach vorne gebracht. Mit Vorliebe erzählte er die Geschichte von seinem Ausflug nach Hongkong. Mitten in einem kleinen Restaurant in einer Seitenstraße der asiatischen Metropole hatten ihm zwei Chinesen zaghaft auf die Schulter getippt und neugierig gefragt: "Sie sind Trainer von Bayer Leverkusen, ja?" Daum bezeichnete dieses überraschende Treffen "als Quantensprung für den Klub".
Und nun wollte er nach einer fantastischen Rückrunde diese Saison 1999/2000 endlich mit dem in Leverkusen schon so lange ersehnten Meistertitel krönen. Die Chancen standen nie besser, denn Bayer reichte in Unterhaching bereits ein Unentschieden, um die Schale ins Rheinland zu holen. Doch Christoph Daum wäre nicht dieser große Motivationsguru gewesen, hätte er nicht auch für diese spezielle Situation das passende Sprachbild gleich parat gehabt. Gewohnt eloquent brachte er den Sachverhalt auf den Punkt: "Für so ein Ding muss ein Rädchen ins nächste greifen. Alle müssen hochkonzentriert sein. Das ist wie bei der NASA. Die haben schon zig Raketen in den Himmel geschickt. Aber vor jedem Start arbeiten alle so konzentriert, als wäre es das erste Mal."
"Der Daum wird in 100 Jahren nicht vor uns Meister sein!"
Doch in München bei den Bayern hatte sich die Stimmung in der Woche vor dem alles entscheidenden Samstagnachmittag von Tag zu Tag immer weiter aufgehellt. Nach dem klaren Pokalerfolg eine Woche zuvor im Finale gegen Werder Bremen hatte besonders der deutliche 3:0-Sieg in Bielefeld noch einmal alle Sinne geschärft und die Hoffnung zurückgebracht. Schließlich hatten die Bayern ja auch bis zum 26. Spieltag lange Zeit unangefochten von der Tabellenspitze gegrüßt. Da war es durchaus verständlich, dass Manager Uli Hoeneß das Selbstbewusstsein seines Klubs offensiv nach außen hin zeigte: "Platz eins ist für uns reserviert!" Und um die überraschend starken und beständigen Leverkusener und ihren Trainer direkt anzugreifen, meinte er noch: "Der Daum wird in 100 Jahren nicht vor uns Meister sein!"
Und während nur noch sechs Kapitäne der Bundesliga-Klubs vor dem letzten Spieltag auf die Bayern setzten, motivierten sich die Profis des Rekordmeisters auf ihre Weise für diesen letzten Samstagnachmittag einer langen Saison: Sie gingen gemeinsam einen trinken. Unterstützt von ihrem fest an den Titel glaubenden Coach Ottmar Hitzfeld und einem gewohnt angriffslustigen Uli Hoeneß ("Ich habe den Daum wochenlang ziemlich cool gesehen. Aber jetzt finde ich ihn ziemlich nervös") gingen sie schließlich am Samstag, den 20. Mai 2000, um 15.30 Uhr äußerst engagiert in die Partie gegen Werder Bremen. Und so führten die Bayern nach einer knappen Viertelstunde vor 63.000 Zuschauern im ausverkauften Olympiastadion bereits mit 3:0.
"Die hatten voll den Zitteraal!"
Nur 25 Kilometer weiter hatten die Bayer-Akteure vor 11.300 Besuchern in Unterhaching gerade erst die bayerische Blaskapelle der Ohlstädter Gebirgsschützen verdaut, als das Unglück in der zwanzigsten Minute seinen Lauf nahm. Schon von Anfang an hatten die Profis der Spielvereinigung Unterhaching gemerkt, dass die Spieler von Bayer Leverkusen irgendwie nicht richtig auf dem Platz waren. Der 26-jährige Stürmer der Spielvereinigung André Breitenreiter drückte es so aus: "Die hatten voll den Zitteraal!"
Und tatsächlich: Sichtlich nervös schleppten sich die Leverkusener übers Feld - und dann passierte es nach genau zwanzig Spielminuten: Eine Flanke des Hachingers Danny Schwarz segelte in den Strafraum der Leverkusener, Michael Ballack versuchte zu klären, schoss den Ball jedoch mit dem linken Fuß ins eigene Tor. Noch waren siebzig Minuten Zeit, doch Bayer kam an diesem Nachmittag nicht mehr auf die Beine. Und als Markus Oberleitner in der 72. Spielminute zum 2:0-Endstand traf, jubelte ganz München.
"Deshalb kommen die Leute ins Stadion"
Hinterher war Bayern-Manager Uli Hoeneß nicht nur erfreut über den - trotz aller selbstbewussten Attacken vorweg - doch recht unerwarteten Gewinn der Meisterschaft, sondern er wagte auch den Blick über den eigenen Tellerrand hinaus. Schließlich hatte dieses grandiose Finale ganz Fußball-Deutschland elektrisiert. Und so meinte er, ähnlich wie Sepp Herberger viele Jahre vor ihm: "Es sind die Sensationen, die Überraschungen. Deshalb kommen die Leute ins Stadion. Die Bundesliga lebt davon, dass man vorher wirklich nie weiß, wie es ausgeht."
Und auch Bayer-Manager Reiner Calmund konnte mit ein wenig Abstand dem spektakulären Bundesliga-Höhepunkt am 34. Spieltag schon wieder etwas Positives abgewinnen. Erstaunlich war aber auch Calmunds Weitsicht in seinen Worten: "Dieses Final war eine weltweite Werbung für die Marke Bundesliga. Und die wird in der nächsten Saison noch spannender. Schalke kriegt Aufwind mit der neuen tollen Arena." Nur zwölf Monate später sollte Calmund Recht behalten. Und wieder einmal hatten die Bayern gegen den "Meister der Herzen", den FC Schalke 04, das glücklichere Ende für sich im Fotofinish.
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