Botafogo aus Brasilien schockt das frustrierte Starensemble von Paris Saint-Germain bei der Klub-WM. Es ist nicht das erste Ausrufezeichen, das südamerikanische Mannschaften bei dem Turnier setzen. Das dürfte auch an einer anderen Einstellung zum Wettbewerb liegen - und der ewigen Rivalität zu Europa.

Ein hoher Ball segelt ins Niemandsland nahe der Mittellinie. Zunächst verspringt er dem Brasilianer Artur bei der Ballannahme, sofort stürzen sich zwei Pariser auf den Ball. Doch Artur setzt kämpferisch nach, spitzelt den Ball zu Mitspieler Gregore. Binnen Sekunden gelangt die Kugel über zwei weitere Stationen und einen genialen Pass zu Stürmer Igor Jesus. Er feuert den Ball aufs PSG-Tor, er wird abgefälscht - und ist drin. 1:0 für Botafogo.

Der Moment vor dem Sieg-Tor der Brasilianer ist ein Sinnbild für den gesamten Auftritt des Teams: motiviert, giftig, zielstrebig. "Sie haben es fantastisch gemacht", lobt Trainer Renato Paiva seine Mannschaft im Anschluss auf der Pressekonferenz. Und Luis Enrique, Trainer der Pariser, erkennt nach der Niederlage im Gespräch mit Reportern an: "Botafogo war die Mannschaft, die uns die ganze Saison über am besten verteidigt hat - sowohl in der Liga als auch in der Champions League."

Aus dem Mund des Trainers, der sich gerade erst mit einem berauschenden Sieg seiner Mannschaft über Inter Mailand (5:0) im Champions-League-Finale die Krone Europas aufgesetzt hat, sind das gewichtige Worte. Botafogos Sieg gegen einen der großen Titelfavoriten mag viele überraschen. Doch er ist nur die Fortsetzung dessen, was sich in den ersten fünf Tagen der reformierten Klub-WM schon abgezeichnet hat: Die südamerikanischen Teams können mit der Konkurrenz aus Europa absolut mithalten.

Das erste deutsch-südamerikanische Duell lieferte sich Borussia Dortmund gegen Fluminense, ebenfalls aus Brasilien. Zwar trennen sich beide in einem zähen Spiel torlos, doch der Klub aus Rio de Janeiro bringt den BVB an den Rand einer Niederlage. Nur Torhüter Gregor Kobel und der brasilianischen Ineffizienz vor dem Tor sind es zu verdanken, dass Dortmund zumindest einen Zähler einfahren kann. Der BVB kommt mit einem blauen Auge davon. Allerdings: Die Südamerikaner stecken mitten in der Saison, die Liga pausiert aktuell zugunsten der WM. Die Spieler des BVB dagegen befänden sich ohne Klub-WM gerade im Urlaub. BVB-Trainer Niko Kovač lässt das aber nicht als Ausrede gelten und betont: "Wir Europäer denken, dass der Fußball nur bei uns stattfindet, aber in Südamerika wird auch richtig guter Fußball gespielt." Bezogen auf die eigene Leistung fügt er an: "Wir können es besser, aber fürs erste Spiel kann ich zufrieden sein."

Es geht auch um Prestige

In der Nacht zu Samstag trifft der FC Bayern München auf den argentinischen Vertreter Boca Juniors. Das Team aus Buenos Aires hatte sich im hitzigen Auftaktspiel gegen Benfica Lissabon ebenfalls Anerkennung erkämpft. Auch wenn Boca eine 2:0-Führung verspielte, unter anderem wegen zweier Platzverweise gegen sich. "Zu sehen, wie Boca gegen eine europäische Mannschaft kämpft, ihr das Leben schwer macht, sie zerkratzt, trotz der Budget-Unterschiede und der individuellen Klasse auf Augenhöhe steht, ist beruhigend. Es lässt die Brust schwellen", schwärmt der argentinische Sender TyCSports anschließend.

Im Spiel gegen den deutschen Rekordmeister sehen viele Experten eine der attraktivsten Partien der gesamten Vorrunde. Zwei hochdekorierte Klubs mit vollen Pokal-Vitrinen und ruhmreicher Historie treffen aufeinander, die Klubs der inzwischen verstorbenen Fußball-Legenden Diego Maradona und Franz Beckenbauer. Es geht um den Einzug in die K.-o.-Runde des Turniers, doch es geht auch um Prestige - wie in jedem Duell zwischen Südamerika und Europa im Fußball.

2000 organisiert die FIFA erstmals eine offizielle Klub-WM, sie löst 2005 den Weltpokal endgültig ab. Beim Weltpokal trafen die Sieger des Europapokals der Landesmeister, später der Champions League, und der südamerikanischen Copa Libertadores aufeinander. Die Bilanz: 22 Mal gewann der Vertreter Südamerikas, 21 Mal die Mannschaft aus Europa. Seit es die Klub-WM der FIFA gibt, nehmen auch Mannschaften der übrigen Kontinente teil. Geändert an der Siegerstatistik hat das wenig: Nie gab es einen Sieger, der nicht aus Europa oder Südamerika kam. Für die WM der Nationen gilt das ohnehin.

Andere Einstellung zur Klub-WM als die Europäer

Weltstars und Spieler, die welche werden wollen, wechseln für gewöhnlich nach Europa. Nirgendwo ist die Leistungsdichte höher, nirgendwo ballen sich mehr Topligen und -teams. Seit Jahren spielen die mit Stars gespickten Mannschaften in inflationär gewordener Regelmäßigkeit gegeneinander. Der Blick durch die europäische Brille suggeriert, die Weltspitze befindet sich in Europa und nur in Europa.

Boca tritt erst zum vierten Mal überhaupt gegen den FC Bayern an. Laut Vereinshomepage der Münchner traf man sich vor 100 Jahren erstmals während einer Europatour der Argentinier. 1967 gab es ein Freundschaftsspiel (Boca gewann 1:0), 2001 machte Verteidiger Sammy Kuffour den FC Bayern schließlich mit seinem Tor zum Weltpokal-Sieger. Es ist das Duell zweier Monumente des Weltfußballs und eine echte, selten dargereichte Delikatesse.

Mit Achselzucken oder Desinteresse reagierten viele Fans hierzulande im Vorfeld auf die Klub-WM. Sie bringe das bis obenhin gefüllte Fass namens "Terminstress" außerdem endgültig zum Überlaufen, so auch die einhellige Meinung der europäischen Vereinsfunktionäre. Üppige Antritts- und Siegprämien ließen sie schließlich darüber hinwegsehen - der Sieger des Turniers wird die Heimreise mit mehr als 100 Millionen Euro Preisgeld heimfahren.

Über hohe Belastungen wegen einer Vielzahl von Spielen klagen sie zwar auch in Südamerika. Doch die Bewertung der Klub-WM unterscheidet sich von der europäischen. Die Lust auf Pflichtspiele gegen europäische Vereine und die Aussicht auf Anerkennung scheinen zu überwiegen, das machen auch die Reaktionen der Spieler von Botafogo deutlich. "Das ist eine unvergessliche Nacht", sagt Artur nach dem Spiel. "Daran werden wir uns für den Rest unseres Lebens erinnern." Und Kapitän Marlon Freitas sagt der brasilianischen Zeitung "Globo": "Es ist übernatürlich. Ich glaube, Botafogo hatte heute eine einprozentige Chance, dieses Spiel zu gewinnen. Aber ein Prozent ist für uns sehr viel."

Es ist so, als hätten die Südamerikaner lange darauf gewartet, zu zeigen, dass sie Europa im Vereinsfußball ebenbürtig sind. Und das auf einer größeren Bühne als bei den Klub-Weltmeisterschaften der Vergangenheit. Die bisherige Vorrunde des Turniers unterstreicht das.

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