Watzke gegen Lunow – Showdown der ungleichen Weggefährten
Wenn Dr. Reinhold Lunow bei der Mitgliederversammlung des BVB im kommenden November erneut für das Präsidentenamt kandidieren wird, kann er zugleich ein persönliches Jubiläum begehen. Seine Funktionärskarriere, die außerhalb von Dortmund bis vor wenigen Monaten kaum Beachtung erfahren hat, wird dann genau zwanzig Jahre alt sein. Am 20. November 2005 war Lunow zum Schatzmeister des BV Borussia Dortmund 09 e.V (eingetragener Verein) gewählt worden – auf Vorschlag seines damaligen Vorgängers in genau diesem Amt: Hans-Joachim Watzke.
Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, wenn Lunow, seit mittlerweile drei Jahren Präsident des e.V., im November gegen den Mann antreten wird, ohne den er beim BVB wohl nie eine Rolle gespielt hätte: Watzke. Denn der hegt selbst Ambitionen auf das Präsidentenamt. Das hat der 66-jährige Multi-Funktionär, der wesentlich bekannter als Lunow ist, zwar bislang immer noch nicht explizit erklärt, es jedoch mehrfach durchblicken lassen.
Watzke, der den BVB zwanzig Jahre als Vorsitzender der Geschäftsführung geführt hat, hatte seinen Rückzug aus dem operativen Geschäft für November angekündigt – genau für den Zeitpunkt, für den die Präsidentschaftswahl anberaumt ist.
Erhebliche Irritationen
Es schien Formsache zu sein, dass Watzke gewählt werden wird. Schließlich hatte sich Lunow bereit erklärt, im Falle einer Kandidatur von Watzke seinen Platz zu räumen. Aber dann gab der Mediziner, der eine Praxisklinik im rheinland-pfälzischen Bornheim führt, Ende Mai überraschend bekannt, nun doch noch einmal antreten zu wollen. Die Folge waren erhebliche Irritationen, es war gar von einem Beben die Rede. Damit hatte niemand gerechnet.
Lunow kann die Aufregung nicht verstehen. „Wieso Beben?“, sagte er gegenüber dem BVB-Fanzine „schwatzgelb.de“. Er sei Präsident und trete halt noch einmal an. Das sei ja „eigentlich nicht so ungewöhnlich“. Auf die Frage nach dem Grund für seinen Sinneswandel wurde er dann konkret. „Die heftigen Diskussionen und Vorkommnisse rund um die Mitgliederversammlung letztes Jahr – auch um Rheinmetall – haben mich veranlasst, trotz früherer Überlegungen erneut zu kandidieren“, so der 71-Jährige. Damit handele er, so Lunow, „zum Wohle des Vereins und der BVB-Familie.“
Die Kritik an dem umstrittenen Sponsoring durch den Rüstungskonzern allein ist als Agenda zwar recht dünn zu sein – doch Rheinmetall ist halt auch die Achillesferse von Watzke. Gemeinsam mit Marketinggeschäftsführer Carsten Cramer hatte er den Deal, der dem BVB gut 20 Millionen Euro über drei Jahre einbringt, im Mai 2024 abgeschlossen. In der Woche vor dem Champions League-Finale in London, wo die Dortmunder auf Real Madrid trafen (0:2), wurde er bekannt gegeben – was in der Vorfreude auf das Endspiel allerdings unterging. Einige fühlten sich überrumpelt.
Lunow, der Rheinmetall als sein Hauptargument gegen Watzke ins Feld führt, konnte damals allerdings kaum überrascht gewesen sein. Er war als Präsident des e.V nicht nur informiert – er hat dem Deal sogar zugestimmt. Erst als auf der Mitgliederversammlung im vergangenen November massive Kritik aufkam, ließ er plötzlich erkennen, dass auch er das Engagement kritisch sieht – sehr zum Missfallen von Watzke.
Lunow ließ als Versammlungsleiter mehrere Anträge zu dem Thema zu, die dem mächtigsten Mann beim BVB nicht gefielen. Darunter auch einen, in dem die Geschäftsführung aufgefordert wurde, den Vertrag zu kündigen – und der eine Mehrheit fand. Formell hatte das zwar keine Auswirkungen, da der e.V. nicht befugt ist, solche Entscheidungen vorzuschreiben. Doch während der Versammlung, die über sieben Stunden dauerte, gab es offenbar Versuche, Lunow dazu zu bewegen, solche Anträge erst gar nicht auf die Tagesordnung zu nehmen. „Es stimmt, dass von verschiedenen Seiten Druck auf mich ausgeübt wurde. Auf die Antragssteller selbst, aber auch auf mich“, sagte Lunow. Er aber habe sich „nicht verbiegen lassen“.
In der Folge muss Lunow den Entschluss gefasst haben, Watzke auch zukünftig die Stirn zu bieten. Dabei dürfte er durch den Zuspruch der Rheinmetall-Gegner bestärkt worden sein – sowie durch Vertreter der aktiven Fanszene, die Watzke schon länger kritisch sehen. Das wird auch an dem Schattenkabinett deutlich, mit dem Lunow im Falle eines Wahlsieges arbeiten will: Vizepräsident soll Jakob Scholz werden, der aktuell zum Vorstand der im Verein verankerten Fan- und Förderabteilung zählt. Scholz war Teil der einflussreichen Ultrabewegung „the Unitity“ und früher auch Mitarbeiter von „schwarzgelb.de“ - dem Fanzine, dem Lunow sein bislang einziges Interview gegeben hat und das dessen Kampagne recht wohlwollend begleitet.
Kaum Angriffsflächen
Auffällig ist: Lunow verrät bislang – abgesehen von Appellen, das gesellschaftliche Engagement auszuweiten, die Mitgliederbasis zu stärken und die Identität des Vereins zu erhalten – kaum konkrete Vorstellungen im Hinblick auf die Zukunft der Profiabteilung des Klubs. Möglicherweise, weil er keine Angriffsflächen bieten will – weder seinen Kritikern, noch gegenüber eigenen Unterstützern.
Das mediale Echo auf seine Ankündigung, doch noch einmal anzutreten, habe ihn jedenfalls überrascht, gibt Lunow zu. Zum Teil seien „komplette Unwahrheiten“ über ihn geschrieben worden. Er hätte, beschwert Lunow sich, „manchem Journalisten“ in den vergangenen Wochen gerne schreiben mögen: „Habt ihr sie nicht mehr alle? Warum lügt ihr so?“ Beispiele für vermeintliche „Lügen“ bleibt er jedoch schuldig – abgesehen davon, dass er den Vorwürfen, die der frühere BVB- Handball-Obmann Andreas Heiermann, der Lunow als Präsidenten für gänzlich ungeeignet hält, erhoben hat, widerspricht.
Der Wahlkampf läuft bereits auf vollen Touren – vor allem wird hinter den Kulissen gekämpft. Während Lunow sich als Opfer einer Medien-Kampagne sieht, wurde gegen Watzke ein Compliance-Verfahren angestrebt. Der Noch-Geschäftsführer habe, behauptete ein anonymer Hinweisgeber in einem Schriftstück, das er Lunow übegeben hatte, im Jahr 2023 zwei Charterflüge über den BVB abgerechnet, die er zu privaten Zwecken gemacht habe. Die anschließende interne Prüfung konnte jedoch kein Fehlverhalten Watzkes feststellen. Solche Vorgänge sind in einem großen Verein nicht ungewöhnlich – die Tatsache, dass die mittlerweile entkräfteten Vorwürfe gegen Watzke öffentlich wurden, dagegen schon.
Lunow fehlt es, sagen seine Gegner, an Kompetenz für das zunehmend komplexe Fußballgeschäft. Tatsächlich hat er darin kaum Erfahrung – schon gar nicht im Vergleich zu Watzke, der auch Aufsichtsratschef der Deutschen Fußball Liga (DFL), Vizepräsident des Deutschen Fußball Bundes (DFB) sowie Mitglied im Exekutivkomitee der Europäischen Fußball Union (Uefa) ist. Lunow hat sich bislang als Interessensvertreter der BVB-Mitglieder begriffen. Zu Entwicklungen im Profi-Fußball hat er sich nie dezidiert geäußert.
Raum für Spekulationen
Dass er dazu aber auch weiterhin keinerlei Positionierung erkennen lässt, lässt Raum für Spekulationen. Der eingetragene Verein ist halt nicht nur für die Handball-, die Tischtennis-, die Integrationssport- und Fanabteilung zuständig, sondern als Mehrheitsgesellschafter der börsennotierten Profiabteilung auch dafür, die Geschäftsführung zu kontrollieren, sie ein- und abzusetzen. Deshalb will Watzke ja Präsident werden. Sollte jedoch Lunow gewählt werden, wären er und sein Team maßgeblich entscheidend, ob beispielsweise auch Lars Ricken Sportgeschäftsführer bleibt – und welcher Kurs grundsätzlich eingeschlagen wird.
In den Blickpunkt rückt deshalb vor allem Jakob Scholz, in dem einige der Watzke-Unterstützer, die nach wie vor die überwiegende Mehrheit unter den 220.000 Mitgliedern stellen dürften, den Drahtzieher hinter Lunows Kandidatur vermuten. Sie verbreiten das Narrativ, dass Scholz aufgrund seiner Vergangenheit eine Gefahr sei: Der BVB könne von Ultras übernommen werden – und dann einen ähnlichen Absturz erleben wie beispielsweise Schalke 04.
Fakt ist: Es gab und gibt beim BVB bereits mehrere frühere Ultras in der Verantwortung – auch unter dem Dach der Geschäftsführung. Mit Jan-Henrik Gruszecki hat Watzke sogar einen persönlichen Berater, der ebenfalls aus der „Unity“-Gruppierung kommt – und früher gemeinsam mit Scholz gegen die ihrer Ansicht überbordende Kommerzialisierung gekämpft hat.
Auch die Lebenswege von Watzke und Lunow weisen gewisse Parallelen auf. Beide waren immer schon glühende BVB-Fans. In den 1990er-Jahren, in der Ära des Präsidenten Dr. Gerd Niebaum, als der Klub mit dem Gewinn der Champions League 1997 den größten Erfolg der Vereinsgeschichte einfahren konnte, hatten beide die Nähe zu Entscheidungsträgern gesucht. Watzke wurde 2001 Schatzmeister.
Als der BVB einige Jahre später in eine existenzielle Finanzkrise schlitterte, gingen Watzke und Lunow auf Abstand zu Niebaum. Watzke rückte nach Niebaums Rücktritt aus der Geschäftsführung 2005 selbst in die erste Reihe auf – und machte sich dafür stark, dass Lunow sein Nachfolger als Schatzmeister im e.V. wird. Als Präsident Dr. Reinhard Rauball 2022 dann aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr antrat, bestärkte Watzke Lunow darin, sich um diesen Posten zu bewerben. Denn der hatte ja erklärt, dass er sich zurückziehen werde, wenn Watzke selbst einmal Präsident werden will. Das aber überlegte sich Lunow dann doch noch einmal anders.
Der Machtkampf beim BVB ist also auch einer zwischen zwei, wenn auch sehr verschiedenen, alten Weggefährten.
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