„Ich hatte Glück, dass mein Schädel gebrochen war“
Die Nachricht war ein Schock – weit über die Grenzen von Österreich hinaus. Nachdem Guido Burgstaller im vergangenen Dezember mit Kollegen im Wiener Volksgarten unterwegs war, wurde er auf offener Straße angegriffen, bekam einen Schlag ins Gesicht, prallte bewusstlos zu Boden auf. Sein Verein, Rapid Wien, erhielt von den Ärzten die Meldung: Der Zustand sei kritisch. Was nichts anderes hieß als: Es geht um Leben und Tod. Nun steht der 36 Jahre alte Stürmer wieder auf dem Platz.
Frage: Herr Burgstaller, hat sich die Bedeutung von Glück für Sie in den vergangenen Monaten verändert?
Guido Burgstaller: Der Begriff „Glück“ hat sich für mich verstärkt. Und ich denke deutlich häufiger darüber nach. Als Fußballer sagt man oft, dass man gesund bleiben möchte. Aber das sind am Ende Floskeln. Wenn einem dann so etwas wie mir passiert und es so sehr in die andere Richtung hätte ausschlagen können, macht das etwas mit dir. Zumal ich immer wieder an den Vorfall erinnert werde.
Frage: Wann und wie?
Burgstaller: Mein Körper zeigt mir immer wieder Symptome, vor allem nach anstrengenden Trainingseinheiten. Dann wird mir häufig schwindelig. Teilweise in der Kabine, teilweise wenn ich mich zu Hause auf das Sofa lege. Mir wird teilweise immer noch schwarz vor Augen. Ich spüre einfach, dass der Körper arbeitet und dass die Zellen noch nicht wieder ganz gesund sind. Auch wenn es von Woche zu Woche besser wird.
Frage: Sie haben nur vier Monate nach dem Angriff Ihr Comeback gegeben.
Burgstaller: Das Ziel, wieder auf dem Platz zu stehen, hat mich angetrieben. Und es hat den Heilungsprozess vielleicht sogar beschleunigt. Im Nachhinein muss ich aber sagen, dass ich mir doch mehr Zeit hätte geben sollen, da die Reaktionen anfangs doch ziemlich heftig waren.
Frage: Sie wurden damals sofort in die Notaufnahme gebracht, verbrachten dort mehrere Wochen. Was ist der erste Moment, an den Sie sich wieder erinnern können?
Burgstaller: Ich war nach dem Aufprall immer wieder weggetreten, diese Momente sind wie gelöscht in meinem Kopf. Das haben die Ärzte mir erzählt. Was ich wieder genau weiß, ist, wie meine Familie und meine Freundin an meinem Krankenbett standen und mir erklärt haben, was passiert ist. Das war einige Tage nach dem Vorfall. Bis dahin wusste ich überhaupt nicht, was mit mir geschehen ist.
Frage: Was ist Ihnen in dem Moment durch den Kopf gegangen?
Burgstaller: Du kannst es gar nicht fassen, du schiebst es von dir weg. Ich habe in dem Moment einfach nur gehofft, dass die Blutungen in meinem Kopf nicht schlimmer werden. Dann wäre es nämlich wirklich kritisch geworden. Alle paar Stunden wurde ein CT gemacht, um das zu überprüfen. Ich konnte nur abwarten und beten.
Frage: Obwohl Ihr Schädel gebrochen war, mussten Sie nicht operiert werden.
Burgstaller: Genau. Weil die Blutungen dann zum Glück rückläufig waren. Ich hatte das große Glück, dass mein Schädel gebrochen war. Das hat mich gerettet. Denn das Gehirn schwillt nach so einem Aufprall stark an und benötigt mehr Platz. Durch den Riss in der Schädeldecke war das gegeben. Andernfalls hätten die Ärzte meinen Kopf aufbohren müssen, um den Druck abzusenken.
Frage: Der Vorfall wurde per Videoüberwachung aufgenommen. Haben Sie sich die Bilder im Nachhinein angeschaut?
Burgstaller: Ja, ich musste bei der Polizei aussagen, und da wurde es mir gezeigt. Ich habe es mir sogar mehrfach angeschaut, weil ich mich weiterhin nicht erinnern kann, was genau passiert ist. Und ich muss sagen: Ich war froh, als ich es gesehen habe.
Frage: Warum froh?
Burgstaller: Mir wurde bis dahin immer nur erzählt, dass mich keine Schuld an dem Vorfall traf. Aber ich wusste es eben nicht. Ich habe es dann auf den Bildern gesehen, dass ich total zurückhaltend war, die Hände in den Hosentaschen hatte. Das war schon eine kleine Erleichterung, dass ich in dieser Ausnahmesituation nicht falsch reagiert habe.
Frage: Was war die einschneidendste Situation für Sie im Nachgang?
Burgstaller: Wenn du siehst, wie deine Angehörigen am Bett stehen und ohne Ende traurig sind und einfach nur Angst um dich haben, ist das ein schlimmes Gefühl. Das hat mich am meisten bedrückt: Dass es ihnen so schlecht ging meinetwegen.
Frage: Sie können seit dem Vorfall nicht mehr riechen und schmecken ...
Burgstaller: Am Anfang habe ich das fast überhaupt nicht gemerkt, weil meine Gedanken ganz woanders lagen. Erst in den Wochen danach wurde mir das bewusst. Bei ganz alltäglichen Dingen: Wenn du durch den Wald läufst und die Natur nicht riechen kannst. Oder den Geruch von Menschen nicht mehr wahr nimmst.
Frage: Wie ist es mit dem Schmecken?
Burgstaller: Ich merke schon, wenn Dinge sehr scharf, sauer oder süß sind. Aber den exakten Geschmack erkenne ich nicht. Ich könnte also nicht sagen, ob ein Gericht zu stark gesalzen ist oder zu viele Tomaten in der Sauce sind. Ich esse derzeit eher nach Konsistenz.
Frage: Kann man diese Sinne trainieren, damit sie zurückkommen?
Burgstaller: Der Neurologe gab mir Öle, an denen ich immer wieder rieche. Eukalyptus, Basilikum, Lavendel. Damit das Gehirn diese Reize vielleicht wieder aufnehmen kann. Bis jetzt ist es aber immer noch der Stand nach dem Unfall. Der Arzt sagte mir, dass es bis zu einem Jahr dauern kann, bis die Sinne zurückkommen. Bis dahin hoffe ich.
Frage: Und wenn bis dahin nichts passiert?
Burgstaller: Dann wird es wahrscheinlich lebenslang so bleiben. Aber ich möchte mich nicht beklagen. Es hätte alles noch viel schlimmer kommen können.
Frage: Bestand Lebensgefahr?
Burgstaller: Die ersten 24 bis 48 Stunden schon, ja.
Frage: Der Täter erhielt eine Strafe von 16 Monaten auf Bewährung. Genug aus Ihrer Sicht?
Burgstaller: Ich möchte über ihn nicht sprechen. Das ist für mich abgehakt.
Frage: Wie war der Moment, als Sie das erste Mal wieder in die Kabine kamen?
Burgstaller: Das war so anderthalb Monate nach dem Unfall. Ich habe vorher nichts gesagt, es war eine Überraschung. Die Kollegen haben mich in den Arm genommen und haben mir Mut zugesprochen, das war ein toller Moment.
Frage: Flossen Tränen?
Burgstaller: In solchen Momenten bin ich eher der abgezockte Stürmer. Ich bin nicht gefühlskalt, und so etwas nimmt schon auch mit. Aber ich bin der Typ, der das im stillen Kämmerlein mit sich ausmacht.
Frage: Wie begann Ihr Weg zurück auf den Platz?
Burgstaller: Mit fünf Minuten auf dem Rad. Dann zehn Minuten. Dann fünfzehn. Das waren ganz kleine Schritte. Zwischendurch wurden immer wieder MRT-Aufnahmen von meinem Kopf gemacht, um zu kontrollieren, ob weiterhin alles in Ordnung ist. Und ich musste immer wieder Gehirnübungen machen.
Frage: Wie sahen die aus?
Burgstaller: Man muss sich einfach Dinge merken können. Begriffe oder Formen. Um zu schauen, ob der Kopf das aufnehmen und behalten kann. Das klappte zum Glück sehr gut.
Frage: Wann haben Sie das erste Mal wieder gegen einen Ball getreten?
Burgstaller: Im Kraftraum. Da habe ich mit den Physios einfach nur zwei, drei Pässe gespielt. Nur über wenige Meter. Es war ein wunderbares Gefühl, den Ball wieder zu spüren. Es war einfach ganz anders als bei vorangegangenen Verletzungen, wie zum Beispiel meinem Außenbandriss. Da wurde ich irgendwann ungeduldig und wollte einfach nur noch auf den Platz. In dieser Phase zuletzt habe ich mich aber einfach über jede Einheit im Kraftraum gefreut und habe es genossen.
Frage: Wie haben die Mitspieler Sie unterstützt?
Burgstaller: Ich wollte alles – nur keine Extra-Behandlung. Ich wollte keine Streicheleinheiten. Und auch keine Reden, wie schön es ist, dass ich wieder da bin. Ich wollte einfach nur Burgi sein.
Frage: Welches war der schönste Moment in den vergangenen Monaten?
Burgstaller: Als ich zum ersten Mal wieder im Stadion war. Da stand ich vor dem Anpfiff auf dem Rasen, die Fans haben mich gefeiert. Das war sehr emotional.
Frage: Sie haben sich nun entschieden, Ihre Karriere im Sommer zu beenden. Hätten Sie ohne den Unfall weitergemacht?
Burgstaller: Nein, ich glaube nicht. Ich habe ja schon im vergangenen Sommer überlegt aufzuhören. Mir war es nun einfach wichtig, dass ich selbst die Entscheidung treffe. Und keiner mir nahelegt, die Schuhe an den Nagel zu hängen. Das habe ich damit geschafft.
Frage: Hinter Ihnen liegt eine lange Karriere. Was war die prägendste Zeit?
Burgstaller: Als ich in Cardiff gespielt habe. Da habe ich gespürt, wie hart das Fußball-Business auch sein kann. Ich habe nur fünf Spiele gemacht, habe die Sprache nicht richtig verstanden. In Wales spricht man ja kein reines Englisch, das ist schon ein krasser Dialekt. Ich hatte überhaupt keinen Zugang zur Mannschaft, wurde in die dritte Trainingsgruppe abgeschoben. Das war eine harte Zeit, die mir als Mensch aber sehr viel gebracht hat. Weil ich abgehärtet wurde. Und ich gelernt habe, mit einem Rückschlag umzugehen. Das hat mir zuletzt dann sehr geholfen, dass man sich in schwierigen Zeiten über Kleinigkeiten freuen muss.
Frage: Verfolgen Sie Ihren Ex-Klub Schalke noch?
Burgstaller: Wir gucken hier sehr viel die 2. Bundesliga. Mit Louis Schaub haben wir ja auch einen Ex-Kölner. Wenn wir im Bus unterwegs sind, schauen wir uns Spiele an und debattieren darüber. Über Schalke lässt sich nur sagen: Es ist unheimlich bitter, was dort passiert. Es ist einfach schade, dass diese unglaublichen Fans nicht belohnt werden. Sie haben sich wirklich einen Neustart verdient.
Frage: Sie haben 2020 mit dem Wechsel zum FC St. Pauli den Absprung zur richtigen Zeit auf Schalke geschafft – ein Jahr vor der katastrophalen Abstiegssaison.
Burgstaller: Ich habe damals schon gefühlt und gewusst, dass es so passieren wird. Wir hatten in der Vorsaison bereits eine Serie gehabt mit vielen sieglosen Spielen. Man hat gemerkt, dass die Stimmung, die Einstellung der Mannschaft nicht gut war. Und dass es so nicht funktionieren wird. Für mich gilt aber: Es war eine wunderschöne Zeit auf Schalke. Mit der Vizemeisterschaft und der Champions League. Ich habe es dann einfach schade gefunden, dass Domenico Tedesco entlassen wurde. Er war der perfekte Trainer für Schalke.
Frage: Was haben Sie nach Ihrer Karriere nun vor?
Burgstaller: Ich habe ein Projekt ins Leben gerufen, „Bande mit Herz“. Das unterstützt vor allem benachteiligte Kinder. Ich möchte meinem Körper zudem einfach mal eine Auszeit gönnen. Er soll eine Chance bekommen zu regenerieren nach zwanzig Jahren Profifußball. Und danach möchte ich auf jeden Fall im Fußball bleiben. Nicht als Cheftrainer, das kann ich schon sagen. Diesen Stress möchte ich nicht haben. Aber als Assistent oder Jugend-Trainer kann ich mir das sehr gut vorstellen.
Das Interview wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, „Bild“, „Sport Bild“) erstellt und zuerst in der „Sport Bild“ veröffentlicht.
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