Tuchel verzweifelt an seinen fürchterlich bocklosen Engländern
Lange Zeit hat England mit den Fußball-Amateuren aus Andorra viel mehr Mühe als gedacht. Dann grätscht Kapitän Kane den haushohen Favoriten kurz nach der Pause zum Sieg. Trainer Tuchel ist alles andere als begeistert und die Medien wüten.
In der 75. Minute wird sich der Puls von Thomas Tuchel kurz, aber deutlich beschleunigt haben. Der Andorraner Guillaume Silvain Lopez dribbelte sich durch das Mittelfeld bis in den englischen Strafraum. Er bekam es auf dem Weg nicht mit allzu viel Gegenwehr zu tun. Als er aber zum Schuss ansetzen wollte, blieb er am blockenden Bein von Abwehrspieler Ezri Konsa hängen. Andorra, der Fußball-Zwerg, hatte versucht, den Ausgleich zu erzielen. Mit 0:1 lagen die Gastgeber hinten. Dabei blieb es. England hatte die Mindestanforderung an dieses Spiel erfüllt.
Als richtige Chance ging der Versuch von Guillaume Silvain Lopez aber nicht durch. Tuchel konnte schnell wieder runterfahren, tat das aber nicht. Denn die Leistung seiner Mannschaft war schrecklich. Abermals. Der deutsche Trainer, der die englischen Löwen endlich aus dem jahrelang unter Gareth Southgate einigermaßen erfolgreich praktizierten Verwaltungsfußball heraus holen soll, musste erneut mit ansehen, wie seine Stars wenig Interesse daran zeigten, in Barcelona, wo dieses WM-Qualifikationsspiel stattfand, ein Statement zu setzen.
Englands Stars zeigen kaum Interesse
Der englische Löwe liegt weiter faul und satt in der Sonne, dabei ist doch die große Beutejagd längst ausgerufen. Im kommenden Jahr soll der WM-Titel her. Das hungrige England will endlich wieder feiern. 1966 hatte ihnen das Nationalteam den letzten großen Triumph geschenkt. Aber wie soll im Sommer 2026, dann 60 Jahre später, der nächste Coup gelingen, wenn die Protagonisten so uninspiriert kicken? England ist in dieser Lustlos-Verfassung kein Herausforderer für die spielfreudigen Spanier oder auch die Franzosen. Die Geduld mit dem Starensemble um Harry Kane und Jude Bellingham geht auch bei den treuen Fans zu Ende. Nach dem 1:0-Sieg gab es Pfiffe.
In der WM-Qualifikation ist zumindest in Zahlen alles bestens bei den Engländern. Dreimal traten sie an, dreimal gewannen sie. Im ersten Lehrgang unter Tuchel hatten sie bereits Lettland (3:0) und Albanien (2:0) geschlagen - allerdings ebenfalls wenig überzeugend. Dennoch: Mit neun Punkten sind sie Erster. Und das wollen sie natürlich bleiben, denn nur der Gruppensieger qualifiziert sich direkt für die WM.
Aber darum geht es in England nicht. England will diese Mannschaft wieder fühlen, will sie leben. Sie hat so viel Talent und produziert daraus so wenig Mitreißendes. Nicht alle Mannschaftsteile sind gleich stark besetzt, aber vor allem die Offensive beflügelt große Fantasien. Doch Tuchels Vorgänger Southgate bekam sie nie ins Rollen, vielleicht wollte er das auch gar nicht. Sein Beamtenfußball führte England meistens weit in Turnieren. Zweimal ins EM-Finale, beide Male waren die Löwen unterlegen. Tuchel soll das unbedingt ändern. Mit ihm waren erst Zweifel verbunden, weil er Deutscher ist. Aber auch große Hoffnungen, weil er einen Top-Ruf als Trainer hat.
Tuchel vermisst "die Ernsthaftigkeit"
Aber der Weg, den er zu gehen hat, ist offenbar deutlich länger, als er ihn sich selbst zurechtgelegt hatte. "Wir haben mit dem Feuer gespielt", sagte er und war dabei mächtig angefressen. Er vermisste "die Ernsthaftigkeit und Dringlichkeit, die es in einem WM-Qualifikationsspiel braucht", darüber müsse er mit den Spielern sprechen. Besonders die "letzten 20 Minuten haben mir Sorgen bereitet, weil mir unsere Einstellung am Ende des Spiels nicht gefallen hat. Mir gefiel die Körpersprache nicht. Es war nicht das, was der Anlass brauchte." Nur mit der Bereitschaft seiner Fußballer "in den ersten 25 Minuten" sei er zufrieden: "Das müssen wir Dienstag besser machen." Dann empfängt England den Senegal im Stadion von Nottingham Forest zu einem Test-Länderspiel. Es ist ein nicht unbekanntes Prinzip bei Tuchel: Wenn es nicht läuft, stellt er häufig sein Team an den Pranger.
In Barcelona hatte Tuchels Team phasenweise 90 Prozent Ballbesitz, konnte daraus aber fast nichts kreieren - gegen eine Elf von unterklassigen Kickern, darunter Pau Babot vom hessischen Fünftligisten Hanauer SC. Erst nach der Pause, in der 50. Minute, war Harry Kane mal zur Stelle. Der Stürmer des FC Bayern drückte den Ball aus kurzer Distanz im Rutschen über die Linie. Danach gab es noch weitere Chancen, aber keine Tore mehr. Es wirkte alles blutleer, desinteressiert, zäh, pomadig. "Es ist kein Spiel, an das sich viele erinnern werden. Wir hatten gute Phasen, nehmen die Punkte mit und machen weiter", sagte Kane beim Sender ITV.
"Als ob sich einige Spieler langweilten"
Besänftigen konnte der Sieg aber weder den Trainer, noch die Fans, die verärgert pfiffen, und erst recht nicht die heimischen Medien. "Kane verhindert eine Demütigung in einem furchtbaren Spiel", schimpfte der "Mirror". Die "Sun" ätzte: "Tuchel hat gewarnt, dass sich England darauf einstellen muss, im nächsten Sommer in der WM-Hitze zu leiden. Und jeder wird den Schmerz und die Langeweile auf dem Weg dorthin ertragen müssen." Und weiter hieß es: Das 1:0 sei für Englands Fußballer eines "der peinlichsten Ergebnisse ihrer Geschichte".
Was wäre erst los gewesen, wenn Guillaume Silvain Lopez nicht an Konsas Bein hängengeblieben wäre? "Das wäre die größte Blamage jemals gewesen", schrieb der "Mirror". Irlands früherer Kapitän Roy Keane sagte als Experte beim Sender ITV: "Es wirkte, als ob sich einige Spieler in der letzten halben Stunde langweilten. Sie sollten stattdessen mehr Tore schießen und den neuen Trainer beeindrucken." Sie taten das Gegenteil.
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