Der FC Bayern trifft im Achtelfinale der Klub-WM auf Flamengo Rio de Janeiro. Die Münchner dürften durch die bisherigen Leistungen der Brasilianer bei dem Turnier gewarnt sein. Die Rot-Schwarzen sind der größte Verein Brasiliens - und mehr als nur ein Fußballklub.

Als der DFB im Februar 2014 sein Auswärtstrikot für die anstehende WM in Brasilien vorstellt, sorgt er für einen Hingucker. Dem grünen Auswärtsdress zuvor, das bei der EM 2012 in Polen und der Ukraine gar nicht zum Einsatz gekommen war, weicht ein rot-schwarz gestreiftes Trikot. "Das bringt uns für die WM in Brasilien bestimmt Glück", sagt Mesut Özil, damals Regisseur im Mittelfeld der Nationalelf, nach der Vorstellung. Er wird recht behalten. Zweimal werden die Deutschen dieses Trikot im Turnier auf dem Weg zum Weltmeistertitel tragen. Im Vorrundenspiel gegen die USA (1:0) und bei der historischen 7:1-Demontage von Gastgeber Brasilien im WM-Halbfinale. Dass dieses Spiel ausgerechnet im Maracanã-Stadion stattfindet, dem Fußballtempel Brasiliens, schließt einen Kreis. Denn es ist die Heimspielstätte von Flamengo.

Das rot-schwarze Trikot der Nationalmannschaft ist dem des Vereins aus Rio de Janeiro nachempfunden. Der DFB bewirbt es als "dein Trikot für Rio." Im Land des WM-Gastgebers wird es zum Verkaufsrenner, bereits vor dem Start des Turniers ist es in vielen Fanshops ausverkauft. Der Marketing-Schachzug des DFB und Ausrüster Adidas geht auf. Flamengo gilt als wohl beliebtester Verein Brasiliens, die Ähnlichkeit zur Spielkleidung des brasilianischen Kultklubs mobilisiert viele einheimische Fans. Die Wahl des Trikotdesigns vom DFB ist die Stoff-gewordene Anerkennung des Mythos Flamengo Rio de Janeiro.

Fast 50 Millionen Fans habe der Klub inzwischen, wie die FIFA auf ihrer Website schreibt. Damit ist der Klub weltweit vorn mit dabei. Flamengo haftet ein Image als volksnaher Verein an, als Klub für sozial Benachteiligte. Und von denen gibt es in Brasilien viele, einem Land, wo die Schere zwischen Arm und Reich am Anschlag ist. "Flamengo hat die meisten Anhänger unter Schwarzen, Armen und Ureinwohnern", sagt der brasilianische Sportjournalist Breiller Pires dem "Spiegel" 2019. Viele von ihnen können sich den Stadionbesuch heute nicht mehr leisten, spätestens seit der WM 2014. "Das Maracanã hat sich wegen der hohen Eintrittspreise zu einem Elite-Stadion entwickelt", sagt Flamengo-Fan Rubens der "Deutschen Welle" 2022. Nach dem Druck vieler Fans lenkt Flamengo im Mai ein, endlich. Gegen Bahia gehen die günstigsten Tickets für umgerechnet 9 bis 13 Euro in den Verkauf, berichtet das brasilianische Medium "UOL". Der Mindestlohn liegt bei rund 260 Euro im Monat.

Bei Siegen gegen Flamengo singen Gegner "Ruhe in der Favela"

Der offiziell siebenmal zum Meister des Landes gekürte Klub, auch aktuell Tabellenführer der wegen der Klub-WM unterbrochenen Liga, existiert seit Ende des 19. Jahrhunderts. Anfangs allerdings nur als Ruderklub der Oberschicht. Weil er sich später schwarzen Brasilianern, Indigenen und Frauen öffnet, sagen ihm heute manche sogar eine bedeutende Rolle bei der Stiftung einer nationalen Identität Brasiliens nach. Andere halten das für übertrieben. Doch fest steht: Flamengo ist die Nummer eins im Land des "joga bonito", des schönen Spiels. So etwas wie der FC Bayern Brasiliens, auch wenn der Rekordmeister nicht Flamengo, sondern Palmeiras São Paulo heißt.

Viele lieben Flamengo und - wie beim FC Bayern - viele hassen den Klub. Verlieren die Münchner, erklingt aus gegnerischen Fankurven oft der bekannte Gesang "Zieht den Bayern die Lederhosen aus". Die brasilianische Version dessen ist "Ela, Ela, Ela, silencio na Favela". Übersetzt heißt das etwa: "Ha ha ha, Ruhe in der Favela". Es ist eine Anspielung auf die Wurzeln vieler Flamengo-Anhänger in den Armenvierteln Rios, den Favelas.

Bei der Klub-WM in den USA überzeugt Flamengo bislang. Dem Auftaktsieg gegen ES Tunis (2:0) folgt mit dem 3:1-Erfolg gegen den FC Chelsea ein Ausrufezeichen. Auf X teilt der Account der FIFA Aufnahmen von jubelnden Fans beim Public Viewing daheim an der Copacabana. Der Stellenwert eines Sieges gegen ein europäisches Spitzenteam ist immens, noch dazu ist er gleichbedeutend mit dem vorzeitigen Sieg in Gruppe D. Das abschließende Gruppenspiel gegen den Los Angeles FC (1:1) wird bedeutungslos. Mit den Bayern (22 Uhr/DAZN, Sat.1 und im ntv.de-Liveticker) wartet nach Chelsea jetzt ein noch größerer Brocken aus Europa im Achtelfinale auf "Rubro-Negro", die Rot-Schwarzen.

FC Bayern hat Respekt vor Flamengo

"Sie gehören zur Elite, sind Riesen, ein europäischer Koloss", lobt Filipe Luis die Bayern in der Pressekonferenz. Der frühere Linksverteidiger von Atlético Madrid und Chelsea, 44-maliger Nationalspieler Brasiliens, ist seit Ende September Trainer von "Fla". "Sie sind ein Klub, der uns inspiriert und uns Ideen liefert, die wir kopieren. Aber in einem Spiel kann alles passieren", sagt der 39-Jährige. Auch der deutsche Rekordmeister hat Respekt vor den Brasilianern. "Auf der einen Seite haben sie eine hohe individuelle Qualität, dazu kommt die unglaubliche Emotion, die sie ins Spiel bringen", sagt Bayern-Coach Vincent Kompany den vereinseigenen Medien. Und Sportdirektor Christoph Freund sagt: "Flamengo ist aktuell die beste brasilianische Mannschaft." Routinier Thomas Müller, für den es bei einem Ausscheiden bereits das letzte Spiel im Bayern-Trikot sein kann, erwartet einen "heißen Tanz und ein tolles Spiel."

Flamengo erlebt in den vergangenen Jahren eine Renaissance des sportlichen Erfolgs. Seit 2019 hat der Klub je zwei nationale Meisterschaften und Pokale gewonnen, dreimal den brasilianischen Supercup. Dazu siegt Flamengo zweimal in der Copa Libertadores, der südamerikanischen Champions League. Im Kader finden sich Spieler, die sich früher in Europa einen Namen gemacht haben: Alex Sandro zum Beispiel, oder Danilo. Er kam im Winter von Juventus Turin, unmittelbar vor der Klub-WM folgt Jorginho vom FC Arsenal. Sie treten in die Fußstapfen von Legenden wie Zico, dem "weißen Brasilianer". In den 70er- und 80er-Jahren war er einer der populärsten Spieler des Landes. Angeführt von ihm als Kapitän gewann Flamengo 1981 gegen Liverpool den Weltpokal, den Vorläufer der heutigen Klub-WM. 2019 dann erreichte "Fla" wieder das Finale, erneut gegen Liverpool. Nach der Verlängerung unterlag die Mannschaft dieses Mal mit 0:1.

In den USA ist Flamengo wieder ambitioniert, wenn auch kein Topfavorit auf den Titel. Wenn sie auf den FC Bayern treffen, werden mit Manuel Neuer und Thomas Müller noch zwei Weltmeister von Deutschlands Triumph 2014 dabei sein. Auf der Zielgeraden ihrer Karrieren scheint es, als nehme mit dem Spiel gegen Flamengo der Höhepunkt ihrer Laufbahnen sie noch einmal in den Arm. Dieses Mal spielen sie zwar nicht in Rio, aber gegen eine Mannschaft aus Rio. Gut möglich, dass das rot-schwarze Trikot des Klubs bei beiden die Erinnerungen an den Weg zum WM-Titel wieder hervorruft.

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