Als "Boss" Rahn im Skandalspiel Fritz Walter die Meisterschaft wegschnappte
Vor siebzig Jahren traten in Hannover die Teams von Rot-Weiss Essen und dem 1. FC Kaiserslautern zum Endspiel um die Meisterschaft an. Es war auch das Duell zwischen Helmut Rahn und Fritz Walter. Doch ein anderer Akteur sollte durch sein drittes Tor für Tumulte sorgen.
"Die große Bahnhofshalle zitterte und bebte von Sprechchören, sie wurde von Spruchbändern beherrscht, die der Essener Mannschaft Siegesstimmung ausdrückte", schrieben die "Essener Stadtnachrichten" am Tag nach dem Finale um die Deutsche Fußballmeisterschaft 1955 zwischen dem 1. FC Kaiserslautern und Rot-Weiss Essen. Die Teilnahme am Endspiel in Hannover war damals der verdiente Lohn für die Mannschaft aus dem Ruhrgebiet, die schon zur Halbserie in der Oberliga West für die Endrunde planen konnte. Ungeschlagen standen die Männer um ihren Weltmeister-Helden Helmut "Boss" Rahn an der Tabellenspitze und begeisterten Fans und Fußball-Öffentlichkeit gleichermaßen.
Ein Jahr zuvor waren die Essener auf eine Amerika-Reise gegangen, die sie als "ausgezeichneter Botschafter für den deutschen Sport" ("Essener Allgemeine Zeitung") neun Wochen lang durch Länder wie Argentinien, Bolivien und die USA führte - und Begeisterung bei den (Süd-)Amerikanern weckte. Ein Vorstandsmitglied von Independiente sagte sogar: "Die Essener Elf ist die beste europäische Mannschaft, die in den letzten Jahren in Buenos Aires spielte. Das haben wir nicht erwartet. Die Deutschen waren besser als die Engländer und Spanier, die hier in den letzten Jahren antraten." Entsprechend frohen Mutes starteten die Männer aus dem Ruhrgebiet in die neue Saison - denn sie hatten ja auch noch zusätzlich den Schützen des entscheidenden WM-Tores von Bern in ihren Reihen.
"Pinnchen ziehen" ums rote Trikot
Doch Helmut Rahn, den über 100.000 Menschen nach dem Triumph bei der Weltmeisterschaft in der Schweiz zu Hause in Essen jubelnd empfangen hatten, musste erst einmal aussetzen. Wie so viele seiner Nationalmannschaftskollegen hatte er nach der WM unter einer Hepatitis zu leiden. Doch die Truppe um ihren Kapitän August Gottschalk und den Trainer Fritz Szepan, der mit dem FC Schalke 04 bereits als Spieler sechsmal deutscher Meister geworden war, legte eine fabelhafte Runde hin - und ließ die Teams aus Meiderich, Köln, Dortmund und Gelsenkirchen mit deutlichem Abstand hinter sich. Und auch die Qualifikation zum Endspiel im Niedersachsen-Stadion gelang ihnen ohne große Probleme.
Als sich beide Teams dann vor großer Kulisse in Hannover einfanden, musste erst einmal ein Problem gelöst werden, wie Helmut Rahn in seiner Autobiografie "Mein Hobby: Tore schießen" anschaulich beschrieb: "Die Frage, die sich in den Kabinen des Niedersachsen-Stadion erhob, lautete: Welche Mannschaft verzichtet auf ihr rotes Trikot? 'Da müssen wir Pinnchen ziehen', sagte August Gottschalk. Doch als wir den Kaiserslauterern diesen Vorschlag machten, verzichteten sie freiwillig auf ihre hergebrachte Kluft. 'Wir siegen auch in Blau', meinten sie. 'Und wenn nicht - ihr könnt ja nicht gut als Blau-Weiß Essen in die Fußballgeschichte eingehen." Diese Zuvorkommenheit der roten Teufel sollte sich jedoch im Laufe des Tages noch wandeln.
Penny Islacker schleppt sich zum Kopfballtorpedo
Doch erst einmal lieferten sich beide Teams bei brütender Hitze einen erbitterten Kampf um den Titel. Nachdem Rot-Weiss bereits zur Halbzeit, u.a. durch zwei Treffer von Franz Islacker, den alle nur "Penny" riefen, mit 3:1 führte, glich Kaiserslautern bis zur 72. Minute aus. Nun entwickelte sich ein Spiel auf Messerschneide. Beide Mannschaften ahnten, dass der nächste Treffer die Begegnung mit großer Sicherheit entscheiden würde. Und dann passierte es tatsächlich.
Penny Islacker, der sich um die siebzigste Minute herum verletzt hatte und nur noch mehr schlecht als recht über den Platz humpelte, hatte mit einem wahren Kopfballtorpedo dem früheren deutschen Meister aus Kaiserslautern sein drittes Tor an diesem Nachmittag und insgesamt den vierten Treffer für RWE eingeschenkt. Doch die roten Teufel wollten diesen späten Nackenschlag nicht akzeptieren. Allen voran protestierte der Weltmeister-Kapitän und verdiente Nationalspieler Fritz Walter bei Schiedsrichter Albert Meißner aus Nürnberg. Die Männer vom Betzenberg wollten eine Abseitsstellung erkannt haben. Doch Schiri Meißner entschied nach Rücksprache mit seinem Linienrichter endgültig auf Tor für Essen.
DFB-Präsident schafft es nicht durch wütende Menge
Eine Entscheidung, die der 1. FC Kaiserslautern auch nach Spielschluss nicht akzeptieren wollte. Noch auf dem Platz kam es zu Tumulten. Die Siegerehrung fand unter dem Gepfeife der Lauterer Fans statt - allerdings ohne DFB-Präsident Pecco Bauwens, der sich durch die wütende Menge einfach nicht durchkämpfen konnte. Der Protest der Lauterer, der direkt im Anschluss an das Spiel eingereicht wurde, wurde seitens des DFB abgewiesen. Rot-Weiss Essen und seine Anhänger feierten, doch ein Schatten lag über dem Triumph. Essens großer Präsident Georg Melches zeigte sich traurig, ob der Ereignisse: "Schade, dass unser, so glaube ich, verdienter Sieg in einem Zuschauertumult unterging und dieses würdige Endspiel einen so unschönen Abschluss fand."
Mit ein paar Tagen Abstand war jedoch allen klar: Dieser 26. Juni 1955, der Tag, an dem "Boss" Rahn seinem Weltmeister-Kapitän Fritz Walter die Schale wegschnappte, wird trotz des skandalösen Endes auf ewig einen Ehrenplatz in der Historie von Rot-Weiss Essen haben.
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