Nach ihrer letzten Heldentat sank Ann-Katrin Berger im Fünf-Meter-Raum auf die Knie, breitete beide Arme aus und schickte ein breites Lächeln in Richtung der anstürmenden Kolleginnen. Just hatte sie den Elfmeter von Alice Sombath gehalten und ihrer Mannschaft damit den Weg in das Halbfinale der Frauen-Europameisterschaft geebnet.

Es war die Krönung eines Abends, der am Ende eine Heldin aus dem Kreis der deutschen Fußballauswahl bereithielt: Die 34 Jahre alte Torhüterin, die ihr Geld beim FC Gotham in den USA verdient.

Als die Protagonistin im Anschluss an die folgende, ausgelassene Jubelfeier im Basler St. Jakob-Park irgendwann doch mal Richtung Kabine entschwinden wollte, kam ihr Selina Cerci mit einem Riesen-Lautsprecher entgegen. Da ging die Party der deutschen Fußballerinnen auf dem Rasen weiter, obwohl die Zuschauer schon in großen Teilen abgewandert waren. „Ich bin unfassbar stolz auf die Mannschaft. Ich habe einfach nur meinen Teil dazu beigetragen, das sage ich immer. Aber die Mannschaft hat die ganze Arbeit gemacht“, erklärte Berger nach einem denkwürdigen EM-Viertelfinale gegen Frankreich.

Der Abnutzungskampf über 120 Spielminuten und dem folgenden Elfmeterschießen hatte auch beim Boss Spuren hinterlassen. „Ich glaube, wir brauchen jetzt drei Tage Eistonne und Erholung. Und dann schauen wir, ob wir noch elf Spielerinnen gegen Spanien aufstellen können“, sagte ein völlig aufgewühlter und geschaffter Bundestrainer Christian Wück, dessen Team nun am Mittwoch (21.00 Uhr, ARD/DAZN) in Zürich die Weltmeisterinnen fordert. „Es war eine grandiose Leistung auch von ihr, und wir wussten, dass sie uns Stabilität gibt“, sagte Wück über Berger.

Geprägt durch zwei Krebsdiagnosen

Die Keeperin hatte im vergangenen Jahr mit einem gehaltenen Strafstoß tief in der Nachspielzeit gegen Spanien Olympia-Bronze gesichert. Auch dieses Mal glänzte sie: zwei Schüsse im Elfmeterschießen gehalten, einen selbst verwandelt – und davor mit so mancher Großtat ihr Team im Spiel gehalten. In der 105. Spielminute kratzte sie einen von Kapitänin Janina Minge aufs eigene Tor abfälschten Kopfball Zentimeter vor dem Überschreiten der Torlinie mit einer unfassbaren Parade noch aus dem Kasten.

Am Ende hieß es 6:5 im Elfmeterschießen für den achtfachen Europameister, 1:1 (1:1, 1:1) hatte es nach 120 Minuten gestanden. Der Titeltraum lebt damit weiter. Und alle fielen am Ende über Berger her. „Elferkillerin“, sagte Elisa Senß und schüttelte fassungslos den Kopf. „Wir haben schon die ganze Zeit auf den Moment gewartet, dass sie ihn hält. Anne ist überragend. Wir können uns auf sie verlassen, beim Elfmeterschießen noch mehr. Mega, wirklich“, sagte Minge.

Klara Bühl holte bei ihrer Lobeshymne weit aus. „Krass, unglaublich, Weltklasse. Sie hat heute wieder gezeigt, wie unfassbar sie ist. Was für eine Persönlichkeit“, sagte die Bayern-Stürmerin und erklärte, dass Berger abseits des Platzes „einfach eine ganz Liebe“ sei. „Mit ihr kann man immer über alles Mögliche sprechen. Sie hat natürlich unglaublich viel Lebenserfahrung mit dem, was sie durchgemacht hat.“

Bühl sprach damit an, was Berger in den vergangenen Jahren, als sie noch nicht DFB-Stammkeeperin war, geprägt hat: Die Schwäbin war zweimal an Schilddrüsenkrebs erkrankt, kämpfte sich jedes Mal wieder zurück in den Leistungssport – und ist stärker denn je. „Ihr Lebensweg hat sie, glaube ich, dahin gebracht, so ruhig kritische Situationen zu bewältigen. Und diese Ruhe und Sicherheit, die sie ausstrahlt, ist für das Teamgefüge unheimlich wichtig“, urteilte Wück.

„Ann-Katrin Berger. Ein Name genügt, um zusammenzufassen, was im St. Jakob-Park vor 34.128 Zuschauern geschah, die den bislang markantesten Auftritt der Europameisterschaft erlebten“, urteilte die spanische Zeitung „Mundo Deportivo“. „Berger vollbringt ein Wunder, und Deutschland ist Spaniens Rivale im Halbfinale.“ Und „Marca“ schrieb: „Berger rettet Deutschland. Das Duell zwischen Frankreich und Deutschland war eine wahre Bewährungsprobe für Glauben, Mut und Durchhaltevermögen. Die Deutschen, die fast von Beginn an eine weniger waren, kämpften sich zurück.“

Hendrichs Aussetzer nach nur 13 Minuten

An Widerständen wachsen – und auch über sich hinauswachsen: Das zeigte das Nationalteam in der Tat nach einer Reihe von Rückschlägen gegen die favorisierten und am Ende völlig demoralisierten Französinnen. Nach 13 Minuten zerrte Kathrin Hendrich im Strafraum am Zopf von Griedge Mbock: Rot, Elfmeter, 0:1. Nach 20 Minuten musste Sarai Linder verletzt runter, noch ein Ausfall in der ohnehin dezimierten Abwehr. Nach dem Kopfball-Ausgleich von Sjoeke Nüsken (25.) verschoss die Mittelfeldspielerin einen Foulelfmeter (69.).

Aber das Wück-Team machte weiter, immer weiter. „Ich habe uns noch nie so laufen sehen“, sagte Bühl staunend. „Das ist eine unfassbare Leistungssteigerung – und das zu zehnt auf dem Feld“, sagte Nüsken. Nach dem 1:4 gegen Schweden im abschließenden EM-Gruppenspiel waren die deutschen Spielerinnen noch hart kritisiert worden. Diesmal stimmte das Energielevel. „Wir wollen jetzt das Ding nach Hause holen. Wir haben gezeigt, was wir drauf haben“, sagte Nüsken mit Blick auf den weiteren Turnierverlauf. Nach dem Abpfiff und dem ersten großen Jubel war die 24-Jährige vom FC Chelsea mit wilden Freudensprüngen als Erste zu den deutschen Fans gerannt. Im ZDF-Interview kamen ihr später die Tränen, als sie noch sagte: „Wir sind so ein unfassbar geiles Team, und ich glaube, dass wir es schaffen können.“

Wück unfassbar stolz

Auch Berger traut sich und ihren Mitspielerinnen den ganz großen Coup zu. „Jetzt muss jeder vor uns Angst haben“, sagte sie. Wück war wechselweise „unfassbar“ und „unheimlich“ stolz. Bei seiner Turnierpremiere mit den Frauen hat der 52-Jährige, der 2023 die deutsche U17 der Männer zum EM- und WM-Titel führte, jedenfalls alle Skeptiker verstummen lassen. Auf dem Rasen tanzten dann neben der Box noch Cerci, die verletzte Spielführerin Giulia Gwinn und Sophia Kleinherne zu Wolfgang-Petry-Hits und hüpften, wie es die niederländischen Fans zum Kult gemacht hatten, „naar links! naar rechts!“

Berger gab da schon die nächsten Interviews und verriet noch, dass sie beim Elfmeterschießen gar nicht auf den Spickzettel mit Informationen zu den französischen Elfmeterschützinnen geschaut habe, der auf ihrer Trinkflasche klebte. „Ich mache das eigentlich intuitiv und gucke mir eigentlich die Spielerin an“, erklärte sie. „Ich war ein bisschen unzufrieden mit mir selbst, muss ich sagen, weil ich ab und zu mal zu früh gesprungen bin. Aber schlussendlich hat es ja geklappt.“

Den ersten Satz in die Kamera hatte die Matchwinnerin übrigens ihrem ältesten Fan und Familienmitglied gewidmet: „Das ist für dich, Opa!“, brüllte sie da. Der 92-jährige Herr war schon beim Vorrundensieg gegen Dänemark im Stadion. Er will aber nur noch mal ins Stadion kommen, so erzählte es Berger dieser Tage, wenn die deutsche Auswahl das Endspiel erreicht. Das findet am kommenden Sonntag ebenfalls in Basel statt.

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