Im Aufgebot des Deutschen Turner-Bundes fehlen zahlreiche große Namen, die Aussichten für die Heim-EM sind nicht so rosig wie erhofft. Zumal über allem immer noch der Missbrauchsskandal im DTB liegt.

Eine Leistungsträgerin nach der anderen sagte ihre Teilnahme ab, das Medaillenpotenzial von Shootingstar Helen Kevric scheint völlig unklar - und im Hintergrund schwelt weiterhin der Missbrauchsskandal an den Bundesstützpunkten. Vor der am Montag beginnenden Heim-EM in Leipzig ist der Deutsche Turner-Bund (DTB) von unbeschwerter Euphorie weit entfernt.

"Es ist natürlich eine ganz besondere EM aus vielerlei Hinsicht", sagt DTB-Sportvorstand Thomas Gutekunst - eine EM, vor deren Beginn die Sorgen überwiegen. Da wäre zum einen die Absagenflut im Frauen-Team: Elisabeth Seitz, deutsche Rekordmeisterin, fehlt wegen einer Schulterverletzung. Pauline Schäfer-Betz, Weltmeisterin am Schwebebalken von 2017, wegen einer Hüft-OP. Und Emma Malewski, 2022 Europameisterin am Schwebebalken, verzichtet nach einer längeren Verletzungspause auf ihre Teilnahme an der EM, die bis Samstag läuft.

Die Hoffnungen ruhen deshalb vor allem auf der 17-jährigen Kevric. Die Schülerin glänzte bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris als Sechste am Stufenbarren und Achte im Mehrkampf, theoretisch macht sie das zur Medaillenanwärterin in Leipzig. Aber: Nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals im deutschen Turnen und den damit verbundenen Freistellungen von Übungsleitern am Stützpunkt in Stuttgart war lange nicht klar gewesen, ob Kevric es wegen ihres Trainingsrückstandes überhaupt zur EM schafft.

Auf Kevric angesprochen, zeigte sich Cheftrainer Gerben Wiersma optimistisch: "Sie macht es wirklich gut", berichtete er von seinen jüngsten Eindrücken von der 17-Jährigen, "was ich gesehen habe, war großartig." Die Ziele für sein fünfköpfiges Team hat Wiersma dennoch vorsichtig formuliert: Er hofft auf mindestens einen Finalplatz im Mehrkampf und in den Gerätefinals, dazu peilt er die Top Fünf im Team sowie das Mixed-Teamfinale an.

Krise ist "natürlich nicht überwunden"

Mit noch geringeren Zielvorgaben geht die sich im Umbruch befindliche Männerriege in den Wettkampf. Andreas Toba, Olympia-Held von 2016, beendet nach der EM seine Laufbahn. Cheftrainer Jens Milbradt nimmt im Mannschaftswettbewerb die Top Acht ins Visier, "zudem wollen wir im Mehrkampffinale als auch im Mixed Teamfinale vertreten sein", sagte er.

Sportvorstand Gutekunst setzt auf den Heimfaktor, "natürlich ist die eigene Erwartung groß, sich maximal gut präsentieren zu können", stellt er klar. Zumal die EM in das Deutsche Internationale Turnfest (28. Mai bis 1. Juni) eingebettet ist, die größte Wettkampf- und Breitensportveranstaltung der Welt, zu der Hunderttausende Besucher erwartet werden.

Aber dann ist da ja auch noch der Missbrauchsskandal, der das Event überschattet. Seit dem Jahreswechsel hatten erschütternde Berichte ehemaliger wie aktiver Spitzenturnerinnen über körperlichen und mentalen Missbrauch an den Stützpunkten in Stuttgart und Mannheim in der Vergangenheit den DTB in eine schwere Krise gestürzt.

Diese Krise sei "natürlich nicht überwunden", sagt Gutekunst und verweist auf die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, die auch den Untersuchungen der vom DTB beauftragten Kanzlei "ein bisschen den Takt" vorgäben. Gutekunst betont, dass der Verband die Thematik in Leipzig "nicht verschweigen" wolle. Dass der Sportvorstand in der Messestadt gerne auch über sportliche Erfolge sprechen würde, versteht sich von selbst.

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